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Magazin
für das Neueste
aus der
Physik
und
Naturgeschichte
,
zuerst herausgegeben
von dem Legationsrath Lichtenberg,
fortgesetzt
von Johann Heinrich Voigt,
d.W.D. Prof. der Mathematik zu Jena, auch Mitglied
der naturforschenden Gesellschaft daselbst, und Corresp. der
Königl. Gesellsch. der Wissens. zu Göttingen.

Zehnten Bandes viertes Stück, mit einer ge-
druckten Tafel.

Gotha
1796
.
bey Carl Wilhelm Ettinger.
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Neue Beobachtungen.

[Seite 1]

I.
Herrn de Luc's geologische Briefe an
Hrn. Prof. Blumenbach.

aus der französischen Handschrift.


Fünfter Brief. Fortsetzung.

21.

Eben dieses Resultat wir uns auch der Ackerbau
liefern. Allenthalben, wo wir in der Völkergeschichte
zurückgehen, finden wir Landwirthe, und können die
ununterbrochenen Spuren urbar gemachter Felder ver-
folgen. Indessen läßt sich doch aus den Nachrichten
der Reisenden schießen, daß die Hälfte unsers festen
[Seite 2] Landes noch unangebaut sey. Gewisse Erdstrecken,
die entweder sogleich durch ihren Anbau, oder durch
Verbindungen mit bereits angebauten Gegenden die
sich von ihnen erwarten ließen, etwas Anziehendes hat-
ten, wurden die Wiege großer Nationen, und in
ihrem Bezirke sind die Fortschritte der Cultur
wenig zu bemerken; allein es sind aus ihnen, wie
aus einer Pflanzschule, Menschen ausgegangen, wel-
che anfangs herumschweiften und dann das Land bau-
ten. Hieraus entstanden zahlreiche Mittelpunkte
von Cultur,
die sich hie und da in die ersten Wü-
steneyen verbreiteten und seitdem nicht aufgehört ha-
ben, sich selbst zu vergrößern und neue Colonien zu
bilden. Allenthalben erstreckt sich dieser Gang rings
um diejenigen Oerter herum, welche an unbebaute
Länder grenzen und er ist noch weit von seinem Ende
entfernt. Hier erblicht man also noch eine neue Fol-
ge von Operationen, welche ihr Daseyn dem Entste-
hen unsers festen Landes zu verdanken haben, und
wenn ich in dieser Hinsicht meine Beobachtungen mit
denen von andern Reisenden vergleiche, so finde ich
Gelegenheit wahrzunehmen, daß die Fortschritte
der Cultur
an allen den Orten, von welchen ich ge-
redet habe, so deutliche Spuren hinterlassen haben,
daß, wenn man seine Aufmerksamkeit darauf richtet,
der Anblick des Landes, die Namen der Oerter, die
Kennzeichen der Vergrösserung, die wechselseitigen
Verhältnisse gegen einander in Rücksicht der Spra-
[Seite 3] che, die Meinungen und Gebräuche, der Ursprung
öffentlicher Arbeiten durch Anwachs der Hülfsmittel,
der Nationalfortgang der Künste, des Handels und
des Luxus, mit einem Worte, alles im umgekehrten
Gange, von jeder Seite, auf Hauptplätze hinführt,
zu welchen die Geschichte oder Tradition bis auf die
frühesten Zeiten der Cultur unserer Länder hinauf-
steigt. Es ist dieses ein sehr interessantes Studium,
wie sich aus dem ergiebt, was ich aus Beobachtun-
gen umständlich in meinen Briefen über die Ge-
schichte der Erde und des Menschen
gesagt,
und wo ich zugleich auch die moralischen und physi-
schen Ursachen angezeigt habe, welche die Fort-
schritte
dieser allgemeinen Tendenz freiwilliger Ur-
sachen, und die menschliche Betriebsamkeit, die
Producte des Bodens zu vermehren, beschleunigt, oder
verzögert haben. Eben dieselben Bemerkungen haben
auch die Herren de Saussure, de Dolomieu
und Ramond de Charboniere, gemacht.

22.

Man muß demnach nicht in den Hauptstädten,
mitten in den Gegenden, welche das Gepräge einer
alten Cultur an sich tragen, die Geschichte des
Menschengeschlechts, welches unser festes Land be-
wohnt, suchen, weil hier die Einbildungskraft freyes
Feld bekommt, indem man dort die Spuren der
Succession verwischt findet. An diesen volkreichen
[Seite 4] Oertern mußte die menschliche Betriebsamkeit noch
immer geschäftig seyn, wegen zunehmender Bevöl-
kerung,
den Unterhalt durch mehrere Urbarmachung
wüster Felder zu vermehren. Dann wird sich diese
eigentliche Geschichte der Landwirthe an die That-
sachen, welche auf die freywillige Vegetation
Bezug haben, anschließen, um die Mährchen von
dem vorgeblichen Alterthum einiger Völker zu wi-
derlegen; indem sich hieraus ergiebt, daß unser fe-
stes Land selbst nicht weiter, als bis auf die von
Mosen erzählte Sündfluth hinauf zu führen ist;
eine Behauptung von welcher ich von Zeit zu Zeit
noch ganz andere Beweise geben werde.

23.

Indem wir uns noch etwas bey der Vegeta-
tion
verweilen, finden wir ein neues Zeitmaaß an
den Torfmooren; eine Erscheinung, von welcher
ich ebenfalls alle Details in meinen Briefen über
die Geschichte der Erde und des Menschen,

mitgetheilt habe. Der Torf ist so, wie die schwärz-
liche Erde,
von welcher ich oben geredet habe, ein
Produkt der Vegetation; aber die Ueberbleibsel
der Pflanzen, welche ihn bilden, verlieren hier
weit weniger von ihrem Volumen und behalten ihre
Eigenschaft zu brennen. Diese Pflanzen, welche
anfangs blos verwelkt sind, bildeten eine schwam-
migte Masse, die sich beständig voll Wasser gesogen
[Seite 5] hat und in welcher die neuen Pflanzen, worunter ei-
nige von wäßriger Art sind, in großem Ueberfluß
und mit beträchtlicher Schnelligkeit wachsen. Ver-
muthlich verdanken diese Pflanzen die Anhäufung
ihrer abgestorbenen Individuen einer antisept-
schen
Eigenschaft, wodurch sie immer vor der Ver-
wesung verwahrt blieben, ob sie gleich beständig von
Wasser durchdrungen waren. Hierin liegt eine wesentli-
che Verschiedenheit zwischen den Torfmooren und den
Morästen, indem dort die Luft beständig gesund ist.

24.

Die Torfmoore haben ihren Ursprung nicht
früher erhalten können, als alle die andern Erschei-
nungen, welche durch die Entstehung unsers festen
Landes
haben zuwege gebracht werden können. Sie
erzeugten sich alsbald an den Stellen, welche von
Quellen benetzt wurden; und an diesen, der Vegeta-
tion überaus günstigen Plätzen wuchsen auch unver-
züglich Bäume von einer harzigten Natur, vor-
nemlich Fichten und Taxusbäume, deren kleine
Blätter und Zweige, wiewohl sie auf einen nassen
Boden fielen, doch der Fäulniß widerstanden. Auch
Kräuterartige Pflanzen wuchsen zu gleicher Zeit in
diesem Boden und fiengen hier an Torf zu bilden.
In dem Maaße, wie diese dichter wurden, verflochten
sich die Wurzeln der neuen Baume mehr und mehr
in ihre Masse, so daß endlich die Winde im Stande
[Seite 6] sind, sie herauszureißen und der immer fortwachsende
Torf sie vergrub. Dieses ist die erste Epoche, die in
allen großen Torfmooren ausgezeichnet ist. Denn
so wie man den Torf bis auf eine gewisse Tiefe aus-
sticht, findet man Stämme, Zweige und Wurzeln
von solchen Bäumen, auch trift man zuweilen
Kunstwerke hier an, welche auf diejenigen Zeiten
hinweisen, wo diese Bäumen niedergestürzt worden
sind. Ich habe unter andern einen Filzhut von
besonderer Gestalt gesehen, welcher in der Nähe ei-
nes solchen Baumstammes war gefunden worden,
und ich konnte noch viele andere Umstände der Art
anführen, wenn es mir hier möglich wäre, in diese
Details hineinzugehen.

25.

Indem der Torf in seinem Wachsthum fort-
fuhr, verbreitete er sich weiter von den Stellen, wo
er seinen ersten Ursprung nahm. Hatte er sich an-
fangs auf Hügeln erzeugt; so lief er längs der Sei-
ten derselben herab. War er in der Tiefe zuerst ge-
wachsen, so schritt er über seine Grenze hinaus und
breitete sich in der Nachbarschaft aus, ja zuweilen ist
es gar geschehen, daß er sich auf erhabne Stellen er-
hob. Mit einem Wort, allenthalben, wo dieser
Schwamm kleine Quellen antrift, die ihn be-
feuchten können, breitet er sich aus, es sey nach wel-
cher Richtung es wolle und wächst sowohl in die
[Seite 7] Breite, als in die Dicke; und an denjenigen Oertern,
wo er nicht durch hinreichendes Wasser kann geschmei-
dig erhalten werden, trägt er doch zum Wachsthum
der Bäume bey. Dieser Anwachs des Torfs
geht allenthalben weiter fort, wo ihm die Umstände
günstig sind, und die Menschen keine Anstalten ge-
troffen haben, ihn aufzuhalten. Man kennt seine
Fortschritte durch die Tradition, und wenn man
ihn mit der hervorgebrachten Masse vergleicht, so
findet man eine andere Art von Beweiß für das ge-
ringe Alterthum seines Ursprungs.

26.

An vielen Orten aber, wo die Bevölkerung so
sehr zugenommen hatte, daß sich die Einwohner in
die benachbarten Torfgegenden ziehen mußten, hat
man sich bemühet, der weitern Ausbreitung des
Torfs Grenzen zu setzen, und die Erde zum Acker-
bau geschickt zu machen; ein doppelter Zweck, den
man durch das Abstechen der Torfmoore, das ist,
durch Einschneidung tiefer Gräben, welche das Was-
ser an einen niedrigern Ort leiten, wo es immer im
abgesonderten Zustande blieb, zu erreichen suchte.
Mittelst dieser Operationen hat man an verschiedenen
Orten Denkmäler entdeckt, welche sich an die Ge-
schichte der Völker, der Künste, oder an Local-
traditionen
anschließen, und wovon ich hier einige
Beyspiele anfuhren werde.

27.
[Seite 8]

Indem man einige große Torfmoore in der
Gegend von Gröningen abstach, fand man auf
dem Boden eines Grabens römische Münzen,
die hier in den natürlichen Boden begraben, und
nachher von einem dicken Torflager bedeckt worden
waren. Hier haben wir also einen festen Zeitpunkt
über den Anwachs der Torfmoore, nemlich den,
wo die Römer in diese Gegenden einfielen. Die-
ses Monument schließt sich an ein anderes an, welches
ebenfalls durch eine progressive Operation, wie-
wohl von einer ganz andern Art, an eben diesen
Ufern, verschafft worden ist; man hat, sage ich,
römische Münzen nahe bey einer alten Mündung
von einem Arm des Rheins, der sonst durch Holland
gieng, gefunden. Die Römer hatten an dieser
Mündung ein Zollhauß errichtet, wovon man
noch die im Sande des Meeres vergrabenen Mauern
erkennt und welche seitdem diesen Rheinarm gänz-
lich verstopft haben.

28.

Bey meinen Reisen, welche ich längs dieser
Ufer machte, und wo ich besonders verschiedene gro-
ße Torfmoore beobachtete kam ich in die Gegend
von Bremen, als man eben sehr emsig mit der Ur-
barmachung
eines Torfmoors beschäftigt war,
welchem man den Beynahmen vom Teufel, wegen
der vielen Unglücksfälle, die sich auf seiner Oberflä-
[Seite 9] che zu ereignen pflegten, gegeben hatte. Es waren
nemlich oft Thiere, die sich von ohngefähr dahin ver-
laufen hatten, und selbst Menschen so versunken,
daß man außerhalb nicht das mindeste mehr von ih-
nen sehen konnte. Die Unternehmung des Abstichs
eines solchen Moors war zu groß für die benach-
barten Einwohner und man betrieb sie damals
auf Kosten des Landesherrn, der sich sehr väterlich,
auf mancherley Art, für ihren Wohlstand verwende-
te. Bey diesen Arbeiten kam man auch in der Tie-
fe eines großen Grabens auf die Entdeckung einer
alten Wasserleitung, welche im Sande aus Bre-
tern
gebaut war, und in deren Nähe man auch noch
einen Röhrenbohrer fand, den man mir zeigte
und der den unsrigen sehr ähnlich war; dies al-
les fand man in einer Tiefe, die ein sehr großes Ver-
hältniß zu der totalen Tiefe des Torfs in seinem ur-
sprünglichen Lager hat, und welches man allenthal-
ben mit Sand eingefaßt findet. Hier hat man also
ein Denkmal der Kunst, von welchem wir nun die
Epoche sehen wollen.

29.

In einem nicht sehr hohen Zeitalter, wo man
schon die deutsche Sprache im Bremischen redete,
hatte das große Torfmoor bereits hie und da die
kleinen Sandhügel überstiegen. Diese führten
insgesammt ihre Namen mit der Endsylbe berg,
[Seite 10] wodurch eine Erhabenheit angedeutet wurde.
Seitdem hat der Torf, ob er sich gleich immer wei-
ter erhob, diese Sandhügel bedeckt, die Stellen
aber, wo sie waren, behielten ihre Namen. Dieser
Umstand war sehr vortheilhaft, denn, ohne denselben
würden die festen Theile im Torfe unbekannt geblieben
seyn, und allenthalben, wo sie von den alten Rän-
dern nicht zu weit entfernt waren, hat man sich ih-
rer bedient, neue Dörfer darauf anzulegen. Wenn
man den Torf zu tief absticht, so senkt er sich; man
nimmt ihn von diesen soliden Theilen, wo er höher
als in der Nachbarschaft geblieben ist, ab, und hier-
durch erhalten die Niederlassungen von neuen Colo-
nien nicht allein einen festen Boden, sondern haben
auch zugleich den Vortheil, daß sie in einer geringen
Tiefe Sand finden, den sie zur Befestigung ihrer
Wege und zur Vermischung mit dem Torf des übri-
gen Ackerbodens sehr gut gebrauchen können, indem
dieser Boden hierdurch zu jeder Art von Cultur ge-
schickt gemacht wird. Die größte Tiefe des Torfs
in dieser ganzen weiten Strecke beträgt ohngefähr
35 Fuß; es ragten auch noch kleine Sandhügel
über den Torf hervor, zu einer Zeit, wo das Deut-
sche schon die Sprache des Landes war, und um zu
seiner wirklichen Dicke zu gelangen hat er diese Er-
höhungen gänzlich bedeckt. Hier haben wir also eine
Erscheinung, die eben nicht sehr langsam in ihrem
Fortschritte gewesen ist, und ihr Ursprung bestimmt
[Seite 11] die Zeit der Entstehung unsers festen Landes. Also ist
die Geschichte der Torfmoore, anfangs durch ihre
physischen Ursachen, und dann in ihrem Fortgange
durch chronologische Denkmäler verschiedener Art
vorgezeichnet, allein hinreichend, die biblische
Chronologie
seit der Sündfluth zu bestä-
tigen.

30.

Wir wollen nun den Schauplatz ändern; denn
alle progressiven Phänomene, von welcher Art sie
seyn mögen, müssen, wenn sie mit der Entstehung
unsers festen Landes anfangen, eine eben solche
chronologische Stufenleiter geben. Ich habe be-
reits in diesem Briefe die Ursachen angezeigt, welche
rings um unsere Küsten herum die neuen Ansätze be-
wirkt haben; und da mir seit dem Anfange meiner
Untersuchungen über das Alter unsers festen Lan-
des,
diese Erscheinung einer von den unmittelbar-
sten Chronometern, die sie uns verschaffen können,
zu seyn scheint; so habe ich sie mit der größten
Sorgfalt beobachtet und die genauern Umstände da-
von auch bereits in meiner Geschichte der Erde
und des Menschen
angegeben. Diese Zusätze zu
unserm festen Lande passen sowohl durch ihre be-
ständige waagrechte Lage, als durch die Natur
ihrer Stoffe vollkommen mit demselben, in ihrer
äussern Verbindung, zusammen, und wenn man sie
[Seite 12] durchsticht, um Brunnen zu graben, so findet man
den ursprünglichen Boden, über welchem sie sich ge-
bildet haben und in welchen sie ihre Quellen ver-
breiten, welche sich aus den Schichten des festen
Landes
ergießen. Der Ursprung dieser Ansätze be-
stimmt das Zeitalter, in welchem die Flüsse anfiengen,
Schlamm ins Meer zu führen, und dieses den
Sand von seinem Boden gegen die Ufer zu treiben
begann: man sieht alles, was diese Ursachen zuwege
gebracht haben. Die mehresten von den bewohnten
Küsten liefern chronologische Denkmäler, die mit
den Fortschritten ihrer Wirkungen verkettet sind,
und diese fahren fort, auf eine Menge von Küsten zu
wirken, wodurch die neuen Ansätze zu wahren
Wasseruhren werden. Die Thatsachen von dieser
Art sind sehr zahlreich, ich werde mich aber blos mit
einer einigen begnügen.

31.

Die neuen Ansätze werden nicht anders tragbar,
als wenn sie durch die Gewalt der neuen Bodensätze,
welche die hohe Fluth auf ihrer Oberfläche zurückge-
lassen hat, mir ganz leicht bedeckt worden sind; aber
dann können auch sehr gute Wiesen aus ihnen wer-
den. Die Bewohner der Ufer des Continentalbo-
dens
in der Provinz Gröningen und der Nachbar-
schaft von Friesland, schränkten sich lange Zeit dar-
auf ein, daß sie blos in der guten Jahrszeit von den
[Seite 13] längs ihrer Küsten befindlichen neuen Ansätzen
Gebrauch machten. Sie machten daselbst Heu,
und ließen dann ihr Vieh dort weiden; allein sie wa-
ren genöthiget, es im Herbste wieder zurückzuziehen
und es in Ställe zu bringen, welche auf künstlichen
Hügeln erbaut waren, weil von dieser Jahrszeit bis
in den Frühling das Meer und die Flüsse jene Vieh-
weiden häufig überschwemmten. Indessen erhöhete
sich bey jeder Ueberschwemmung der Boden
durch neue Sedimente, so daß er am Ende nur
selten noch, in einer großen Breite, über-
schwemmt
ward. Es gehörte nichts desto weniger
einige Zeit dazu, bis die beyden Provinzen darauf
dachten, diese Strecke durch Dämme einzuschließen,
um sich vor den Ueberschwemmungen zu schützen,
die doch noch von Zeit zu Zeit wiederkehrten, und so
völligen Besitz von einem reichen, und jeder Art von
Cultur fähigen, Boden zu nehmen. Ein Spani-
scher Gouverneur, Namens Caspar Robley, be-
grenzte sie endlich, und die Unternehmung wurde vol-
lendet im Jahr 1570. nach unserer Zeitrechnung,
und hierdurch wurde der bewohnbare Boden dieser
Provinzen sehr beträchtlich vergrößert. Man ließ
damals ausserhalb der Dämme eine überaus große
Strecke neuer Ansätze liegen, die noch immer sehr häu-
figen Ueberschwemmungen ausgesetzt waren, und
die man immer so gehen ließ, wie es mehrere Jahrhun-
derte hindurch bey demjenigen Platze geschehen war,
[Seite 14] welchen man so eben eingefaßt hatte. Allein dieser
äussere Boden erhielt immer fort bey jeder Ueber-
schwemmung
neue Bodensätze auf seiner Oberflä-
che, die ihn mehr und mehr erhöhten; nach und nach
wurden auch diese Ueberschwemmungen seltner
und blieben bisweilen mehrere Jahre hintereinander
ganz aus, so daß man im Jahr 1670. eine zweite
Reihe von Dämmen, in den beyden Provinzen auf-
warf, um einen neuen Erdring, welcher dem erstern
an Breite gleich kam, einzufassen. Man lies au-
ßerhalb derselben den ganzen Raum frey, der bey
dem immer fortschreitenden Wachsthum der neuen
Ansätze
noch sehr oft überschwemmt ward, um ihm
Zeit zur Erhöhung durch die Bodensätze dieser
Ueberschwemmungen zu geben. Allein, seitdem
haben sich diese neuen Ansätzen bey ihrer fortge-
setzten Verlängerung in Erdzungen zertheilt, und
man konnte für die Zukunft auf nichts, als blosse
partielle Einfassungen, rechnen, die, in Betracht
des gewonnenen Erdreichs, viel kostbarer, als die vori-
gen waren und wovon die Unternehmung dem Staa-
te sehr lästig würde geworden seyn. Dieses be-
stimmte die beyden Provinzen, das Eigenthum dieser
Erweiterungen sowohl itzt, als in Zukunft, den-
jenigen zu überlassen, welche Eigenthümer des vorhin,
längs der Dämme eingefaßten Erdreichs waren,
um für eigne Rechnung damit vorzunehmen, was ih-
nen am vortheilhaftesten dünkte. Seitdem sind nun
[Seite 15] abermals neue Einfassungen unternommen wor-
den, und die Erweiterungen des festen Landes dauern
noch fort, wiewohl mit mehrerer Unregelmässigkeit.

32.

Da dieses Phänomen die Wirkung natürlicher
Ursachen ist, welche den Gränzen aller unserer festen
Länder,
die sich unter gleichen Umständen befinden,
gemein sind, auch der Niveau der neuen Ansätze
durch die höchste Fluth bestimmt worden so kann
es nirgends eine Verschiedenheit, als blos in Rück-
sicht seiner absoluten Größe, zeigen, die sich im ge-
raden Verhältniß des Ueberflusses der Materien,
welche sich gegen die Küste aufgehäuft haben, und
im umgekehrten, des Grades der Tiefe welche das
Meer hier ursprünglich gehabt hat, befinden muß;
aber die durch die Epochen bezeichneten Fortschrit-
te
beobachten unter einander eben dieselben Verhält-
nisse,
wie die Zeiten, wovon ich itzt ein Beyspiel
nach einem andern Beobachter und nach einem viel
raschern Gange als der Vorhergehende, anführen
werde.

33.

Herr de Dolomieu, der eben so, wie ich,
von den vielen Phänomenen frappirt war, welche das
so geringe Alterthum unsers festen Landes be-
weisen, hat unter andern auch den Irrthum derer
[Seite 16] bestritten, welche an unsern Küsten Beweise von
der entgegengesetzten Meynung zu finden glaubten.
In seiner Abhandlung über Egypten hatte er so
eben die Ungereimtheit von allem, was man über die
vermeintlichen Arbeiten des Nils während mehrerer
Tausende von Jahrhunderten vorgebracht
hatte; und um den Schauplatz den Europäischen
Beobachtern mehr zu nähern, nahm er in der Folge
den wirklichen Lauf des Po in der Lombardey
zum Beyspiel, der sogleich durch unbezweifelte
Merkmale an dem Orte, wo der Po zuerst in das
Adriatische Meer fiel, die Grenzen des festen
Bodens
bezeichnet, und wo sich die neuen Ansä-
tze
gemeiniglich anfangen zu bilden. Nach diesem
fährt er auf folgende Art fort:*) ‘„Indem man
die Fortschritte dieser neuen Ansätze, seitdem
die Geschichte die Epochen derselben geliefert hat,
betrachtet, sollte man nicht glauben, daß eine sehr
lange Reihe von Jahrhunderten erforderlich wäre,
um die Anfüllung des ganzen Theils vom Meer-
busen,
der anfangs noch leer geblieben war, und
welchen die Bodensätze der Flüsse hernach voll
machten, zu bewirken __... Wenn zu den Zeiten
des Strabo, das ist, zu Anfang unserer Zeitrech-
nung,
ein Arm des Meeres sich bis nach Padua
[Seite 17] erstreckte, __... wenn einige Jahrhunderte früher
(nach der Erzählung des Strabo) 90 Stadien
zum festen Lande hätten zusetzen, und so die durch ih-
ren Hafen und Seehandel so berühmte Stadt
Spina zu einem bloßen Dorfe herabbringen kön-
nen __.... wenn wir uns erinnern, daß die Salz-
werke
von Ponte Longo, die gegenwärtig meh-
rere Meilen im Lande liegen, noch vor fünf Jahr-
hunderten der Gegenstand eines blutigen Krieges ge-
wesen sind __...., so scheint mir der Beweis
nicht schwer zu seyn, daß es eben keiner großen Men-
ge von Jahrhunderten bedurft habe, um die An-
sätze
hervorzubringen, welche der Ebne der Lom-
bardey
diese große Ausdehnung gegeben haben.’

34.

Darinnen bestehen also die Erweiterungen
unsers festen Landes, welche die Vertheidiger
der Meynung von einer allmähligen Bildung die-
ses festen Landes auf eine so unbestimmte Art für
sich angeführt haben; denn man steht bey ihrer nä-
hern Prüfung die man freylich hätte vornehmen
sollen, ehe man davon sprach, daß sie ganz das Ge-
gentheil beweisen, daß unsere Continense ihre Ent-
stehung vielmehr einer einzigen Revolution zu ver-
danken haben und daß diese nicht eben um sehr vie-
le Jahrhunderte
zurück liegt. Ich will jetzt zei-
gen, daß es die nemliche Bewandtniß mit den That-
[Seite 18] sachen hat, welche eben so unbestimmt von denen an-
geführt werden, welche gegenseitig behaupten, daß
unser festes Land auf eine langsame Art von
dem Meere wäre zerstört worden.

35.

Längs der nämlichen Küsten, wo sich die neuen
Ansätze
bilden, findet man öfters auch steile Flä-
chen,
gegen welche das Meer seine zerstörende Ge-
walt ausgeübt hat, oder noch ausübt. Ich will
nicht von den harten Felsen reden, weil man an
diesen keine Wirkung des Meeres unterscheidet; ich
will blos bey den steilen Küsten stehen bleiben,
welche dem Einfallen unterworfen sind. Diese
Oerter waren anfangs entweder schmale Vorge-
birge,
die sich den Strömen des Meeres und
seinen Wogen entgegensetzten, oder steile Flä-
chen,
welche aus eben den Ursachen bey der Revo-
lution
übrig blieben, welche so große Wirkungen
im Innern der Erde, nemlich die Senkung der
noch zurückgebliebenen Schichten, bewirkt haben.
Wir wollen indessen die Folgen und das Ende der
Wirkungen sehen, welche das Meer bey einem Theil
unsrer Küsten hervorgebracht hat.

36.

Alle die Punkte der Länder, welche sich dem
freyen Laufe der Ströme und Wellen widersetz-
[Seite 19] ten, wurden von denselben angegriffen, und alle stei-
le Flächen
fiengen an einzufallen; allein das Meer
führte die kleinen Materien längs an den Küsten hin,
und setzte sie in allen den kleinen Buchten ab, wo-
durch es zu eben der Zeit seinen Boden erhob und sie
aufhäufte, als die gröbern Materien sich an dem
Fuße der Brandungen, die entweder neu entstan-
den, oder ursprünglich vorhanden waren, ansamm-
leten und sich bestrebten, hier eine lange, flache
Küste
zu bilden, indem sie den Boden zugleich hö-
her machten. So wie nun eine solche flache Küste
bey der Ebbe anfieng sich längs einer Brandung zu
zeigen, vereinigten sich, der durch die Fluth und
Wellen herbeygeführte Schlamm und die neuen
Einstürzungen, um sie zu erheben, so, daß endlich
das Meer den Fuß dieser Brandungen nicht mehr
zu erreichen im Stande war. Indessen fuhren sie
noch einige Zeit fort, durch äussere Ursachen zusam-
men zu stürzen; da aber alle Materien itzt an ihrem
Fuße zusammen blieben, so bildeten sie sich stufen-
weise zu einem gleichförmigen Abhang, und die Ve-
getation
erhielt sie im festen Stande.

37.

Dies ist das unbezweifelte Ende aller jener
vorgeblichen Zerstörungen unsers festen Landes.
Sie sind nichts anders, als die Wirkung des Mee-
res,
von äußern Ursachen unterstützt, um die Ufer
[Seite 20] und Abdachungen seiner Küsten zu ründen, indem
es alles dasjenige wegstößt und abgleicht, was sich
dem freyen Spiele seiner Ströme und Wogen
entgegensetzt. Die Dauer dieser Wirkungen hängt
von örtlichen Umständen ab; aber so, wie durch die
vereinigten Wirkungen der äussern Ursachen und
des Meeres, eine flache Küste gebildet worden
ist, die blos einen sanften Abhang und unmerkli-
che Einbiegungen hat, so hat nun das Meer weiter
keinen Einfluß darauf. Ich habe dieser Operation
an mehrern Küsten nachgespürt, ich habe an ver-
schiedenen Orten ihre Grenzen und an andern ihre
mehr oder wenigere Entfernung von ihrem Ende ge-
sehen, je nachdem die örtlichen Ursachen, welche man
leicht erkennen konnte, dazu Anlaß gaben, und ich
konnte immer aus diesen beurtheilen, wie dieses En-
de ausfallen würde. Ich habe von diesen Beobach-
tungen, so wie von verschiedenen allgemeinen Um-
ständen dieser Erscheinungen, das Nähere in meinen
Briefen über die Geschichte der Erde und
des Menschen,
angegeben. In dieser Klasse
von Fortschritten findet man auch noch verschiede-
ne chronologische Denkmäler und diese stimmen
sehr wohl mit denen zusammen, welche wir oben bey
den einfachen neuen Ansätzen kennen gelernt ha-
ben. Dies zeigt, mit welcher Leichtsinnigkeit man
ehedem geologische Systeme, die eben so grundlos,
als einander widersprechend waren, aufgestellt hat,
[Seite 21] um der biblischen Chronologie zu widersprechen;
immittelst eben dieselben Thatsachen, worauf sie ge-
stützt zu seyn schienen, sie vielmehr auf die in die
Augen fallendste Weise bestätigen: denn die gleichzei-
tigen Operationen vom Rückzug der Küsten an
manchen Orten und deren Verlängerung an andern,
oft nahe dabey gelegenen, beweisen zu gleicher Zeit,
daß das Meer sowohl sich in einem neuen Bette
befindet, als auch, daß dieses nicht seit sehr vielen
Jahrhunderten der Fall gewesen ist, welches, wie
man stehet, völlig mit der Mosaischen Erzählung
übereinstimmt.

38.

Alles, was sich im Innern des festen Landes
vorfindet, entspricht demjenigen, welches wir vor-
hin von seinen Grenzen kennen gelernt haben. Denn
es finden sich hier eben die Zerstörungen und
neuen Ansätze, die eben so ihrer Vollendung
aus determinirenden Ursachen entgegen eilen. Ehe
ich aber auf die Operationen komme, welche sich für
die beyden Theile der Conclusion, die ich so eben
dargelegt habe, gleichförmig vereinigen, muß ich
noch einer Erscheinung erwähnen, die, indem sie auf
eben die Folge hinführt, auf eine mehr direkte Art
die Natur der Revolution bezeichnen wird, durch
welche das Meer sein Bette verändert hat. Ich
habe gesagt, daß, so lange das Meer unser festes
[Seite 22] Land bedeckt gehabt, die obern Theile unserer Ge-
birge Inseln
in demselben vorgestellt hätten. Die-
ses jetzt voraus, daß das Meer vor der Entstehung
des neuen festen Landes viel höher, als gegenwär-
tig, müsse gestanden haben, und ich habe dieses ge-
rade zu in diesem Briefe bewiesen: aber die Erschei-
nung, von welcher itzt die Rede ist, wird einen neuen
Beweis von einer noch merkwürdigern Art dafür ab-
geben.

39.

Die Oberfläche des Meers, ihr Stand
mag nun seyn welcher er will, ist die sensible Basis
unserer Atmosphäre, und ist auch, alles Uebrige
gleich gesetzt, ihr wärmster Theil, weil in ihr die
Wärme immer von unten nach oben abnimmt. Zu
der Zeit, da die Gipfel unserer Berge noch Inseln
im Meere bildeten, (indem es damals noch höher
stand) befanden sich diese Inseln in dem untern
Theile der Atmosphäre, wo sie eine Temperatur
hatten, welche jeder Art von Vegetation günstig
war; allein da sich das Meer auf seinen gegenwär-
tigen Stand setzte, so setzte sich auch die Atmo-
sphäre mit demselben und dadurch geschah es, daß
sich die nämlichen Erdflächen in eine kältere Re-
gion des Luftkreises versetzt fanden, so, daß sich bey
einigen, die am weitesten in die Höhe gehoben wor-
den waren, wie z.B. die Gipfel der Pyranäen
[Seite 23] und Alpen, die jährlichen Rückbleibsel von Schnee,
durch abwechselndes Schmelzen und Gefrieren in ein
schwammigtes Eis verwandelten.

40.

Dieses ist die Erklärung von den Aufhäufungen
des, auf den Gipfeln der Alpen beobachteten Ei-
ses, welche ich in meinen Briefen über die Ge-
schichte der Erde und des Menschen
gegeben
habe; und an diese schließt sich noch eine andere an,
von welcher ich hernach reden werde. Wenn diese
Anhäufungen ihr Maximum erreicht gehabt hät-
ten, so würden sie uns nichts über die Vergangen-
heit
sagen, aber da sie noch merklich anwachsen,
so müssen sie ihren Ursprung irgend einer Revo-
lution
verdanken welche die Temperatur in die-
ser Höhe verändert hat, und wir finden eine Revo-
lution der Art in einer großen Senkung des Meer-
niveaus.
Ueber dieses wird sich auch dieser Ur-
sprung nach Maasgabe des schnellern Fortgangs
in der Bildung dieses Eises von einer mehr oder
weniger entfernten Zeit herschreiben. Nun vermehrt
sich aber die Ausbreitung dieses Eises so merk-
lich, daß schon die Lebenszeit eines Menschen, eines
Gemsenjägers, hinreichend ist, um ihre Fortschritt
zu bemerken, und daß die Generationen einander die
Zeitpunkte mittheilen, wo gewisse Oerter angefan-
gen haben, von dem immerwährenden Eise be-
[Seite 24] deckt zu werden, und wo gewisse, vorher gebahnte
Wege, durch solche Fortschritte, anfiengen verlegt
zu worden, wodurch also ihr Ursprung auf eine
nicht sehr entfernte Epoche zurückgeführt wird, und
die ausserdem auf die Revolution hinweißt, wel-
che auch sonst noch durch so viele andere Phänomene
bewiesen wird.

41.

Herr de Saussüre, der diese Gegenden so ge-
nau kennt, und welchem wir so viele wichtige, die-
selben betreffende Beobachtungen zu verdanken ha-
ben, hat unter andern bewiesen, daß die ganze Mas-
se ihres Eises herabzusinken strebt, und daß dieses
die Ursache von den Spalten sey, von welchen es
durchschnitten ist, so wie von der Veränderung ihrer
Stellen und ihrer Breite. Diese Spalten öffnen
sich nämlich, wenn die untere Masse auf dem Abhan-
ge fortglitscht, und sie schließen sich wieder, wenn
die höhere Masse der untern nachzufolgen beginnt.
Ohne diese Wanderung des Eises, würde seine Zu-
nahme in der Ausbreitung noch weit schneller seyn,
denn hierdurch wird es gar sehr vermindert, es ge-
schehe nun durch das losreißen einiger Stücke am
Rande gewisser steiler Oerter, von welchen sie in ir-
gend ein niedrigeres Thal stürzen, oder indem sie auf
eine andere Art in Lavagestalt durch gewisse Fel-
senklüfte
geführt werden; da sie dann nach ihrer
[Seite 25] Ankunft in diesen tiefern Gegenden sehr geschwinde
zerfließen. Diese Felsenklüfte, welche mit langsam
herabgleitenden Eise ausgefüllt sind, kennt man un-
ter dem Namen der Gletscher. Es fallen auf das
obere Eis oft Granitblöcke, welche sich von den
benachbarten Felsen ablösen, und diese Blöcke wer-
den von dem Eise mit in die unteren Thäler fortge-
führt, wo sie beym Zerschmelzen desselben abgesetzt
werden. Ich will hier dasjenige hersetzen, was Hr.
de Saussüre über diesen Gegenstand bemerkt,
und auf den Gletscher des Bois im Thale von
Chamouny, angewandt hat, welches aber auf alle
paßt. ‘„Die Felsenblöcke, sagt er, womit der unte-
re Theil dieses Gletschers belastet ist, geben zu ei-
ner wichtigen Bemerkung Anlaß. Wenn man auf
ihre Zahl Rücksicht nimmt und bedenkt, daß sie sich
in dem Maaße an diese Grenzen des Gletschers ab-
gesetzt haben, in welchem sein Eis geschmolzen ist,
so wundert man sich, daß man keinen beträchtlichern
Haufen davon antrift, und diese Bemerkung giebt,
in Verbindung mit vielen andern, die ich nach und
nach beybringen werde, Anlaß, zu glauben, daß der
gegenwärtige Zustand unserer Erdkugel nicht so
alt sey, als sich einige Philosophen eingebildet
haben.“’

42.
[Seite 26]

Ehe ich die Eismassen verlasse, will ich noch
eine andere Erscheinung anführen, die uns nicht al-
lein eben dieselbe chronologische Stufenleiter
darbietet, sondern sich zu gleicher Zeit auch an die
Ursache anschließt, welche ich von den Ele-
phanten-
und Rhinocerosgerippen, die man
in unsern Climaten findet, angegeben habe. Als
die Atmosphäre ihre besondere Revolution erlitte,
welche eine Folge von derjenigen war, welche die
Erde bey der Entstehung unsers festen Landes er-
fuhr, waren die Gegenden ausser den Wendekreisen,
bey der Abwesenheit der Sonne, nicht so gut mehr
im Stande, ihre von der Gegenwart derselben em-
pfangene Wärme zu erhalten. Diese Veränderung
hatte vornemlich auf die Polarländer Einfluß, und
es entstand sowohl auf der See, als auf dem festen
Lande der Anfang von den Anhäufungen des
Eises. Hierüber sagt nun der Ritter Karl
Blagden
*) folgendes: ‘„Seit unserer Schif-
farth nach Norden, ist die östliche Küste von
Grönland und das sie umgebende Meer, nach
und nach, durch die Zunahme des Eises
unzu-
gänglicher geworden“’. Ein Phänomen also, das ein
so schnelles Wachsthum hat, daß schon einige Gene-
[Seite 27] rationen, seinen Fortschritt merklich finden, und
wovon das Ganze im Vergleich mit seinen Zusä-
tzen,
nicht so unermeßlich ist, kann wohl seinen
Anfang nicht vor einer gar zu großen Anzahl von
Jahrhunderten genommen haben. Die Winter
sind, außerhalb der Wendekreise, durch eine Re-
volution,
wovon die Wirkungen jeder Art bewei-
sen, daß sie nicht sonderlich alt sey, viel kälter ge-
worden. In Betracht der Veränderung der Tem-
peratur,
stimmen zwey, sehr von einander verschie-
dene Wirkungen dennoch, in Absicht der Zeit, sehr gut
zusammen: der allmähliche Anwachs des Eises im
Norden, und die Erhaltung der Elephanten und
Rhinocerosreste
in unsern oberflächlichen Erd-
schichten;
und eben dieselbe Ursache hat auch An-
theil an der merklichen Zunahme des Eises auf den
Alpen.

43.

Nach Erwähnung dieser Phänomene, die, in-
dem sie chronometrisch sind, zu gleicher Zeit auch
Aufschluß über die plötzlichen Veränderungen in der
Höhe und Natur der Atmosphäre geben, komme
ich auf die bereits oben angekündigten Verhältnisse
zwischen den mechanischen, an unsern Küsten statt
findenden Operationen, und denen welche die nämli-
chen Ursache im Innern der Erde bewirkt haben.
Man kann sich sehr leicht den Zustand der Oberfläche
[Seite 28] unseres festen Landes, zur Zeit seiner Entstehung,
vorstellem; denn der Operationen ohngeachtet, welche
ihre Rauhigkeiten abzugleichen, strebten, stößt
man doch noch allenthalben auf dieselben. Ohne selbst
aus den Städten heraus zu gehen, sind schon die ge-
mahlten Landschaften, mit welchen man die Zimmer
auszuzieren pflegt, hinreichend, eine sehr richtige
Idee von der Erscheinung zu geben, von welcher ich
hier rede. Denn wenn auch der Mahler die Natur
nicht ganz unmittelbar copirt hat, so hat doch seine
Einbildungskraft immer nach diesem Modelle gear-
beitet; und ein großer Theil der mahlerischen Wir-
kung in dieser Art von Gemälden kommt von den,
wie Obelisken, in die Höhe steigenden Gebirgen,
den steilen Felsen, mit durch einander geworfenen
Schichten und den Wasserbächen her, die sich
von den Rändern dieser Felsen herabstürzen, oder
zwischen ihren Trümmern fließen. Man bemerkt
auch daselbst grünbewachsene Abhänge, welche
vom Fuße der oberen Felsen bis zum Rande der
untern, (wenn das Gemälde etwas von den letztern
mit faßt) und von diesen bis zum niedrigsten Bo-
den herabsteigen, wenn nicht etwa ein reißender
Strom an ihrem Fuße schäumt. Mit einem Worte,
die gemeinsten Landschaften sind wahre geologische
Denkmäler, und ich habe mehrmals, ohne aus den
Zimmern zu gehen, welche damit orirt waren,
mein ganzes System blos nach diesen Gegenständen
[Seite 29] demonstrirt, wofern nur die Zuschauer zur Aufmerk-
samkeit geschickt waren und einige physikalische Kennt-
nisse besaßen.

44.

Die Felsen und alle andern Erdarten, welche
sich bey der Entstehung unsers festen Landes in
einem steilen Zustande befanden, waren den Wir-
kungen des Regens und Frostes ausgesetzt, und die-
jenigen, aus welche diese Meteoren einen merkbaren
Einfluß haben konnten, fiengen an sich zu erniedri-
gen.
Ich nehme hier nicht Rücksicht auf diejenigen
Felsen, die jenen Einflüssen so wenig unterworfen
waren, daß sie sich nicht merklich verringern konn-
ten; dergleichen Felsen bedecken sich gewöhnlich mit
Flechten und Moosen, ein Beweis von einer
merklichen Beharrlichkeit in ihrem einmaligen Zu-
stande. Ich wende mich also zu denjenigen, welche
einer Abnahme fähig sind.

45.

Die steilen Flächen, welche einer Zusammen-
stürzung fähig sind, erleiden den größten Verlust von
Materie an ihren obern Theilen, weil sich das Re-
genwasser von oben her in ihre Spalten zieht, so daß
dieser Theil sich nach und nach zurückzieht, und eine
anfangs verticale Fläche auf solche Art eine Abda-
chung
erhält. Aber allenthalben, wo die Neigung
[Seite 30] dieses Abhanges nicht von so beträchtlicher Größe
ist, daß die von Luft und Regen abgelöseten Theile
bequem in die Tiefe hinab gleiten können, fängt die
Oberfläche derselben an, Pflanzen zu nähren, und so-
bald sie damit völlig bedeckt ist, hat die Abnahme
ein Ende, wofern sie nicht etwa in einer beträchtli-
chen Tiefe vor sich geht; blos dieses kann die Opera-
tion verzögern. Ehe aber eine steile Fläche auf den
Punkt gekommen ist, daß Pflanzen auf ihr wachsen
können, so lösen sich Theile von ihr ab, und indem
diese niederwärts rollen, häufen sie sich gegen diesel-
be auf und werden, in dem Maaße, wie sich der
Haufe vergrößert, immer mehr bedeckt. So wie
nun das Einstürzen häufiger geschieht, kann die Ve-
getation
nicht festen Fuß auf den Abhängen fassen,
welche von diesen Trümmern sind gebildet werden;
sobald aber das Einstürzen nachläßt, so beginnen
auch die Pflanzen auf diesem neuen Boden zu
wachsen und bedecken ihn am Ende. Wenn indessen
ein Theil von einer steilen Fläche, die sich noch über
den von ihren Trummern gebildeten Abhang er-
hebt, selbst zu einem Abhange wird, so wird nun
alles von der Vegetation bedeckt, und die Operation,
welche allenthalben den Abnahmen Grenzen setzt,
ist an diesem Orte vollendet.

46.
[Seite 31]

Was aber die Operationen, die auf der Oberflä-
che unsere festen Landes statt finden, denen ähn-
lich macht, welche ich bey Erwähnung seiner Küsten
beschrieben habe, ist dieses. Alle Rauhigkeiten
unserer Erdflächen, sie mögen eine Lage haben,
was für eine sie wollen, arbeiten durch Mittel, die
man aus Mangel an Aufmerksamkeit, als zerstörend
für das feste Land selbst, ausgegeben hat, einzig
darauf los, daß sie sich zuründen; denn die Ope-
rationen dauern nicht länger, als bis auf die Zeit,
wo die Vegetation sowohl diese zugerundeten Rau-
higkeiten,
als die um sie her liegenden Trümmer
bedeckt hat. Die Vegetation setzt sich auf keinem
Boden eher fest, als bis er im Beharrungsstan-
de
ist; und wenn sie sich an irgend einem Theile fest-
gesetzt hat, so ist dies zugleich ein Zeichen von Be-
harrungsstand
und das Mittel, ihn in Sicherheit
zu bringen; wenn nur nicht etwa einige Masse in
Bewegung befindlichen Wassers
sich in seine
verflächten Trümmer ergießt: welches aber auch seine
Endschaft erreicht, wenn sich die Verflächung bis
auf den Punkt zurückzieht, wo sie nicht mehr ange-
griffen werden kann. Diesen Gegenstand habe ich
umständlich in meinen Briefen über die Geschich-
te der Erde und des Menschen,
entwickelt und
Hr. Ramond de Charbonniere hat ihn
auf eine sehr interessante Art in seinem Werke aus-
[Seite 32] gemahlt, welches den Titel führt: Observations fai-
tes aux Pyrenées
.
In diesem Werke, sage ich, hat
Hr. Ramond den Gemählden das Colorit gege-
ben, die von mir blos gezeichnet, wiewohl mehr aus-
gedehnt waren, und in welchen ich die verschiedenen
Zustände ausgedrückt habe, zu welchen die Wirk-
samkeit der äussern Ursachen, bis jetzt die verschiede-
nen Theile unsers festen Landes, welche einer
Zerstorung unterworfen sind, nach ihrem ursprüng-
lichen und allenthalben leicht erkennbaren Zustande,
gebracht hat. Man kann auch allenthalben, wo
diese Operationen noch nicht ihre Grenzen erreicht
haben, urtheilen, wie sie sich endigen werden; denn
ohne eben von diesen Bergen oder Hügeln auszuge-
hen, findet man noch andere Oerter, wo der Behar-
rungsstand
erfolgt ist, und wo er diesem Erfolge,
mehr oder weniger, nach Maasgabe der durch die
sehr steilen Abhänge hervorgebrachten Bewegun-
gen, oder durch die Angriffe der Ströme, nahe
ist. Dieses ist endlich einer von den Gängen der
Natur in welchem man bey aufmerksamer Untersu-
chung dessen, was sonst geschehen ist, was noch ge-
schieht und was noch in der Folge geschehen muß,
sehr deutlich die geringe Entfernung der Epoche,
wo unser festes Land vom Meere ist verlassen
worden, gewahr wird.

47.
[Seite 33]

Die mechanischen Operationen im Innern un-
sers festen Landes gleichen auch noch denen, welche
ich bey dessen Küsten bemerkt habe, und zwar we-
gen anderer Umstände, die eben so interessant an sich
selbst, als charakteristisch in ihrem allgemeinen Gange
sind, der vor nicht gar langer Zeit begonnen hat.
Die reissenden Ströme, welche von dem Regen auf
hohen Oertern erzeugt worden, üben gegen die stei-
len Oerter und die Anhäufungen ihrer Trümmer
eben die Gewalt aus, wie die Fluthen des Meeres
gegen die steilen Stellen seiner Küsten und gegen
die Ansammlungen ihrer Trümmer, welche sich be-
streben, eine flache Küste an ihrem Fuße zu bilden.
Auch haben noch jene Ströme und Bäche gewisse
Plätze angegriffen, welche sich anfangs ihrem Lauf
widersetzten; so wie das Meer die schmalen Vor-
gebirge
angriff, die dem freyen Laufe seiner Fluthen
und Wogen entgegenstanden, woraus hernach sowohl
im festen Lande, als an den Küsten Brandungen
entstanden, welche vorher nicht vorhanden gewesen
waren. Am Ende bildeten die von den Flüssen
fortgeführten Materien, welche eine Folge jener Zer-
störungen waren, an verschiedenen Punkten ihres
Laufes, solche neue Ansätze wie sie die Meeres-
wogen an den Küsten bilden. Dieser ganze Gang
ist übrigens sehr interessant für die Geschichte der
Gebirge ihrer Bewohner und derer, die an den
[Seite 34] Ufern der Flüsse wohnen; so wie es der Gang der
Operationen des Meeres für die Geschichte unserer
Küsten und ihre Bewohner ist. Da ich aber
hiervon bereits mit gleicher Sorgfalt und Umständ-
lichkeit in meinem oben erwähnten Werke gehandelt
habe, so will ich mich hier blos auf die Hauptzüge
derselben einschränken.

48.

Ich habe bereits in meinem 1sten Briefe bewie-
sen, daß, was für Verwüstungen auch die fließen-
den Gewässer
an den Gebirgen mögen angerich-
tet haben, ihre ganze Arbeit, seit der Entstehung un-
sers festen Landes, doch in weiter nichts besteht,
als daß sie die Befestigung der Trümmerhaufen
am Fuße steiler Flächen verzögert haben, und daß
der größere Theil der Materien, welche sie auf sol-
che Weise zu den Zeiten der starken Regengüsse und
Schneeschmelzungen in Bewegung brachten, zu nichts
weiter gedient habe, als die Thäler zu nivelliren
und ihren Boden zu erhöhen, die bereits von dem
Rückzuge des Meeres vorhanden waren, weil man
fast nichts als Sand in den Mündungen findet,
wo sich die Flüsse bey ihrem Austritt von den Ge-
birgen
in die Seen ergießen, und wo sich alles das
abgesetzt hat, was die Ansammlungen dieser Gewäs-
ser, die das Innere durchströmt haben, mit sich ge-
nommen haben, nachdem sie herausflossen. Ich habe
[Seite 35] auch noch gezeigt, daß das Ganze wie Nichts ist,
im Vergleich mit dem, was die Einbildungskraft ei-
niger Geologen sie daraus hat machen lassen und daß
die bekannten Fortschritte dieser Sedimente mit un-
ter die Zahl der Beweise von dem geringen Alter unse-
rer Erdkugel gehören. Ich verlasse deshalb jetzt wie-
wohl ungern, die Menge von interessanten Gegenstän-
den für die Geologie, welche alle Theile der Gebirge
darbieten, um auf die allgemeinen Wirkungen der auf
unserm festen Lande fließenden Gewässer, zu
kommen.

49.

Allenthalben, wo die Flüsse Hindernisse angetrof-
fen haben sind sie bemüht gewesen, selbige zu zerstö-
ren. Ich lasse mich hier, wie bey den Gebirgen
und Küsten, nicht auf die soliden Felsen ein,
bey welchen keine äußerliche Ursache eine merkliche
Wirkung zuwege bringen kann, um mich blos mit
denjenigen Oertern beschäftigen zu können, wo man
sehr deutlich die Totalität der ehemaligen Wir-
kungen, ihre Fortschritte in den bekannten Zeiten
und ihren gegenwärtigen Gang sehen kann; wel-
ches, in Absicht der Flusse, voraussetzt, daß sie ei-
nen merkbaren Eindruck auf die von ihnen angetrof-
fenen Hindernisse haben machen kennen. Hier sind
aber zwey allgemeine Operationen, welche sich zu der
Zeit anfingen, da jene Hindernisse ihrem anfäng-
lichen Lauf eine andere Richtung gaben. 1. Die auf
[Seite 36] solche Art angegriffenen Gegenden wurden durch
die Gewalt des Wasserstoffes ausgehöhlt, und es
bildeten sich daselbst Brandungen, welche mehr
oder wenigere Zeit fortfuhren, und an mehrern noch
jetzt fortfahren, in den Strom des Wassers herabzu-
stürzen. 2. Die auf solche Weise abgelöseten und
ins Wasser gefallenen Erdstoffe wurden soweit
davon fortgeführt, als es durch das Reißen des
Stroms geschehen konnte, hierauf abgesetzt, wo das
Wasser langsamer floß, und so entstanden zwey Ar-
ten von neuen Ansätzen. Die einen bildeten sich
an einem niedrigern, mehr breiten oder tiefen Thei-
le des Flusses, welches machte, daß sein Bette mehr
Regelmässigkeit bekam, die andern bildeten sich den
Brandungen gegen über, weil der Fluß bey Zer-
störung derselben sich merklich gegen diese Seite legt,
und mit einer um so größern Heftigkeit fortschoß,
als der angegriffene Rand weniger Elevation hatte.
Auch diese Operation dauert an mehrern Orten noch
fort. Ich will mich hier nicht bey dem besondern
Fall aufhalten, wo die Flüsse natürliche Canäle oh-
ne starke Krümmungen angetroffen haben, und auf
die Weise eine regelmäßige Neigung erhalten muß-
ten. Denn ob sie sich gleich, indem sie ihr Bette
machten, an einigen Orten eingegraben hatten, und
hieraus Brandungen an ihren beyden Usern ent-
standen, so paßt sich doch der Gang der Wirkungen,
von welchen ich so eben geredet habe, dazu, wie zu ei-
[Seite 37] nem weniger einfachen Falle, wo Krümmun-
gen
vorkommen.

50.

Die Flüsse haben an einem von ihren Ufern
keine Brandungen gebildet, wenn dieses wegen der
Krümmung, die sie an solchen Oertern erhielten,
sogleich sehr schnell gewendet war, und sie bestreb-
ten sich, ihren gehinderten Lauf wieder herzustellen,
indem sie gegen die Hindernisse stießen. Immittelst
nun diese große Verwüstungen veranlaßten, so ho-
ben sie sich durch den Widerstand der Hindernisse in
die Höhe, so daß die Heftigkeit ihres Stroms, in-
dem er sich von da in irgend eine tiefere Stelle
warf, bewirkte, daß alle von den Brandungen
herabgestürzten Trümmer fortgeführt und an das
gegenseitige Ufer geworfen wurden. So wie aber
durch solche Operationen ihre Krümmung weniger
merklich, und ihr Abhang mehr gleichförmig ward,
so fiengen die größten Klumpen der Erdmassen an,
am Fuße der Brandungen liegen zu bleiben, und
es erhob sich hier nach und nach ein Damm, welcher
die Wirkung des Stroms schwächte. So wie die-
se Dopots ihren Anfang nahmen, bildete sich endlich
am Fuße der steilen Flächen ein flaches, sandiges
Ufer,
über welches sich der Fluß nicht weiter er-
hob, als wenn er austrat. Die neuen Einstürzun-
gen der Erdklumpen erweiterten und erhoben jenes
[Seite 38] flache Ufer, und die Brandung selbst, welche sich,
wegen ihrer Zerstörung immer weiter und weiter zu-
rückzog,
kam endlich ganz außerhalb des Wasser-
stroms
zu liegen. Hierauf bildete sie sich durch den
Einfluß äußerer Ursachen zu einem Abhange und
die Vegetation brachte sie in den Beharrungsstand.
Während dieser Operationen setzten sich die Stoffe,
welche der angegriffene Ort verlohren hatte, zu Bo-
den oder an das gegenseitige Ufer, oder an einen
andern, längs des Flusses liegenden Ort, wo denn
sein Wasser mehr Raum erhielt und langsamer floß.
Hier kamen nun alsbald alle die Materien an, die
größten aber blieben in der Folge nach und nach zu-
rück. Nach diesen ersten Bestrebungen, haben sich
die neuen Ansätze nicht weiter erhoben als durch
die Stoffe welche bis auf den bloßen Sand abge-
nommen hatten; und endlich kam es dahin, daß sie
auf ihrer Oberfläche sonst keinen Sand mehr erhielten,
als wenn sie ausgetreten waren. Jetzt war der
Fluß in einem Canal fixirt, von welchem seine neuen
Ansätze einen Theil ausmachten. Allenthalben, wo
er sie bey seinem Austreten überstieg, erhohete er sie
durch neue Niederschläge. Endlich that er nichts wei-
ter, als daß er innerhalb seiner festen Ufer stieg- oder
fiel, und der Ueberrest von den neuen Ansätzen be-
deckte sich mit Pflanzen, oder wurde rbar.

51.
[Seite 39]

Dieses waren dann, und sind noch an vielen
Orten die wirklichen Operationen der fließenden
Gewässer,
welche einige Geologen, in der Voraus-
setzung, daß sie an unserm festen Lande während
einer unzählbaren Folge von Jahrhunderten gearbei-
tet hätten, so ansahen, als ob sie alle Ungleichheiten
ihrer Oberfläche hervorgebracht hätten. So wie die
Regen anfiengen, auf unser festes Land zu fallen,
sammlete sich ihr Wasser in den Canälen, welche ih-
nen die Einbiegungen der Abhänge verschafften; und
wenn diese in der Nähe ihres Laufes waren, so konn-
ten sie selbige nicht anders verändern, als daß sie sich
je mehr und mehr unter diejenigen Plätze erniedrig-
ten, welche ursprünglich höher, als sie gewesen
waren, so daß die Flüsse ihr Bette nicht anders,
als in einigen sehr niedrigen und völlig waagrechten
Ebnen, oder in den Gründen der breiten Thäler,
die sie zuerst geebnet hatten, indem sie die Trümmer
von den höhern Stellen über sie verbreiteten, fort-
geführt
haben. Die ersten von den fließenden
Gewässern
determinirten Canäle, waren die
Gründe der Einbrüche und anderer Einschnitte von
der Masse der durch das Meer gebildeten Schich-
ten,
wovon die Natur und die vorhergehenden Ka-
tastrophen, die bestimmtesten Merkmale zurückgelassen
haben; so, daß man in Betracht dieser Oerter jedesmal
bestimmen kann, wie sie bey der Entstehung unsers
[Seite 40] festen Landes beschaffen gewesen seyn, und was für
Veränderungen sie seitdem durch den Lauf der Gewäs-
ser
erlitten haben müssen, wo die Charaktere eben-
falls sehr ausgezeichnet sind.

52.

Die Oerter, wo sich die Geschichte der Flüsse
am leichtesten studieren läßt, sind ihre Biegungen,
welche von den Erdmassen, die sie gezwungen haben,
ihren Lauf zu verlassen, und die einer Zertrümmerung
fähig waren, hervorgebracht wurden. Hier sieht
man den Punkt wo der Angriff und die dadurch be-
wirkte Aushöhlung zuerst geschehen ist. Man fin-
det weiter hin, oder etwas tiefer, oder auf der ent-
gegengesetzten Seite der ausgehöhlten Stelle, wenn
sie eine nur geringe Höhe hat, die Materien wel-
che von da weggeführt worden sind. Diese Stoffe
haben anfangs den Betten der Flüsse ihre Gefälle
gegeben, hernach die neuen Ansätze gebildet, die
sich immer durch ihre regelmäßige Neigung gegen den
Strom und durch die Beschaffenheit ihrer Masse,
von dem ursprünglichen Boden unterscheiden.
Sie sind ohne die geringste Verbindung, und die
Stoffe, woraus sie bestehen, nehmen gegen die Tiefe
an der Größe ihrer Oberfläche zu. Diese entgegen-
gesetzten Operationen sind an mehrern Orten begrenzt,
und dann erleiden die sonst angegriffenen Stellen, so
wie die aus ihren Trümmern gebildeten neuen An-
[Seite 41] sätze, weiter keine merkliche Veränderung und der
Fluß läuft ruhig neben dem einen und dem andern
fort. Aber an andern Orten dauern diese beyden,
immer vereinigt wirkenden Operationen in verschie-
denen Graden fort und sind mehr oder weniger weit
von ihrem Ende entfernt. Aber, wie man an der
Mündung der Flüsse, wo sie sich ins Meer ergie-
ßen, und wo sich aller Schlamm, den sie von ihrer
Quelle an mit sich führen, abgesetzt hat, Denkmä-
ler,
oder, Traditionen findet, welche die Epo-
chen
in der Zunahme dieser neuen Ansätze bezeich-
nen; so findet man auch eben so eine Menge von
Stellen, wo die Flüsse vorher ihren Lauf genom-
men haben; Denkmäler, welche sehr gut zu denje-
nigen passen, die als Glieder eben derselben chro-
nometrischen Kette
vorkommen. Ich will nun
ein einziges Beyspiel, das aber sehr merkwürdig ist,
anführen, daß nemlich die Denkmäler an der Mün-
dung eines großen Flusses von eben derselben Natur
sind, wie an sonst einem andern Orte seines frühern
Laufes.

53.

Vom Rhein will ich hier reden, in Absicht des-
sen ich schon oben gesagt habe, daß die Römer an
der Mündung einer seiner Arme ein Zollhaus er-
baut gehabt haben, wovon das Mauerwerk (so wie
noch ein, auf die Agrippina Bezug habendes
[Seite 42] Denkmal) in den neuen Ansätzen, welche seitdem
diesen Arm ganz verstopft haben, ist gefunden wor-
den; und diese Verstopfung war so vollkommen, daß
sich Dunen, oder Sandhügel gebildet haben, wie
an dem übrigen Theile der Küste von Holland. Aber
ich will noch auf ein anderes römisches Denkmal
von eben dem Zeitalter aufmerksam machen, wel-
ches sich in einem neuen Ansatze befindet, der zu
einem Theil dieses Flusses gehört, welcher weit vom
Meers entlegen ist, und zwar mit Umständen, wel-
che die Richtigkeit des ganzen Weges begründen sol-
len, welchen ich bisher bey den Gebirgen, Thä-
lern
und Ebnen eingeschlagen habe.

54.

Der Rhein fließt, ehe er sich mit der Mosel
vereinigt, lange Zeit durch ein Thal, dessen Ufer
ursprünglich sehr steil waren; jetzt aber sind sie durch
irreguläre Streifen abgeglichen und größtentheils
mit Pflanzen bedeckt. Während der Operationen,
die endlich einen, beynahe völligen Beharrungs-
stand
bey diesen unordentlichen Ufern zuwege ge-
bracht hatten, bildete sich aus den von ihnen abge-
rissenen Stoffen, längs des wirklichen Laufs des
Flusses, ein flaches, sandiges, mehr oder minder
breites, Ufer, welches die von den steilen Oertern
noch herübergestürzten Stoffe enthielt und weiter auf-
häufte. Die Stelle, wo sich die beyden Flüsse verei-
[Seite 43] nigen, ist ein offner Raum, in welchem die Stadt
Coblenz erbauet ist; und diese Flüsse haben dahin
sehr große Erdmassen geführt, als sie durch die
Verstopfungen ihres Bettes sehr in Bewegung ge-
bracht worden waren, und die Seiten der obern
Thäler sich plötzlich zusammenstürzten Nach und
nach wurden sie indessen ruhiger; die Stoffe, wel-
che sie mit sich führten, verminderten sich je mehr und
mehr, und am Ende trieben sie blos noch Sand
fort. Jetzt fließen sie zwischen Dämmen, welche sich
von selbst gebildet haben und über welche sie nur
höchst selten austreten. An einem von diesen Däm-
men,
oder neuen Ansätzen, läßt sich besonders die
Geschichte des Rheins bemerken.

55.

Ich kam nach Coblenz im Jahr 1778. als
man eben an dem Grunde zu dem neuen Churfürstli-
chen Pallast arbeitete. Der verstorbene Hr. la
Roche
, Canzler des Churfürsten, dirigirte diesen
Bau und lud mich ein, ihn dahin zu begleiten, um mich
sehr interessante Dinge sehen zu lassen. Man hatte
eine weite und tiefe Grube in der Erde des von dem
Ausspülen des Rheins entstandenen neuen Ansa-
tzes gegraben, und Hr. la Roche zeigte mir von den
Seiten dieses Raumes den Abschnitt von einer Art
Brunnen, wovon man mir sagte, daß mehrere in
der ausgegrabenen Tiefe wären gefunden worden.
[Seite 44] Sie enthielten Urnen mit Asche und Knochen, ver-
schiedene Arten von Begräbniß-Attributen, wie sie
bey den Römern vorkommen und Legionen-Stei-
ne;
und es ist dieses gar nicht auffallend, da man
an mehrern Orten des Thals Ueberreste von römi-
schen Lägern
findet. Hier ist also wieder eine fe-
ste Epoche
in der Geschichte dieses neuen Ansa-
tzes,
und man muß sie nun selbst weiter entwi-
ckeln.

56.

Der Boden jener Grube, wovon bisher die
Rede war, bestand aus großen abgerollten Steinen;
an diesen sahe man an den Lateralsectionen Fortsätze
von Kies, welcher an Größe, von unten nach oben,
immer abnahm. In diesem Kies, der nun in Sand
übergieng, war es, wo die Römer die Brunnen
gegraben hatten, deren ich vorhin erwähnt hatte.
Von da war die Mündung dieser Brunnen auf acht
Fuß mit blossem Sande bedeckt, und jetzt erreicht der
Rhein, der sein Bette gleichförmig gemacht hat,
nur sehr selten diesen Stand. Man kennt die Zei-
ten der Feldzüge der Römer in Deutschland, wäh-
rend deren sie ihre Eroberungen bis nach Holland
getrieben haben, und von eben der Zeit findet man
auch noch zwey Denkmäler, wovon das eine in die-
sem neuen Ansatze des Rheins, mitten in der Er-
de, und das andere in einem ähnlichen, welcher sich
[Seite 45] bey seinem Ausfluß ins Meer gebildet hatte, ver-
graben war. Nun aber verwandelt die Stelle, wo
diese römischen Denkmäler in fortgeschwemmten
Anhäufungen liegen, die nicht früher, als mit
der Bildung unsers festen Landes ihren Anfang
nehmen konnten, diese historischen Urkunden in
geologische Denkmäler, welche zu einer beson-
dern Classe gehören, und ein Beyspiel von einer
chronometrischen Stufenleiter abgeben, die
man längs der Ufer aller Flüsse finden kann, und
die sowohl mit einander selbst, als mit allen ihren
andern Arten dahin übereinstimmen, daß man den
Ursprung unsers festen Landes nicht weiter hin-
aussetzen darf, als in den Zeiten der Sündfluth
nach der biblischen Chronologie.

57.

Alles, was ich in diesem Briefe gesammlet habe,
um unter verschiedenen Gestalten diesen großen geo-
logischen Punkt zu beweisen, ist nichts anders, als
eine Skizze von dem, was ich schon über diesen Ge-
genstand in meinen Briefen über die Geschichte
der Erde und des Menschen
bekannt gemacht
habe; und da die Aufmerksamkeit der Beobachter
jetzt auf diese physische Chronologie gerichtet ist,
so wird sie endlich bewirken, daß alle die fabelhaf-
ten Ueberlieferungen,
und alle die damit in Ver-
bindung stehenden Systeme verschwinden. Ich habe
[Seite 46] bereits, in Rücksicht neuerer Thatsachen, die Herren
de Saussüre und de Dolomieu ange-
führt, und ich kann in diesem Betracht meinen Brief
nicht schicklicher schließen, als mit der folgenden
Stelle des letztern.*)

‘„Ich werde, sagt er, eine Wahrheit vertheidi-
gen, die mir unbestreitbar scheint __... und wovon
es mir scheint daß sich der Beweiß auf allen Seiten
der Geschichte, und besonders derjenigen, wo die
natürlichen Ereignisse aufgezeichnet sind, erblicken
läßt __... daß der gegenwärtige Zustand un-
sers festen Landes nicht alt sey,
daß es nicht
lange her sey, daß es dem Menschen unter sei-
ne Herrschaft gegeben worden ist.
“’

Nachdem ich nun bewiesen habe, daß man die
Entstehung unsers festen Landes zu keiner entfern-
tern Epoche, als derjenigen, für welche die Mo-
saische Geschichte
die Sündfluth festsetzt, zu-
rückführen dürfe, so habe ich nun zu zeigen, daß die
Revolution, durch welche, der ganzen Geologie
zufolge, unser Continens hat entstehen müssen, je-
[Seite 47] nes Ereigniß selbst ist: und dies werde ich dann
in meinem nächsten Briefe thun. Ich bin etc.


Sechster Brief. Physikalischer Commentar über die 1 ersten Capi-
tel der Genesis.


1.

Ich habe in meinem vorigen Briefe die vornehmsten
Umrisse einer zahlreichen Classe von Phänomenen
gesammlet, nach welchen sich nicht zweifeln läßt daß
die Entstehung unsers festen Landes nicht der
Erfolg einer jählingen Revolution gewesen sey,
bey welcher sich das alte feste Land gesenkt und so
dem Meere ein neues Bette dargeboten habe, und
daß die Epoche dieser Revolution nicht weiter, als
die, in welche nach der Mosaischen Chronologie,
die Sündfluth fällt, zurückliege. Was wird also
nun aus dem vorgeblichen unermeßlichen Alterthum
der asiatischen Völker, welches sich einige Geologen
zu Nutze gemacht haben, um Systeme, die eben so
[Seite 48] fabelhaft sind, als diese Chronologien, darauf zu
stützen!

2.

Bey der mehrern Aufnahme der Geologie,
welche diese Dunkelheiten zerstreute, haben sich auch
die der Untersuchungen über die Mythologie mit
angeschlossen, die sie verdichtet hatte. Im Jahr
1776 gab Hr. Jakob Bryant ein vortrefli-
ches Werk: Analysis of ancient Mythologie, heraus,
in welchem er durch die tiefste und aufklärendste Ent-
wickelung der griechischen und römischen My-
thologie,
auf ihre Quellen in Egypten und Asien
zurückgeht, und zeigt, daß sie insgesammt Anspie-
lungen auf die Geschichte der Sündfluth, so wie sie
von Mosen erzählt wird, machen, indem sie ins-
gemein, durch treffende Charaktere dieser Begeben-
heit, die Epoche der Erneuerung des Menschenge-
schlechts so bestimmen, daß eine gewisse Person mit
ihrer Familie wunderbarer weise in einem Fahr-
zeug wäre erhalten worden. Diesem Resultate, in
wie fern sie die asiatischen Völker betreffen, sind in
der Folge bestätiget worden, im dritten Bande der
Asiatic Researches. eine Frucht der Bemühungen der
für die Wissenschaften so wichtigen gelehrten Gesell-
schaft, welche neuerlich zu Calcutta unter dem Vorsitz
des Ritters William Jones errichtet worden
ist. Endlich findet man auch in des Hrn. Tho-
[Seite 49] mas Mauriee History of Hindostan eine
Uebersicht von dem, was man seit langer Zeit über
diesen Gegenstand entdeckt hatte, in Verbin-
dung mit den neuern Entdeckungen, und mit sehr
interessanten Bemerkungen begleitet.

3.

Bis jetzt haben wir ohne Zweifel blos auf eine
mehr bestimmte Weise die Gleichförmigkeit, welche
bereits die Ungläubigen zwischen der Heydnischen
Mythologie und der Genesis wahrgenommen ha-
ben, woraus sie gefolgert haben, daß diese letztern
ebenfalls eine, von den Hebräern gebildete My-
thologie
sey, nach den Begriffen, die sie während
ihrer Gefangenschaft in Egypten, und hernach von
den Völkern, mit welchen sie umgeben waren, erhal-
ten hatten. Allein die Cosmogonie der Gene-
sis
hat nicht allein die Epoche von der Erneue-
rung
des Menschengeschlechts nach einer gro-
ßen Fluth,
mit der, welche alle diese übrigen Völ-
ker haben, gemein, sondern sie setzt auch dieselbe nicht
so unermeßlich weit hinaus, sondern blos auf eine
geringe Zahl von Generationen. Dies ist ein sehr
wesentlicher Unterschied, und man wird nicht in Ab-
rede seyn können, daß diejenige von diesen Cosmo-
gonien, welcher eine wahre Zeitrechnung zum
Grunde liegt, auch die richtige seyn werde. Nun
habe ich aber in meinem vorigen Briefe gezeigt, daß
[Seite 50] die Erscheinungen unserer Erde die Zeitrechnung
der Genesis ohne den geringsten Zweifel bestäti-
gen. Wenn man also an diesem ersten Zuge der Wahr-
heit, daß, ob er gleich zu der Zeit entworfen ward,
als die Vielgötterey, bey allen andern Nationen
galt, die Genesis doch die Israeliten als ein
Volk aufgestellt, welches die Lehre von einem einzi-
gen Gott in ihrer größten Reinheit bekannte, so
wird man sich veranlaßt finden, allem dem, was ich
aus den Characteren dieses wichtigen Buchs vor-
tragen werde, die ununterbrochenste Aufmerksamkeit
zu schenken.

4.

Die Sündfluth ist von Mosen mit so
genauen Umständen beschrieben worden, daß sie, wenn
sie reell sind, eben so, wie seine Chronologie, un-
serm ganzen Erdkörper eingedrückt seyn müssen. In-
dem ich aber zeigen will, wie sie in der That sind,
so werde ich mich hier nicht blos darauf einschränken,
Mosen als einen Wahrheit sagenden Schrift-
steller darzustellen, sondern ich werde zeigen, daß er
nothwendig von Gott selbst müsse geleitet worden
seyn.

5.

Keine Erzählung von eben so großen Begebenheiten,
als die, wovon die Genesis handelt, kann einfacher
[Seite 51] seyn, als die von Mosen. Die Geschichte der
Menschheit ist der vornehmste Gegenstand, den er
dem Gedächtniß des Volks, das seiner Leitung an-
vertraut war, einprägen wollte. Er stellt ihm also
gleich anfangs in einem sehr bündigen Vortrag die
vornehmsten Operationen dar, durch welche, unter
göttlicher Leitung, die Erde zur Aufnahme der
Menschen wäre vorbereitet worden. Nachher ver-
folgt er ihre Geschichte und, da er an die Epoche
kommt, wo das Menschengeschlecht durch eine
große Fluth, bey welcher Gott den Noah
und seine Familie in Schutz nahm, war erneuert
worden, erzählt er dieses Ereigniß selbst. In der
Folge beschäftigt er sich mit nichts mehr, als mit der
Familie, welche die Erde neu bevölkerte. Bey
dieser Erzählung hält sich Mose nicht bey der Ent-
wickelung oder dem Beweis der Begebenheiten auf
deren er erwähnt, sondern erzählt sie schlechthin.
Die Israeliten kannten aus ihren Ueberlieferun-
gen
die Wahrheit von einer großen Anzahl der er-
zählten Umstände, und bewunderten, ohne sich mit
Zweifeln zu quälen, diejenigen, welche sie nicht ken-
nen konnten, weil Mose mit einer übernatür-
lichen Kraft
ausgerüstet war, wodurch er sich ih-
ren Augen als das Organ der Gottheit zeigte.
Wir haben diese unmittelbaren Auszeichnungen nicht
mehr vor uns, aber die Erde ist uns übrig geblie-
[Seite 52] ben und diese giebt der mosaischen Erzählung
eben dieses Zeugnis.

6.

Ich will mit der Offenbarung Gottes
an Noah bey Annäherung der Sündfluth*)
den Anfang machen. Gott sprach zu Noah:
‘„alles Fleisches Ende ist vor mich kommen, denn die
Erde ist voll Frevels von ihnen und siehe da, ich
will sie verderben mit der Erde.“’ Die wörtlichste
Uebersetzung dieser letztern Worte ist, ‘„ich will sie
zerstören, und die Erde mit ihnen.“’ Man sieht
leicht, daß das Wort: Erde, hier nicht den Erd-
ball
bedeutet, sondern blos den Boden, welchen
die Menschen bewohnen. Es ist also die Zerstörung
dieses festen Landes, welches dem Noah vorher
gesagt wird. Nun zeigt aber die Geologie, (wie sich
aus meinem vorigen Briefe ersehen läßt,) daß, da sich
das alte feste Land, in einer Epoche, welche, der
Zeit nach, mit der Sündfluth zusammentrift, ge-
senkt, und das Meer diese Stelle in Besitz ge-
nommen hatte, alle organisirte Geschöpfe dadurch ha-
ben zu Grunde gehen müssen. Also bestätiget die Geo-
logie
eine Wissenschaft, welche nur erst vor kurzem
auf den Punkt gekommen ist, uns die wirkliche Ge-
[Seite 53] schichte der Erde zu enthüllen, daß in jener Epoche
das Menschengeschlecht in Wasser umgekom-
men
sey.

7.

Wir wollen annehmen, daß die Geschichte der
Sündfluth, die auf solche Art wirklich bewiesen ist,
vor der Hand nichts weiter, als die Erzählung einer
Tradition, die zwar, in Absicht der Begebenhei-
ten, wahr, aber doch durch Betrug, oder abergläu-
bischer Weise, mit einer eingenommenen göttlichen
Offenbarung an die gerettete Familie wäre verwebt
worden; dann müßte man nothwendig zugeben, daß
die Sündfluth diese Familie eben so, wie die übri-
gen Menschen, hätte überraschen müssen, welche sich
durch irgend einen günstigen Umstand eben in einem
Fahrzeuge, mit genugsamen Proviant befunden;
man müßte glauben, daß dieses Fahrzeug, statt von
den Strudeln verschlungen zu werden, welche sich
beym alten Continens öfneten, (welches sich
doch im natürlichen Lauf der Dinge wirklich hät-
te zutragen müssen) vielmehr die Ströme des Mee-
res
überstiegen hätte, im weitern Forttreiben, an ei-
ner Erhabenheit seines alten Bettes, ehe es
dasselbe gänzlich verlassen, sitzen geblieben wäre.
Was hätte in einem solchen Falle diese Familie wohl
beobachten können? – Daß nach einem entsetzli-
chen Regen von 40 Tagen und 40 Nächten ihr Fahr-
[Seite 54] zeug flott geworden; daß es hernach gewaltsamer-
weise von dem in der heftigsten Bewegung befindli-
chen Wasser wäre hingeworfen worden; daß man
eine Zeitlang nichts als Himmel und Wasser gese-
hen; daß nach Verlauf dieser Zeit ein Rabe und
eine Taube die Nähe irgend eines Landes ange-
zeigt hätte; daß in der Folge das Fahrzeug an ei-
nem Berge gelandet hätte, an welchem man ausge-
stiegen wäre, und daß sich von dem Augenblick an
das Wasser allmählich von der Erde zurückgezogen,
auf welcher man sich befand!

8.

Das wäre es also, sage ich, was Augenzeu-
gen,
welche zufälligerweise in einer solchen Katastro-
phe wären geborgen worden, hätten wahrnehmen und
beschreiben können. Niemals würde es ihnen haben in
den Sinn kommen können, daß die Ursache von dieser
schrecklichen Ereigniß, die Senkung eines unermeß-
lich weit ausgedehnten Landes, und die gänzliche
Ortsveränderung des Meeres, gewesen wäre; es
ist die Geologie, die uns heut zu Tage dieses auf
eine unzweifelhafte Art lehret, und so uft sie noth-
wendig jenen wichtigen Umstand, welchen wir, nach
der Voraussetzung, fallen gelassen hatten, nemlich
die dem Noah geschehene Vorherverkündi-
gung
der Sündfluth, indem doch wirklich die be-
wohnten Länder
zerstört worden sind, wieder zu-
[Seite 55] rück. Dieses wäre dann eine durch unzweifelhafte
Thatsachen bestätigte Offenbarung; und diese
erste Prüfung wird hinreichend seyn, um alle die
Argumente der Ungläubigen gegen die Offenba-
rungen,
überhaupt betrachtet, über den Haufen zu
werfen; man wird aber sehen, daß die ganze Ge-
nesis
eben denselben Charakter an sich trägt.

9.

Die Familie des Noah war nicht allein
frappirt über dieses Ereigniß, auf die Art wie ich es,
nach dem, was die Geologie davon angiebt, ausge-
drückt habe, sondern sie wußte auch und überlieferte
es ihren Nachkommen, daß Gott hier dazwischen
gekommen, und daß sie blos durch dessen Allmacht
erhalten worden wäre. Wir wissen dieses aus allen
Mythologien, deren erste Grundlagen nothwendige
Traditionen von dieser Familie sind. Weil nun
die Chronologie von dieser durch die Erde selbst
ist bestätiget worden, so läßt sich nicht zweifeln, daß
nicht auch die andern Traditionen aus eben der
Quelle, wie die ihrigen, gekommen sind. Aber alle
Hülfsquellen der morgenländischen Einbildungskraft
haben sich mit der Schilderung einer schrecklichen Be-
wegung des Meeres während der Sündfluth er-
schöpft; oder es sind vielmehr diese großen, unter ih-
nen erhaltenen Ideen, an welchen sich ihr Geist, aus
Mangel eines Führers, übte, welchen man den star-
[Seite 56] ken Charakter der morgenländischen Bilder ver-
dankte, und sie hatten es nicht aus dem Gesichte ver-
loren daß eine höhere Macht diese Begebenheit
leitete; denn dieser schrieben sie es besonders zu, daß,
ohngeachtet des heftigsten Braußens des Ozeans,
ein Fahrzeug, in welchem sich eine heilige Person
mit ihrer, aus sieben Seelen bestehenden Familie
befand, war erhalten worden. Man kann dieses be-
sonders nachsehen, S. 351. u.f. der History of
Hindostan
des Hrn. Th. Maurice.

10.

Moses schöpfte nicht aus diesen Quellen;
denn er hätte nicht umhin gekonnt, sich auch ihrer
metaphorischen Sprache zu bedienen; er half sich
auch eben so wenig durch die Geologie, oder Phy-
sik,
denn diese Wissenschaften waren damals noch
nicht erfunden. Die Resultate der Beobachtungen
waren gemein glich auf den gemeinen Gebrauch ge-
richtet, und ihr Ursprung war auch eben so, wie der
vom neuen Menschengeschlecht, ganz in Mythologie
gehüllet. Die Mosaische Erzählung ist ganz
einfach, und alles, was sie enthält, ist bis diesen Tag
durch die Natur bestätiget worden. Ich will die-
ses in Absicht des erstern Umstandes in dieser Er-
zählung,
nemlich der angekündigten Zerstörung des
alten Landes zeigen; und ich werde zugleich die Art
bemerklich machen, wie dieses ins Werk gesetzt wor-
[Seite 57] den ist, vorher aber noch einige geologische Vor-
kenntnisse in Erinnerung bringen.

11.

Ich habe im Lauf meiner vorigen Briefe so-
wohl die Ursachen, als die Folgen der großen Ver-
änderungen, die sich in unserer Atmosphäre, wäh-
rend der Bildung unserer gegenwärtigen Erdkugel
zugetragen haben, aufgestellet. Diese Ursachen
sind an die Bildung unserer mineralischen Erd-
schichten
gekettet, und schreiben sich von den aus-
dehnbaren Flüssigkeiten
her, welche bey jeder
Revolution, die sich auf dem Boden des Meeres
zutrug, aus den unterirdischen Hölen aufstiegen.
Die Folgen zeigen sich in Betreff der Atmosphä-
re,
in den allmählichen Veränderungen, welche so-
wohl die Seethiere, als die Landgewächse erlit-
ten haben. Die letztere Revolution unsers Erdballs,
welche die Sündfluth hervorbrachte, war von eben
der Art, wie jene, und überaus beträchtlich, und so
mußte die Atmosphäre eine neue Veränderung erfah-
ren. Wir haben auch hievon schon den Beweis da-
durch gehabt, daß nun gewisse, sowohl Land- als
Seethiere, ausser den Wendekreisen nicht mehr le-
ben konnten, die sich sonst daselbst aufgehalten hatten,
und daß verschiedene Arten der letztern völlig unter-
gegangen sind.

12.
[Seite 58]

Ich muß auch hier vorläufig einen Punkt be-
rühren, von welchem ich bisher in diesen Briefen
nicht zu reden Gelegenheit hatte. Ich habe in meh-
rern von meinen Schriften gezeigt daß der Regen
nicht, wie man sonst glaubte, die Folge einer bloßen
Verdichtung des Wassers, welches sich in Dunst-
gestalt
in die Atmosphäre erhoben hat, vermittelst
der Abkühlung, sey. Durch irgend eine Ursache, die
mit den Sonnenstrahlen zusammenhängt, ver-
wandeln sich diese Dünste in Luft, denn sie ver-
schwinden gänzlich für das Hygrometer, welches,
so lange sie ihren Zustand noch nicht verändert ha-
ben, ihr Daseyn sowohl, als ihre Menge, täglich zu
erkennen giebt; und der Regen wird durch die Zer-
setzung
einer gewissen Quantität von atmosphä-
rischer Luft
hervorgebracht, die durch irgend eine
von der Erdfläche aufsteigende Flüssigkeit bewirkt
wird. Diese Luftmasse kehrt alsdann auf einmal wie-
der in den Zustand des Dunstes zurück, der nun in ei-
nem viel zu großen Uebermaaße vorhanden ist, als
daß er sich erhalten könnte, und sich deshalb als Re-
gen
niederschlägt. Dies ist demnach ein wichtiger
Punkt der irdischen Physik, den ich von Grund aus
in meinen darauf Bezug habenden Schriften abge-
handelt habe.

13.
[Seite 59]

Ich komme nun wieder auf die Sündfluth.
Der Regen von 40 Tagen und 40 Nächten, welchen
Moses als so übermässig beschreibt, war eine
Folge von der Veränderung, die sich durch die aus-
dehnbaren Flüssigkeiten,
welche vom Anfang der
Revolution an, aus den tiefsten Hölen der Erde
aufstiegen, in der Atmosphäre ereignete; und es
war dieses das Vorspiel von den meteorologischen
Operationen, welche nach und nach die Atmosphä-
re in ihren gegenwärtigen Zustand versetzten. In-
dessen entstand hieraus vorerst nichts weiter, als eine
Ueberschwemmung des bewohnten Bodens, und
Moses beschränkt sich nicht blos auf die Anzeige je-
ner Ursache, denn er gedenkt auch der ‘„Brunnen
der Tiefe
“’ welche in der biblischen Schreibart das
Meer bezeichnen. Wir wollen aber nun den Gang
der Ursachen in der ganz einfachen Beschreibung se-
hen, die er von dieser großen Ereigniß gegeben hat.

14.

Nach den Worten:*) ‘da kam die Sündfluth
vierzig Tage auf Erden, und die Wasser wuch-
sen und hohen den Kasten auf, und trugen ihn em-
por über der Erden“’ die sich blos auf die Dauer
[Seite 60] des Regens beziehen, und welche auch die Grenze
der Ueberschwemmung gewesen seyn wurde, wenn
sie durch den Regen allein wäre verursacht worden.
Es wird weiter gesagt:*) ‘„Also nahm das Ge-
wässer überhand,
und wuchs sehr auf Erden,
daß der Kasten auf dem Gewässer fuhr. Und
das Gewässer nahm überhand und wuchs so
sehr
auf Erden, daß alle hohe Berge unter
dem ganzen Himmel bedeckt
wurden.“’ Dieser
Ausdruck: ‘„unter dem ganzen Himmel, bedeu-
tet hier nichts anders, als unter dem ganzen Ho-
rizont des bewohnten Landes;
denn die ku-
gelartige
Gestalt der Erde war den Menschen je-
nes Zeitalters unbekannt, so wie es noch lange Zeit
bey ihren Nachkommen war.’

15.

Die Arche wurde also durch diesen ausseror-
dentlichen Regen flott gemacht, welchem die Oeff-
nung der Hölen unter der Erde folgten, die itzt
anfingen einzustürzen. Sie senkten sich also nach
und nach und das Meer, kam und stürzte sich von al-
len Seiten in sie hinein; hierdurch wuchs, obgleich
der Regen aufgehört hatte, das Wasser noch weiter
und nahm ausserordentlich überhand. Es
[Seite 61] wurden solchergestalt alle Gebirge dieser Länder
unter Wasser gesetzt und selbst in die Hölen hinein
gestürzt, und die Arche würde auch ohne die gött-
liche Obhut
in einen solchen Schlund hinein gezo-
gen worden seyn; denn diese ist der vornehmste Ge-
genstand in der Mosaischen Erzählung und es fin-
den sich allenthalben in den Denkmälern der alten
Mythologie Sinnbilder davon. Die Arche
trieb also wunderbarerweise gegen die Ströme
des Meeres, und indem sie auf seinem alten Bette
schwamm, immittelst es dasselbe itzt noch bedeckte,
fuhr sie gegen eine seiner Inseln die nun zu einem
Berge des neuen Continens wurde. Auf die Art
ist es also in der Mosaischen Erzählung einleuch-
tend, daß es das Meer war, welches nun das ehe-
malige feste Land zu bedecken anfing; und ich werde
nun aus der Naturgeschichte zeigen, daß der Rück-
zug des Wassers,
von welchem er in der Folge
spricht, der des Merres war, welches sein altes
Bette
verlies.

16.

Ich habe nicht nöthig, mich mit dem Beweis
aufzuhalten, daß unser festes Land ehemals Mee-
resgrund
gewesen. Es ist hierüber nur Eine Mey-
nung unter den Naturforschern. Wenn das Meer
sein Bette bey dieser Revolution verändert hätte,
so wären alle Einsenkungen der Länder, welche zu
[Seite 62] entstehen im Begriff waren, sogleich mit seinem
Wasser angefüllt worden; allein das Wasser des
Regens verband sich auch alsbald damit, und al-
lenthalben, wo die Länder, in welche das Wasser,
bey irgend einer Vertiefung eindrang, sich sehr weit,
im Vergleich mit diesem Bassin erstrekten, floß da-
übrige Wasser durch den niedrigsten Theil seines Um-
fangs ab, so daß das süße Wasser daselbst nach
und nach die Stelle des salzigten einnahm; und
unter solchen Umständen befinden sich die mehresten
von unsern Landseen. Aber es befanden sich auch
auf diesen neuen Ländern sehr große Vertiefun-
gen,
wo das süße Wasser, welches sich dahin zie-
hen wollte, nicht zureichend war die Ausdünstung
zu ersetzen, die auf ihrer Oberfläche vorgieng. Auf
solche Art verminderte sich die Wassermenge, statt
sich zu vermehren, und diese Verminderung dauerte so
lange, bis das angesammlete Wasser so viel betrug,
daß ein Gleichgewicht zwischen dem durch den Re-
gen
herbeygeführten und dem durch die Ausdün-
stung
verflogenen entstand, so daß das Wasser ge-
salzen
daselbst zurückblieb. Dieses ist ohne allen
Zweifel der Ursprung der gesalzenen Seen, wie
z.B. das Caspische Meer. Denn alle Systeme,
die man ersonnen hat, um die Salzigkeit derselben
zu erklären, z.B. so, wie man die des Meeres
durch eine ununterbrochene Auslaugung der Er-
de
und nach einer darauf sich gründenden Rechnung,
[Seite 63] erklärt hat, wornach unser festes Land wenigstens
eine Million Jahre alt ist, haben mit denen einerley
Schicksal gehabt, in welchen man die Bildung die-
ses festen Landes durch langsam wirkende Ur-
sachen
erklären wollte; sie sind vor den Beweisen
des geringen Alterthums des gegenwärtigen Zu-
standes unserer Erde zerstoben.

17.

Unter den, die Sündfluth begleitenden Umstän-
den sind diejenigen, welche den Noah selbst,
seine Familie und die Arche betreffen, um so
wichtiger, als sie von den Ungläubigen zu ihren
feinsten Einwürfen in den Augen des gemeinen Hau-
fens sind gebraucht worden; immittelst sie gegen-
theils von der Beschaffenheit sind, daß sie auf die be-
quemste Weise alle Vorurtheile zerstreuen kön-
nen.

18.

Wenn Moses (wie die Ungläubigen behaup-
ten wollen) nichts weiter als eine Mythologie,
nach Art derer, die man bereits hatte, hätte zusam-
mensetzen wollen, und etwa, aus irgend einem un-
begreiflichen Bewegungsgrunde, denselben in Absicht
des Alterthums des neuen Menschengeschlechts wi-
dersprechen wollen, so würde er nicht gleich anfangs
den plumpen Fehler begangen, und von einem Ber-
[Seite 64] ge durch eine Taube ein Oelblatt haben bringen
lassen: die Israeliten mußten wissen, daß dieser
Baum nicht auf den Bergen wuchs, und da er
die Sündfluth gar nicht weit hinaus verlegte, so
konnte er auch seinen Mißgriff, wenn es wirklich
einer gewesen wäre, nicht durch einen Schleyer der
Zeit decken. Tournefort hat in seiner Be-
schreibung des Ararat, die er als Botaniker gege-
ben, den Umstand nicht entwischen lassen, daß kei-
ne Oelbäume daselbst wachsen,
und diese Be-
merkung allein hat sehr viele Ungläubige gemacht.
Sie würde also auch den Israeliten, und Mo-
sen
selbst, gewiß nicht entgangen seyn, wenn er
ein Mährchen hätte erzählen wollen; allein er re-
dete von der Epoche, wo Noah auf diesem Ge-
birge anlangte, das heißt, von einer Zeit, wo es,
wenigstens ein Jahr zuvor, eine Insel im Meere
gewesen war. Dies ist ein Unterschied, dessen Er-
heblichkeit ich gleich bemerklich machen werde, wenn
ich nur erst einige ähnliche Züge aus der Mosai-
schen
Erzählung werde vorausgeschickt haben.

19.

Wir finden im 3ten Vers des 9ten Kapitels
der Genesis, daß Gott zu Noah und sei-
ner Familie, nach ihrem Austritt aus der Arche,
sprach: Alles, was sich reget und lebet, das sey eure
Speise, wie das grüne Kraut, hab ichs euch alles ge-
[Seite 65] gegeben. ‘„Stellt nicht dieser letztere Ausdruck die Fa-
milie des Noah so dar, als wenn sie mit einer
grünen Flur auf dem Ararat umgeben gewesen wä-
re? Aber, wenn Moses ein Gedicht hätte ma-
chen wollen, hätte er sich da wohl den Gipfel eines
nicht hohen Berges, wiewohl er aus solchen Flu-
then hervorgetreten war, welche die Gipfel der
höchsten Berge bedeckt hatten – als grünend
vorstellen können? Hätte es nicht nur einer ganz
geringen Aufmerksamkeit bedurft, um einzusehen,
daß in einem solchen Zustande der Dinge, die Fami-
lie des Noah, bey ihrem Austritt aus der Ar-
che, nichts als Schlamm würde gefunden haben?
Allein die Israeliten wußten aus ihren eignen
Ueberlieferungen, daß diese ersten Menschen der
neuen Wiederherstellung Kräuter und Bäume auf
dem Ararat gefunden hatten.’

20.

Wir lesen auch noch im 20ten Vers eben die-
ses Kapitels: ‘„Noah aber sing an, und ward
ein Ackermann und pflanzte Weinberge. Mo-
ses
läßt sich hier so wenig, als an irgend einem
andern Orte seiner Erzählung, weder auf die Ge-
schichte der Vegetation, noch der Cultur des neuen
Bodens ein; und er hatte auch nicht nöthig, hier-
von den Israeliten dieses Zeitalters etwas zu sagen,
da sie es schon aus ihren Traditionen wußten.
[Seite 66] Er gedenkt selbst des Weinstocks hier nicht anders,
als in Bezug auf den folgenden Vers, wo er, bey
seiner weitern Erzählung vom Noah, beyfügt,
‘„und da er des Weins trank, ward er trunken:“’
ein Umstand, welcher Gelegenheit gab, Licht über
die Charaktere seiner Söhne zu verbreiten, und der
deshalb vielen Einfluß auf die folgenden Begebenhei-
ten dieses Menschengeschlechts hat. Aber wir sehen
doch nicht weniger als folgende zwey Thatsachen da-
rinn: Erstlich, daß Noah den Meinstock auf
eben dem Gebirge gefunden habe von welchem die
Taube ein Oelblatt gebracht hatte, und welches
so vorgestellt wird, als ob es vorher grün bewach-
sen
gewesen wäre, und zweitens, daß sich Noah
hernach auf den Ackerbau gelegt, und es eins seiner
ersten Geschäfte habe seyn lassen, den Wrinstock zu
verpflanzen, und zwar vermuthlich in eine etwas tie-
fere Gegend, als wo er ihn anfangs gefunden
hatte.’

21.

Man sieht nun schon, wie die Geologie diese
großen Züge aus der Mosaischen Erzählung er-
klärt; allein ehe wir auf diesen Punkt kommen, will
ich vorher zeigen, daß es bey Erwähnung dieser
Umstände, in wiefern sie mit der Geschichte des
Noah und seiner Familie in Verbindung stehen,
keiner großen Umständlichkeit bedurft habe, weil
[Seite 67] das Volk, welchem sie Moses erzählte, bereits
davon unterrichtet war.

22.

Wir haben bereits im Allgemeinen gesehen, daß
die alten Mythologien gänzlich auf die Ueberlie-
ferungen
von der großen Wasserfluth gegrün-
det waren; folglich können wir daraus abnehmen,
wieviel auch den Israeliten aus ihren eignen Tra-
ditionen
davon bekannt gewesen seyn müsse. Wir
finden aber gleich in ihren Sinnbildern und selbst un-
ter den zu ihrem Gottesdienste gehörigen Stucken,
die mit einem Oelzweig gegen die Arche fliegende
Taube. Ueber dies wird die merkwürdige Per-
son,
deren diese Mythologien, als einer erwähnen,
welche wunderbarerweise bey der großen Fluth
wäre erhalten worden, indem sie auf einem Berge
das erste Opfer der obersten Gottheit darge-
bracht habe (ein Umstand dessen Moses erwähnt,
indem er von Noah spricht) zugleich, unter ver-
schiedenen Namen aufgestellt, nämlich als der erste
Ackersmann; als der, welcher zuerst die Stiere
unter das Joch gebracht und vor den Pflug ge-
spannt; der zuerst den Weinstock gepflanzt habe;
und endlich als der erste Lehrer in den Kunsten,
bey seinem Geschlechte. Hier sieht man also zuerst:
den Oelbaum, den Weinstock, die Wiederherstel-
lung des Ackerbaues und ein erstes Opfer, wo-
[Seite 68] von das Andenken in den heydnischen Traditionen
erhalten worden ist; und da diese Traditionen die
einzige Quelle ihrer Kenntnisse waren, so werden
wir sehen, daß sie in ihren Mythologien noch meh-
rere andere Ereignisse geheiliget haben, deren Mo-
ses
nicht nöthig hatte gegen die Israeliten zu er-
wähnen, indem er sie nur über die wichtigsten Ge-
genstände unterrichtete, die wir aber gleichfalls durch
die Naturgeschichte unterstützt finden werden.

23.

Ueberhaupt (obgleich Moses nicht ausdrück-
lich davon Erwähnung thut,) führt uns die Geo-
logie
darauf, daß die Familie des Noah, so wie
seine unmittelbare Nachkommenschaft, gar sehr über
den Einfluß der Gebirge, als einer Quelle von dem
größten Theile desjenigen, was Leben auf Erden
hat, müssen betroffen gewesen seyn. Indessen müs-
sen ihre Erzählungen davon mit sehr wunderbaren
Umständen begleitet gewesen seyn, um die Einbil-
dungskraft ihrer Nachkommen, ausser der Familie
des Sem, so weit zu spannen, daß sie sich gewisse
Wesen vorgestellt haben, welche von der Gottheit
die Erlaubniß erhalten hätten, die Wasser der
Sündfluth, durch die Herumdrehung eines Ber-
ges,
in Bewegung zu setzen, bis endlich das Was-
ser des Lebens
wieder gefunden worden, und
längs des Fußes desselben hingeflossen wäre, um die
[Seite 69] ersterbende Natur auf der Erde wieder zu beleben.
Man sieht ohne Zweifel hier eine große Verirrung
der Imagination, wovon wir indessen doch den
Grund in der Geologie auffinden werden; auch
zeigt sich noch ein anderer Zug von verschiedener Art,
der beim ersten Blick eben so ausschweifend, wie
jenes Gemälde, scheint, den ich indessen so betrachte,
als ob er ihnen auf die nämliche Art von ihren Vor-
ältern wäre überliefert worden, wie sie ihn erzählen,
und selbst wie der, welcher bey starker Erhitzung ih-
rer Einbildungskraft am meisten zur Entstehung ih-
rer Mythologie beygetragen haben mag; nemlich der:
daß bey jener heftigen Bewegung des Oceans, die
an sich ganz richtig ist, ob sie ihr gleich eine fabelhafte
Ursache unterlegen, Dampfwirbel und Feuerströ-
me
herausgekommen wären. Ich habe aber, nach den
Denkmälern der vulkanischen Ausbrüche, wovon
ich in meinem vierten Briefe gehandelt habe, Ursache
zu glauben, daß unter den vulkanischen Erhö-
hungen
auf unserm festen Lande, die nicht von
solchen Schichten eingefaßt sind, welche das Meer
hervorgebracht hat, so wie unter den vulkanischen
Inseln, die man so häufig im jetzigen Meere, selbst in
dem des Archipels, eine Menge vorhanden seyen, wel-
che sich während der, durch die Sündfluth bewirk-
ten Revolution gebildet haben, und daß also die
Familie des Noah diese große Erscheinung hat
wahrnehmen können. Obgleich Moses so wenig
[Seite 70] davon sagt, wie von der heftigen Bewegung des
Meeres,
indem die Israeliten diese Thatsachen
so gut, wie die Nachkommen Hams und Ja-
phets
, kannten und er nichts sagen wollte, was
seinem Hauptentzwecke nicht entsprach.

24.

Man kann hieraus abnehmen, von welcher Er-
heblichkeit die Schriften des Hrn. Bryant und
der asiatischen Gesellschaft sind, welche,
indem sie uns das wahre Wesen der alten Mytholo-
gieen vor Augen legen, die Dunkelheit aufhellen, wo-
mit die Vergessenheit der frühesten Traditionen
bey den Juden die Genesis bedeckt hatte, und
welche Verbindlichkeit das Publikum dem Hrn. Th.
Maurice
schuldig ist, daß er die Abrisse dieser
Fundamentaldocumente und vieler andern, in seiner
Geschichte von Hindostan gesammlet hat, wo
man besonders von S. 341. bis 354. alle die Züge
findet, die ich so eben beygebracht habe, nebst dem,
was hernach vorkommen wird, und welches für uns,
im Betracht der bey den Juden verloren gegange-
nen Traditionen, von der größten Wichtigkeit ist.
Eben diese Person, von welcher so viele Züge in
diesen Mythologieen auf den Noah passen, wird
dort als eine erwähnt, welche aus ihrem Schiffe ei-
ne Menge von Sämereyen gebracht, die sie dort
aufbewahrt gehabt, um ihre Geschlechter nach der
[Seite 71] durch die große Fluth bewirkten Revolution zu er-
neuern. Auch diese Tradition wird von der Natur-
geschichte unterstützt; denn wir wissen aus der Er-
fahrung, daß die Erhaltung unserer nützlichsten Feld-
und Gartengewächse ganz von ihrer Cultur ab-
hängt; denn sie gehen nach und nach aus, wenn sie
sich selbst überlassen sind, und finden sich nicht mehr
unter den wildwachsenden Pflanzen. Diese
Tradition ist also ein heller Lichtstrahl, der die
Blendwerke, welche die fehlerhafte Auslegung der
Genesis nach und nach hervorbrachte, sogleich
vernichten muß. Denn wir finden nicht allein da-
selbst eine neue Anzeige, auf welche Art die Ge-
wächse
nach der Sündfluth wieder erneuert wor-
den sind, sondern wir sehen auch daraus, daß schon
auf dem alten festen Lande die Cultur zur Erhal-
tung eben dieser Pflanzen nöthig gewesen ist; wel-
ches also ein Licht auf den an Adam gerichteten
Spruch, bey seinem Ausgange aus dem Garten
Eden,
wirst; ein sehr erheblicher Gegenstand in der
Erzählung des Moses und auf welchem ich hernach
wieder zurückkommen werde.

25.

So wie man sich einbildete, daß Noah mit
seiner Familie nach seinem Ausgange aus der Arche
eben dasselbe Land
bewohnt habe, welches vor der
Sündfluth da war, hatte alles mehr Schwierigkeit.
[Seite 72] Ohne von der Sündfluth selbst zu reden, welche
hierdurch ganz unbegreiflich wird, war es auch un-
möglich, sich vorzustellen, daß der geringste Gras-
halm
sich hätte erhalten können, ich will nicht blos
sagen, unter dem gesalznen Wasser, welches die
höchsten Berge bedeckte, sondern auch auf einem
Grunde, welcher vom Gipfel der Berge bis auf eine
unbekannte Tiefe in der Ebne, aus nichts als aus
einer Masse von Schichten, die in der größten Un-
ordnung liegen, besteht und mit den Resten der
Erdgewächse und Seethiere erfüllt ist. Ein
Umstand, der recht eigentlich dazu dienen könnte, Un-
gläubige
zu machen; allein es war der Fehler der
Ausleger, die nach dem wahren Verluste der Tradi-
tionen bey den Juden, ihre Muthmaßungen mit
dem natürlichen Sinne der Ausdrücke in der Ge-
nesis
, vertauschten Moses erwähnt gleich im
Anfange seiner Erzählung der Sündfluth der gött-
lichen Offenbarung
an Noah, wo er ihm an-
kündigte, daß die bewohnte Erde solle zerstört
werden: es konnte sich also auch auf diesem Boden
die Arche nicht niederlassen, sondern auf dem neuen
Lande. Es durfte also nun auch Moses, als er
in seiner Erzählung auf die Zeiten kam wo Noah
und seine Familie aus der Arche ging, des Oel-
baum
der grünen Fluhr und des Weinstocks
gedenken, als er vom Ararat sprach. Allein dies
geschah blos in Rücksicht auf andere Gegenstände und
[Seite 73] er hatte in sofern die Kritik der Israeliten nicht
zu fürchten, als ihnen diese Umstände aus ihren
Traditionen eben so bekannt seyn mußten, wie sie
es den heydnischen Völkern aus den ihrigen waren.

26.

Wie weit mögen also nun wohl diese verschiede-
nen Umstände, welche die Erzählung Mosis, mit
denen der alten Mythologien gemein hat, zurück-
zuführen seyn? Sollte dies wohl bis auf eine so un-
ermeßlich weite Epoche gehen, als diese Mytholo-
gien
voraussetzen? Ich habe schon im allgemeinen
auf diese Frage geantwortet, als ich das geringe Al-
terthum des festen Landes
selbst zeigte, das auf
solche Weise bevölkert wurde, ich werde aber ausser-
dem noch eine auffallende Verbindung zwischen einem
von den Bewesen dieser großen Wahrheit, und die-
sen Theilen der Erzählung Mosis, von welchen
die Ungläubigen behaupten, daß sie offenbar fabel-
haft wären.

27.

Ich habe aus der Geologie bewiesen, daß vor
der Sündfluth die Gipfel unserer jetzigen Berge
Inseln im vormaligen Meere gewesen wären; zu-
gleich habe ich auch bemerklich gemacht, daß sie da-
mals, als sie in der niedrigsten Schicht der Atmo-
sphäre lagen, eine Temperatur genossen, welche
[Seite 74] jeder Art von Vegetation günstig war. Bey der
Revolution aber, welche durch die Sündfluth be-
wirkt wurde, senkte sich das Meer sehr tief, indem
es sein Bette verlies; mit ihm senkte sich also auch
die Luft, und jene alten Inseln wurden also nun
zu Gipfeln unserer Berge und gelangten in eine
minder warme Region der Atmosphäre. Wenn
also Noah und seine Familie den Oelbaum und
den Weinstock, so wie mehrere andere Gewächse,
auf dem Ararat fanden, die ohne Zweifel itzt nicht
mehr daselbst wachsen, so kam es blos daher, weil
ihr Boden in eine andere Region der Atmosphäre
war versetzt worden. Allein immittelst diese Gewächse
(nebst denen, von welchen Noah die Saamen auf-
bewahrt hatte,) durch den Ackerbau in tiefern Gegen-
den, wo die Temperatur ihnen angemessen war, fort-
gepflanzt wurden, giengen sie nach und nach in der
für sie zu kalten Region aus, und wurden durch ei-
ne sehr starke Vermehrung derer wieder ersetzt, wel-
che jene Temperatur aushalten konnten. Dieses er-
eignete steh aber in eben der Epoche und aus eben
der Ursache, welche den Ursprung einer andern Er-
scheinung veranlaßte und einen directen Beweis von
der Veränderung auf unserer Erdkugel abgiebt, wel-
che noch unter unsern Augen fortdauert, nämlich die
Anhäufung von Schnee und Eis auf unsern höch-
sten Gebirgen. Diese Erscheinung, sage ich, läßt
nicht zweifeln, daß die Gipfel der Berge ihre Re-
[Seite 75] gion in der Atmosphäre verändert haben; und
da ich deren in meinem vorigen Briefe gedachte, ha-
be ich bereits bemerklich gemacht, daß es bey Ver-
gleichung der totalen Eismasse, welche auf solche
Art bis auf unsere Zeiten hervorgebracht worden,
unmöglich sey, ihrem Ursprunge ein höheres Alter
beyzulegen, als das Alter der Sündfluth, nach
der Mosaischen Erzählung; in so fern aber paßt
diese Erscheinung mit allen andern Natur-Chro-
nometern
zusammen.

28.

So enthüllet dann die Geologie in unsern Ta-
gen die Wahrheit, in den Uebereinstimmungen,
die wir so eben zwischen den alten Mythologien
und der Mosaischen Erzählung bemerkt ha-
ben; Uebereinstimmungen die viel zu genau
und viel zu zahlreich sind, als daß sie nicht
auf eine Gemeinschaft zwischen den Quellen dieser
verschiedenen Traditionen hindeuten sollten. Mo-
ses
hat das Wahre erzählt, und blos das Wah-
re;
weil er es aus einer untrüglichen Quelle
hatte, aus einer, woraus die Natur selbst ausge-
flossen war, die ihm noch bis diese Stunde Zeugniß
giebt; und die Uebereinstimmung, welche man in
diesen Mythologien mit derselben findet, selbst
wenn ihre fantastischen Bilder sie zu bemerken hin-
dern, schreiben sich von den Traditionen der Söh-
[Seite 76] ne des Noah her, deren wahrhafte Erzählungen
desjenigen, was sie während und nach der Sünd-
fluth
beobachtet hatten, die Einbildungskraft der
Nachkommen des Ham und Japhet erhöheten,
welche von den Nachkommen des Sem abgesondert
waren, und folglich des Mosaischen Unterrichts
entbehren mußten.

29.

Hierdurch sind nun auch die psychologischen
Fabeln über den Haufen geworfen, in welchen man,
bey Analysirung des (bereits unterrichteten) mensch-
lichen
Verstandes, behaupten wollte daß aus
seinen Kräften allein, die unter allen Menschen
verbreiteten religiösen Begriffe erwachsen wären;
denn wir haben itzt den Ursprung der Abgötte-
rey,
als eine Ausartung des reinen Deismus, ken-
nen gelernt, wovon die Quelle auf das neue Men-
schengeschlecht durch die Genesis ist hingeleitet
worden, welche zu diesem Zweck auf Befehl Got-
tes
ist geschrieben werden. Der Gottesdienst,
welcher von Noah nach seinem Austritt aus der
Arche, war geordnet worden, ist bald darauf in
göttliche Verehrungen des Noah selbst, sei-
ner Sohne und Nachkommen, ja selbst bloßer Sinn-
bilder von Umständen, welche die Sündfluth be-
gleiteten, verwandelt worden, und so wie sich ein-
mal die Menschen ihrer Einbildungskraft über Ge-
[Seite 77] genstände überlassen hatten, die sie, ohne auf ihre
wahre Quelle zurückzugehen, nicht mehr so, wie sie
wirklich waren, wieder finden konnten, so gab es gar kei-
ne Grenze von Abweichungen beym kleinen, und
von Leichtgläubigkeit beym großen Kaufen mehr;
wie Hr. Bryant unter andern dieses in der Ver-
pflanzung der Asiatischen und Egyptischen My-
thologien nach Griechenland und Rom gezeigt
hat. Indessen erhielt sich doch, mitten unter diesen
Verirrungen, die primitive Idee eines höchsten
Wesens
, von welchen alle die in den Mytholo-
gien erfundenen Gottheiten abhiengen, beständig
unter den heydnischen Nationen, und man findet ein
erhabnes Beyspiel davon bey den Indiern S. 359.
der Schrift des Hrn. Th. Maurice. Was
wird also nun aus den Speculationen über den vor-
geblichen rationalen Ursprung des Deismus,
da mir auf solche die Gewißheit haben, daß er bey
den ersten Menschen desjenigen Geschlechts, welches
heutzutage die Erde bewohnt, durch die Offenba-
rung
existirte?

30.

Bey diesen so sorgfältig aufgestellten Umstän-
den, welche die Erzählung Mosis bis zum Hei-
ligthum der Wahrheit erheben, schließt sich noch
eine andere unmittelbar an, welche immer mehr zei-
gen wird, daß der heilige Geschichtschreiber, indem
[Seite 78] er den Israeliten, als eine Regel ihres Verhal-
tens, die großen Ideen von den Wohlthaten, Gebo-
ten und Urtheilen Gottes einprägte, sich nicht
bey Umständen aufhielt, die ihnen schon von ihren
Vorältern waren bekannt geworden. Wenn diese
Erzählung eine Fabel gewesen wäre, so hätte
Moses gewiß eben so viel Einbildungskraft gehabt,
als jene Mahler, die, in einer falschen Idee von der
Sündfluth, die eines Gemäldes fanden, wo sich
die Menschen auf den Höhen aufthürmten, indem
sie dem Wasser von Felsen zu Felsen entrinnen woll-
ten. Moses also, der sich den Ararat, wo er
den Noah anlanden lies, nicht anders als eine
Streue von Leichen aus jener Gegend, welche dort
einen Zufluchtsort hätten suchen wollen, hätte vor-
stellen müssen, würde seine Malerey durch die Poeste
vollständig gemacht haben und eine Elegie würde die
Stelle dieser fantastischen Gemälde eingenommen ha-
ben. Allein er sagt von dem allen nichts, weil er
eine wahre Geschichte von Noah und dessen Fa-
milie liefern wollte, die bey ihrer Ankunft auf einer
Insel des ehemaligen Meeres während seines Zu-
rücktritts, keine Leichen daselbst fanden.

31.

Es war dieses, unter einer mehr allgemeinen
Gestalt, eins von den Argumenten der Ungläubigen:
Sie setzten der Erzählung Mosis, nach der irrigen
[Seite 79] Vorstellung, die man sich von der Sündfluth ge-
macht hatte, daß, wenn sie wirklich statt gefunden hät-
te, man menschliche Leichen in unsern Erd-
schichten
gefunden haben müsse, so wie man Land-
thiere,
oder auch wohl gar keine, darinnen findet.
Allein Moses sagt ausdrücklich, daß die von den
Menschen bewohnten Länder wären zerstört wor-
den; und die Geologie bestätigt diesen Fundamen-
tal-Umstand. Also, weit gefehlt, daß die Abwe-
senheit menschlicher Leichen in Mosis Er-
zählung
, sowohl auf dem Ararat, als überhaupt
unter den, in unsern Schichten vergrabenen or-
ganischen Körpern
ein Einwurf gegen diese Er-
zählung ist, so ist sie im Gegentheil eine sehr merkwür-
dige Bestätigung derselben. Was die Ueberbleibsel
von Landthieren anlangt, welche wir in diesen
Schichten finden, so waren sie bereits vor der
Sündfluth daselbst unter dem Wasser des Mee-
res
begraben, wie ich solches in meinem vierten
Briefe auseinander gesetzt habe.

32.

Unter allen Irrthümern, die durch die Abwei-
chung vom buchstäblichen Sinne der Genesis über
die Natur der Sündfluth entstanden sind, rührt
der, welcher die meisten Ungläubigen gemacht hat,
von der Auslegung her, die man aus dem an
Noah ergangenen Befehl wegen der Erhaltung
[Seite 80] der Thiere, machte. Wenn das Wasser, wie man
sich einbildete, die höchsten Berge, rings um
die ganze Erde bedeckte, so war es ohne Zweifel nö-
thig, daß alle die Thiere, welche gegenwärtig noch
auf unserm festen Lande leben, paarweise nach ihren
Geschlechtern aus der Arche, worinn sie eingeschlos-
sen waren, gegangen seyn müssen. Eine solche Vor-
stellung hatte man sich davon gemacht! Ich will
mich aber nicht bey den Unwahrscheinlichkeiten auf-
halten, die aus einer solchen Auslegung erwachsen
müssen; sie sind durch die Ungläubigen bekannt ge-
nug geworden; sondern wir wollen lieber die Er-
zählung Mosis verfolgen, um zu beurtheilen, ob
ihre Argumente zu treffen.

33.

Die Stellen, welche man auf diese Art erklärt,
fangen sich vom 19ten Vers des 6ten Kapitels der
Genesis an, wo Gott zu Noah sagt:
‘„Und du sollst in Kasten thun allerley Thiere von
allem Fleisch, je ein Paar Männlein und Fräu-
lein, daß sie lebendig bleiben bey dir.“’ Aller-
dings ist es hier ein allgemeiner Ausdruck und eben
derselbe herrscht auch in den folgenden Stellen, die
sich auf eben diesen Gegenstand beziehen; allein es
findet sich auch einer von anderer Art im 21ten Ver-
se: ‘„Und du sollst allerley Speise zu dir nehmen,
die man isset, und sollst sie bey dir sammlen, daß
[Seite 81] sie dir und ihnen zur Nahrung da seyen.“’
Wir wollen weiter zum Ausgang aus der Arche
kommen. Gott sagt sogleich zu Noah, und seiner
Familie, im 3ten Verse des 9ten Kapitels: ‘„Alles,
was sich reget und lebet,
das sey eure Speise,
wie das grüne Kraut, hab ichs euch alles gege-
ben.“’ Jetzt wird jeder, der nicht absichtlich da
Schwierigkeiten sucht, wo keine sind in diesen all-
gemeinen
Ausdrücken, bey Vergleichung des einen
mit dem andern, sehen, daß es ein sehr gemeiner
Redegebrauch, nicht allein bey den Morgenländern,
sondern in jeder Sprache ist, um dadurch gewisse
Totalitäten auszudrücken, welche die Umstände
ohne Zweydeutigkeit bestimmen. Noah mißver-
stand die Befehle keinesweges, die er erhielt; sie wa-
ren so, daß er mußte, was für Thiere er mit in
die Arche nehmen mußte um sie nebst sich beym
Leben zu erhalten;
auch wie viel er Lebensmittel
während der Sündfluth für sie nöthig habe. Die
Ausdrücke Mosis sind gar nicht von der Art, daß
man solche Umständlichkeiten darinn suchen darf; es
erhellet aus seiner ganzen Erzählung, daß er in
Betracht der Umstände, welche den Israeliten aus
ihren Ueberlieferungen bekannt waren, sich damit
begnügte, sie ihnen mit wenig Worten wieder ins
Gedächtniß zurück zu rufen, und wir haben hiervon
einen unmittelbaren Beweis. Denn wenn er ihnen
solche Begebenheiten hatte zu erzählen gehabt, wovon
[Seite 82] sie gar keine Kenntniß gehabt hätten, so hätte er
gleich beym Anfang seiner Erzählung der Sünd-
fluth,
wie sie dem Noah war angekündigt wor-
den, auch beyfügen müssen, wie lange sie dauern
sollte; weil Noah dieses hätte wissen müssen, um
sich mit der Menge der erforderlichen Lebens-
mittel
in der Arche zu versehen. Man sieht also
aus diesem einzigen Umstande, wie Moses nicht
nöthig hatte, in solche Details mit den Israeliten
hinein zu gehen, indem er ihre Entwürfe nicht zu
fürchten hatte.

34.

Es verschwinden aber endlich alle diese Zweifel
bey der folgenden Stelle, welche eine von den Er-
klärungen Gottes an den Noah nach seinem
Ausgang aus der Arche enthielt. Es heißt im
9ten Kapitel vom 8ten bis 10ten Vers: ‘„Weiter
sagte Gott zu Noah und seinen Söhnen mit
ihm: Siehe, ich richte mit euch einen Bund auf,
und mit eurem Saamen nach euch, und mit allem le-
bendigen Thier bey euch, an Vögeln, an Viehe,
und an allen Thieren auf Erden bey euch, von
allem das aus dem Kasten gegangen ist,

was für Thiere es sind, auf Erden.“’ Diese
Wiederholung der Worte: ‘„mit euch“’ in Verbin-
dung mit denen: ‘„die aus dem Kasten gegan-
gen
“’ und in Beziehung auf den an Noah ergan-
[Seite 83] genen Befehl: ‘„Du sollt in den Kasten thun aller-
ley Thier, von allerley Fleisch, daß sie lebendig blei-
ben bey dir“’ deuten auf einen offenbaren Unter-
schied zwischen den Thiergattungen, die Noah
mit in die Arche nahm, und die wieder mit ihm
herausgingen – und allen übrigen Thieren
auf der Erde.
Hier zeigt uns die Geologie, wa-
rum die Israeliten nicht in diesen Ausdrücken (wie
die Ausleger, welche die Natur der Sündfluth selbst
aus dem Gesichte verlohren) einen widrigen Sinn
fanden: sie wußten, daß nach dem Verlaufen des
Wassers am Ende der Sündfluth eine Menge
Thiere von den Bergen herabkamen und sich in dem
Maaße, wie sie weitern Unterhalt für sich fanden,
in die benachbarten Gegenden verbreiteten. Dies ist
es, was wir oben in den alten Mythologien figür-
lich durch jenes Wasser des Lebens, welches am
Fuße der Berge hingeflossen wäre, ausgedruckt ge-
funden haben.

35.

Setzen wir also die dem Menschen unmittelbar
nöthigen Thiere, und die, welche Noah aus beson-
dern Ursachen mit in die Arche nehmen sollte, um
ihr Geschlecht zu erhalten, (z.B. den Raben) bey
Seite; so sind die neuen Länder von ihren Bergen
mit Thieren, eben so wie mit Pflanzen, bevöl-
kert worden. Auf diese Art erklärt sich auch die Er-
[Seite 84] scheinung mit den Knochengerippen, die wir in unsern
Landschichten bis nach Norden hin finden, die
solchen Thieren zugehören, welche jetzt blos zwi-
schen den Wendekreisen leben. Zur Zeit der
Sündfluth lebten diese Thiere noch in unsern Gegen-
den; dies wissen wir unter andern aus der Menge
von Elephantenzähnen, welche in gewissen nord-
lichen Gegenden sind gefunden worden, und zwar in
einem so guten Zustande, daß man sie wie Elfen-
bein
verarbeitet hat; auch aus dem Gerippe des
Rhinoceros, welches in Sibirien entdeckt wurde,
welches, nach dem Berichte des Hrn. Pallas, selbst
noch ein Stück von seiner Haut mit ihrem Haar
bey sich hatte. Diejenigen von diesen Thieren, wel-
che sich bey der Entstehung unsers Continens auf
den neuen Gebirgen fanden, verbreiteten sich, so
wie alle andere Thiergattungen, in die benachbar-
ten Gegenden; wo sie aber eben dasselbe Schicksal
erfuhren, wie die Pflanzen. Es pflanzten sich an
jedem Ort sonst keine fort, als denen der neue Zu-
stand der Dinge zuträglich seyn konnte. Dies er-
klärt denn auch, warum sich in jeder Gegend nur be-
sondre Arten von Pflanzen und Thieren finden,
die ihnen ausschließlich eigen sind. Dieses ist ein
wichtiger Gegenstand für die Geologie, auf welchen
ich wieder in meinem folgenden Briefe, wo ich vom
Ursprung der organisirten Geschöpfe handle, zu-
rückkommen werde.

36.
[Seite 85]

Alles hat in dieser erhabenen Erzählung des
Mosis das Gepräge van Charakteren, welche
bis zum Urheber der Natur selbst hinaufstei-
gen. Ich rede hier von dem feyerlichen Bunde,
dessen Gott die Bewohner der neuen Erde wür-
digte und wovon das Zeichen im 9ten Kap. Vers
12 und 13. der Genesis auf folgende Weise ge-
sagt wird: ‘„Und Gott sprach: das ist das Zei-
chen
des Bundes, den ich gemacht habe, zwischen
mir und euch, und allem lebendigen Thier bey euch
hinfort ewiglich. Meinen Bogen hab' ich gesetzt in
die Wolken, der soll das Zeichen seyn des Bun-
des,
zwischen mir und der Erden“’. Ich werde
gleich anzeigen, was uns dieser große Gegenstand in
Hinsicht auf Physik und Geologie dargestellt, und
alsdann werde ich die Beweise bemerklich machen,
weiche uns für die Wirklichkeit der Ereigniß noch
übrig sind.

37.

Ich habe schon oben Gelegenheit gehabt, daran
zu erinnern, daß der Regen nicht aus einer bloßen,
durch die Abkühlung bewirkten Verdichtung des
durch die Ausdünstung in die Luft erhobenen
Wassers erzeugt wird, sondern daß er durch einen
chemischen Proceß entstehe, bey welchem ein Theil
der atmosphärischen Luft selbst zersetzt wird, in ei-
[Seite 86] nen wässrigten Dunst übergeht, anfangs die
Wolken, und dann den Niederschlag des Wassers
bildet, welchen wir den Regen nennen. Im ge-
genwärtigen Zustande unsers Erdkörpers, beobachten
wir zwey sehr verschiedene Arten von Regen. Die
eine Art erstrekt sich über eine weitausgebreitete Ge-
gend, sowohl bey stillem Wetter, als auch beym We-
hen regulärer Winde; sie wird durch das Sinken
des Barometers vorher verkündiget und ist immer
von einiger Dauer, aber sonst von keiner weitern
Erscheinung begleitet. Ich will diesen den einfa-
chen Regen
nennen: der andere ist local und das
Barometer zeigt ihn selten an, seine Symptomen
sind heftig und kehren in neuen Anfällen zurück,
sind auch beständig mit Windstößen, die ebenfalls
local sind, begleitet. Zuweilen entstehen daraus
bloße Wassergüsse, allein manchmal sind sie auch
mit Hagel, Donner und Blitz und selbst mit Or-
canen
vergesellschaftet. Diesen will ich den stür-
mischen
Regen nennen. Zu diesem letztern gehört
nun auch der Regenbogen, weil er erfordert, daß
zu eben der Zeit, wo der Himmel an der Seite des
Horizonts, wo die Sonne steht, heiter, auf der
entgegengesetzten aber eine sehr niedrige und dicke
Wolke,
und zwischen beyden Stellen, wo sich auch
der Zuschauer befindet, eine andere Wolke sey, aus
welcher es regnet; ein Umstand, der sich nie beym
einfachen Regen ereignet, wo die Wolken zu
[Seite 87] hoch erhaben sind und auf einmal eine zu große
Strecke der Gegend einnehmen. Es regnet oder
schneyt also zu dieser Zeit auf den höchsten Bergen,
statt daß man beym stürmischen Regen nicht nöthig
hat, sehr hoch zu steigen, um ein Gewitter unter
seinen Füßen zu sehen, und wenn die ersten Anfälle
anfangen nachzulassen, so zerstreuen sich die Wolken
allenthalben auf einmal, ohne einen besondern
Regen.

38.

Um also die Frage ganz genau zu beantworten,
ob der Regenbogen den Menschen vor der
Sündfluth
bekannt gewesen sey, müßte man blos
wissen, ob es zu der Zeit Gewitterregen gegeben
hätte. Alles, was wir in dieser Rücksteht wissen,
daß bey allem, was Moses sagt, niemals etwas
von Hagel oder Donner in den Zeiten der Sünd-
fluth
erwähnt wird; weshalb wir genöthigt sind,
diesen Gegenstand nach den Grundsätzen der Physik
und Geologie zu betrachten, um zu beurtheilen, ob
es nicht möglich gewesen sey, daß der Regenbo-
gen
vor jener Revolution in unserer Atmosphäre ha-
be erscheinen können.

39.

Der einfache, und der stürmische Regen
haben zuverläßig eine gemeinschaftliche Ursache, nem-
[Seite 88] lich diejenige, welche die Luft zersetzt und sie in den
Zustand eines wässrigten Dunstes versetzt. Al-
lein es geht nie eine chemische Zersetzung vor, ohne
daß zugleich auch wieder eine andere neue Zusam-
mensetzung
bewirkt wird; es ist also nöthig, daß
sich irgend eine Flüssigkeit aus der Basis der At-
mosphäre
erhebt, und sich der Stoffe bemäch-
tigt, welche den wässrigten Dunst in Luft ver-
wandelt hatten, und dann bilden sich gewiß neue
Zusammensetzungen, die eben so vielen Einfluß
auf die irdischen Erscheinungen haben, als der Re-
gen
selbst: ihre Wirkungen sind uns, in Absicht des
einfachen Regens, noch unbekannt, allein wir be-
merken sehr beträchtliche während des stürmischen
Regens.
Mehrere Arten von Flüssigkeiten sind
im Stande, eine Umwandlung der Luft in einen
wässrigten Dunst zu bewirken. Allein die neuen
Verbindungen, welche sodann aus den von ihr
abgeschiedenen Theilen entstehen, sind eben so ver-
schieden, wie der Ort in der Atmosphäre, wo sie
vor sich gehen, wodurch also eine Verschiedenheit in
den Symptomen des Regens veranlaßt wird. Wir
wissen aber aus der Geologie, daß zur Zeit der
Sündfluth sehr große Veränderungen, nicht allein
in der Atmosphäre, sondern auch im Wasser des
Meeres
und selbst in Betracht der Erde, die nun
von einer neuen Art war, vorgiengen. Es ist also
natürlich, zu glauben, daß die stürmischen Regen
[Seite 89] eine von den Folgen der auf unserer Erde vorgegan-
genen Veränderungen haben seyn können, und daß
mithin der Regenbogen, der nach der Sünd-
fluth
erschien, ein neues Phänomen war, welches
so mit dem Zustande der Erde zusammenhieng, daß
es zu einen wahren Zeichen desjenigen wurde, was
Gott zum Noah, im 15 Verse des nämlichen
Kapitels, geredet hatte: ‘„daß nicht mehr hinfort ei-
ne Sündfluth komme, die alles Fleisch verderbe“’,
das heißt, daß sich künftig nicht mehr unter dem
neuen Continens Höhlen bilden sollten, die fähig
wären, dasselbe zu verschlingen und so dem Meere
Gelegenheit zu geben, sich aufs neue in ein Bette zu
stürzen, welches tiefer wäre, als das seinige.

40.

Wenn wir von dieser Idee ausgeben, daß der
Regenbogen damals zum erstenmal den Augen des
Noah und seiner Familie dargestellt worden ist,
so können wir uns vorstellen, wie sie über alle die
Umstände, durch die Neuheit und den Anblick, so
wie durch die Dazwischenkunft Gottes, welcher
ihnen denselben und ihren Nachkommen als ein Zei-
chen des Bundes
darstellte, müssen betroffen gewe-
sen seyn; und wir finden in dem Beweise, daß dieser
Eindruck wirklich statt gefunden habe, die Beweise
von der Begebenheit selbst, von welcher ich so eben
die unmittelbaren Ursachen gezeigt habe. Man kann
[Seite 90] hierüber in der Analysis of ancient Mythology
des Hrn. Bryant II. Vol. S. 341. den Ab-
schnitt nachlesen, welcher die Ueberschrift hat: Of
Iuno, Iris, Eros, Thamuz
; in welchem der ge-
lehrte und scharfsinnige Autor alle die Anspielungen
entwickelt, welche in diesen alten Mythologien
über dieses Zeichen, das er als eine Bezeichnung
der wichtigsten Epoche in der Geschichte des Menschen-
geschlechts betrachtet, enthalten sind. Der Regenbo-
gen,
der die göttliche Verheisung entweder vorstellet,
oder begleitet, und selbst als ein ausdrückliches Sinn-
bild
einer feyerlichen Betheurung anzusehen ist,
wurde ein Gegenstand des Gottesdienstes bey den
frühesten Völkern, die nicht zu den Nachkommen des
Sem gehörten; und Hr. Bryant führt S. 414.
eben dieses Bandes, ein besonderes Beyspiel hiervon
an, indem er eine Art von Sculptur beschreibt, die
in der Nähe des Magusfeldes in Persien in einem
Felsen gehauen, und vom Hrn. Thevenot copirt
worden war. In dieser ist Eros, als die göttli-
che Liebe,
durch ein geflügeltes Kind, auf einem
Regenbogen sitzend, vorgestellt, neben welchem die
Figur eines anbetenden Greises steht. Endlich
führt auch Hr. Th. Maurice S. 347. seines Werks
noch die Mythologie der Chinesen an, wo sie ih-
ren großen Fohi aus dem Regenbogen gebohren
werden lassen, der ausserdem alle Charaktere und
Attribute des Noah und der Sündfluth an sich
[Seite 91] trägt. Dieses sind dann sehr hervorstehende Züge
einer allgemeinen Tradition, welche auf den Re-
genbogen,
als ein großes Zeichen, hindeuten, und
welchen die Physik und Geologie ihre Beystimmung
geben. Betrachten wir nun die Simplicität, mit
welcher Moses dieses Umstandes Erwähnung thut,
so finden wir darinn sowohl die Gewißheit, welche
die Israeliten aus den Traditionen ihrer Vor-
ältern davon erkannten, als auch einen neuen Be-
weis, daß er bey seiner ganzen Erzählung immer
auf diese Traditionen rechnet.

41.

Ich erwähne hier noch eines sehr merkwürdigen
Umstandes, welcher beydes, die Nachricht von der
Sündfluth und die von den Begebenheiten, wel-
che den ersten Menschen betrafen, umfaßt; näm-
lich dasjenige, was wir bereits in Absicht der Pflan-
zen,
welche der Cultur zu ihrer Erhaltung bedürfen,
vor uns gehabt haben. Indem Moses den Gar-
ten Eden,
blos in Hinsicht auf den Ursprung des
Bösen auf der Erde, und auch das von der göttli-
chen Weisheit dagegen angekündigte Heilmittel
beschreibt, erwähnt er folgender Umstände: ‘„Und
es gieng aus von Eden ein Strom zu wässern den
Garten, und theilete sich daselbst in vier Haupt-
wasser.
Das erste heist Pison _.... das zweite
heist Gihon _.... das dritte heißt Hidekel, wel-
[Seite 92] ches gegen Assyrien fließt, und das vierte Wasser ist
der Phrat“’. Dies ist, sage ich eine Beschreibung,
welche Moses im zweiten Kapitel der Genesis
gegeben hat,*) und sie konnte seinem Geiste nicht
anders als gegenwärtig seyn, da er im sechsten Ka-
pitel die Geschichte der Sündfluth anfieng. Die
Israeliten, an die er sich wendete, kannten sehr gut
ein Assyrien und einen Euphrat, allein diese la-
gen an ganz andern Orten; in jenen Gegenden exi-
stirte kein Fluß, der sich in vier Hauptwasser
theilte, von welchen eins der Euphrat gewesen,
und ein anderes gegen Assyrien geflossen wäre;
wie konnten sie also diesen ersten scheinbaren Wi-
derspruch in der Mosaischen Erzählung mit den
Thatsachen ertragen?

42.

Wir werden hier, vom Anfang der Genesis
an, so wie ich es in allen den ihr zugehörigen Stel-
len, die ich bisher beleuchtete bemerklich gemacht habe,
finden, daß die göttliche Quelle, woraus sie geflossen
ist, sich selbst bey allen den anscheinenden Unwahr-
scheinlichkeiten
zu Tage legt, welche diejenigen da-
rinn erblicken, die sie nicht mit Aufmerksamkeit
studirt haben. Im zweiten Kapitel, wo Moses
[Seite 93] von dem Garten Eden spricht, beschreibt er einen
Ort, der zum alten festen Lande gehört; allein
da er auf die Geschichte der Sündfluth im sechsten
Kapitel kommt, fängt er dieselbe mit der Erklärung
Gottes an Noah an, daß dieses Land solle zer-
stört werden. Die Israeliten hatten also gar kei-
nen Anlaß, die kritische Bemerkung zu machen,
deren ich vorhin erwähnt habe; sie wußten, daß die
Benennungen: Assyrien und Euphrat, antidilu-
vianisch und blos auf das neue Land übertragen
worden waren, wie man dieses nachher bey allen
Colonien eben so gefunden hat, daß sie nemlich die
neuen Oerter in den Gegenden, wo sie sich nieder-
ließen, nach den ähnlichen Oerten benannten, welche
sich ist ihren vaterländischen Gegenden befanden.
Moses beschreibt, indem er vom Garten Eden
spricht, einen wirklichen Ort; denn er war nicht fä-
hig, eine solche Ungereimtheit zu sagen, welche das
Gegentheil vorausgesetzt haben würde; aber dieser
Ort existirte damals nicht mehr, weil die Länder, wo
er gelegen hatte, zerstört worden waren. Die
Geologie, welche die Erzählung Mosis commen-
tirt, leitet uns selbst darauf, zu glauben, daß dieser
Ort gleich damals untergegangen sey, wie Adam
und Eva aus diesem Aufenthalte, wo sie dem gött-
lichen
Befehl nicht Gehorsam geleistet hatten, ver-
trieben wurden, und sich genöthigt sahen, Ackerbau
zu treiben, um sich ihren Unterhalt zu verschaffen;
[Seite 94] es ist, sage ich, nach der Erzählung Mosis sehr
wahrscheinlich, daß ein Vulkan ihnen den Eingang
zu jenem ihrem ersten Wohnorte verriegelt habe, in-
dem sich derselbe unter das Wasser des Meeres ver-
senkte. Ich habe schon gezeigt, daß die vulkani-
schen Ausbrüche
einen Theil der Geschichte des
alten Meeres ausmachen: und Moses gedenkt
eines flammenden Schwerdes, welches den Eintritt
in den Garten verwehrte; und es kommt auch noch
an andern Orten der heiligen Schrift der Ausdruck
vor: daß Gott die Feuerflammen zu seinen
Dienern gemacht habe.

43.

Nachdem endlich Moses die Erzählung der
vornehmsten Umstände der Sündfluth und der er-
sten Niederlassung des Noah und seiner Familie
auf dem neuen Lande beendigt hat, kommt er auf
die Nachkommenschaft. Er beschreibt sogleich die er-
sten Generationen der drey Söhne des großen Pa-
triarchen, um die Wege zu bezeichnen, welche sie
nahmen, indem sie ihre ersten Niederlassungen ein-
richteten. Auf diese Art setzen wir den Ursprung der
Traditionen der Sündfluth bey den heydnischen
Völkern. Indem er sich nachher auf die Nachkom-
menschaft des Sem einschränkt, die sein vornehm-
ster Gegenstand war, eignet er sogleich dem Noah
eine Lebensdauer zu, die derjenigen gleich war,
[Seite 95] die er den Vätern vor der Sündfluth ange-
wiesen hatte. Sein ganzes Alter war, sagt er, 950
Jahr. Von hier läßt er die Lebensdauer der Men-
schen abnehmen; denn Sem wurde nur 600 Jahr
alt; und nichts desto weniger wird bey dieser all-
mähligen Abnahme, Abraham, der gemeinschaft-
liche Stammvater der Israeliten, um welchen sie
beständig mit ihren Gedanken herumgegangen sind,
noch mit einem Alter von 175 Jahren vorgestellt;
nach welchen denn das gemeine Lebensziel der Men-
schen nach und nach bis auf die gegenwärtige Dauer
herab kam. Dieses ist der letzte geologische Zug
in der mosaischen Erzählung, (indem das Uebri-
ge nichts weiter, als eine Geschichte des hebräischen
Volks ist,) und wichtig genug, ihn näher zu
prüfen.

44.

Die Mythologieen der alten heydnischen Völker
legen ihren ersten Personen ebenfalls eine sehr lan-
ge Lebensdauer bey; und nach den Umständen, die
ich vom Ursprunge ihres Götzendienstes beyge-
bracht habe, ist es natürlich zu glauben, daß die
wahren Thatsachen über diesen Punkt, auch ihre Ein-
bildungskraft so weit erhöheten, daß sie den Stif-
tern des neuen Menschengeschlechts eine Unsterb-
lichkeit
zuschrieben und zugleich nach Verhältniß den
Abstand der Zeit vergrößerten, in welcher sie auf der
[Seite 96] Erde erschienen waren. Alles wurde Riesenmäßig
in den Vorstellungen dieser ersten Völker, so wie ih-
re Traditionen die einzigen Quellen ihrer Kenntnisse
wurden; indem sie wahre Wunder enthielten; und
wie sie auf solche Weise die Thatsachen selbst je
mehr und mehr entstellten, so ist es nicht zu ver-
wundern, daß aus ihren Zeitbüchern endlich völlige
Fabeln geworden sind.

45.

Könnte nun Moses, wenn er nach der
Meynung der Ungläubigen aus diesen Quellen ge-
schöpft hatte, wohl die Abgeschmacktheit begangen
haben, die Hülle der Zeit, in seiner Chronologie,
soweit abzulegen, daß er den Israeliten nichts als
eine kleine Anzahl Generationen von Noah bis
Abraham, ihrem gemeinen Stammvater, dar-
gestellt und nichts destoweniger in diesem kleinen Zeit-
raum das primitive Lebensalter der Menschen die-
ses Geschlechts von 950 bis 175 Jahren herabgesetzt
hätte; eine Dauer, die sich noch um die Hälfte von
Abrahams Zeiten bis auf die, wo er schrieb,
herabsetzte? Nein, so macht man es nicht, wenn man
erdichten will; man muß schlechterdings annehmen,
daß Moses darauf rechnete, seinen Credit nicht zu
verlieren; und wir sehen noch bis auf den heutigen
Tag, daß er nichts, als die Wahrheit, sagte, weil
unser Continens, dieses unverstellbare Heiligthum
[Seite 97] der Chronometer seine Zeitrechnung bestä-
tiget.

46.

Auch hier haben die leichtsinnigen Ausleger der
Genesis durch ihre Systeme, den Ungläubigen
viel Stoff zu ihren Argumenten gegeben; indem sie
die Ausdrücke dieses erhabnen Buchs, wie ein bleyer-
nes Richtscheit,
krümmten und bogen; und so
mußte es also bisweilen dahin kommen, daß man ent-
weder widersprechen, oder sich zu sehr auf alte astro-
nomische Denkmäler stützen mußte. Ich werde nicht
weiter in diese Details hinein gehen, weil ich hier
noch zeigen will, daß der buchstäbliche Sinn der
Genesis die Wahrheit ist. Ich will mich
indessen einen Augenblick bey einer nicht unerhebli-
chen Betrachtung, welche Bezug auf diesen Gegen-
stand hat, verweilen.

47.

Ich habe hier die Chronologieen zum Augen-
merk, welche unmittelbar aus den alten astrono-
mischen Denkmälern,
von welchen ich vorhin re-
dete, gezogen sind, in der Voraussetzung, daß nichts
seitdem, weder in Absicht der Bewegung, noch der
Lage der Erde, vorgekommen sey, welches mit
den Ursachen oder den Gesetzen, womit sich die
Astronomie beschäftigt, fremd wäre; allein dies
[Seite 98] kann die Geologie nicht zugeben, indem die Revo-
lution,
welche die Sündfluth bewirkte, in jener
Rücksicht auch einigen Einfluß auf unsere Erdkugel
haben mußte. Erwägt man also nur die statischen
Folgen, welche die plötzliche Versetzung einer Mas-
se,
wie das Wasser des Meers war, haben mußte,
so sieht man, daß die Geschwindigkeit und Rich-
tung
in der Bewegung der Theile dieser Masse,
gleichermaßen verändert werden, und so, einigen
Einfluß auf die Geschwindigkeit, Tendenz der
Richtung in der Bewegung der Theile des Erdkör-
pers, wo sie bald beschleunigt, bald aufgehalten wur-
den, woraus denn nothwendig eine Abänderung in
der Rotation um die Axe in der Lage der Pole,
oder der Neigung der Axe gegen die Ebne ihrer
Bahn, erwachsen mußte. Auf der andern Seite
hatte das gesunkene Erdreich, und ein Theil des
Meerwassers die großen Hölen im Innern der
Erde ausgefüllt, wodurch der Schwerpunkt merk-
lich verrückt und in der Richtung des Pendels
an einigen Stellen der Oberfläche eine Abänderung
zu erwarten war. Diese Abänderungen waren ohne
Zweifel nur klein, aber doch beträchtlich genug, um
den Chronologieen einiger asiatischen Völker, wel-
che blos einige astronomische Traditionen zum
Grunde haben, ihren Credit zu benehmen, weil man
daselbst der zwischen den alten und neuen Beobach-
tungen verflossenen Zeit Veränderungen zuschreibt,
[Seite 99] welche in einem sehr kurzen Zeitraum haben bewirkt
werden können.

48.

Ich habe die astronomischen Fragmente,
welche man bey den asiatischen Völkern gefunden hat,
Traditionen genannt, weil Hr. Bailly gezeigt hat,
daß diese Fragmente einen frühern Ursprung gehabt
haben, als diese Völker selbst. Allein nach allem dem,
was ich bisher bewiesen habe, können sich diese Tra-
ditionen von Niemand anders, als von Noah
herschreiben, das heißt, vom ersten Menschen des
neuen Geschlechts;
und eben dies sieht man auch
noch aus den alten Mythologieen, wo die wichti-
ge Person,
von welcher sie alle menschlichen Kennt-
nisse ableiten, unter andern auch so vorgestellt wird,
daß er sie in der Astronomie unterrichtet gehabt
habe. Es kann also diese Wissenschaft ihren Grund
nicht in ihren eignen Einsichten haben; und zu Fol-
ge des Hangs, den ihre Einbildungskraft in jedem
Betracht hatte, artete sie in Astrologie aus. Man
kann diesen Gang in den Schriften des Hrn.
Bryant und des Hrn. Th. Maurice verfol-
gen, wo man besonders diesen Ursprung der Astro-
nomie
unter dem neuen Menschengeschlecht, S.
346. des letztern Werks, sehen kann.

49.
[Seite 100]

Ich komme nun auf die lange Lebensdauer
sowohl der Menschen vor der Sündfluth, als der
erstern Generationen, nach derselben. Umstände,
die sich gar nicht schwer aus physischen Ursachen ent-
wickeln lassen, weil wir schon große dahin deutende,
allmähliche Veränderungen gesehen haben, denen alle
Classen der organisirten Geschöpfe unterworfen
gewesen sind, und dies besonders seit der Sünd-
fluth.
Diese Veränderungen, welche Folgen von
denen waren, die sich innerhalb und ausserhalb unseres
Erdballs zutrugen, waren auch die Wirkungen der
nämlichen Ursachen, welche so viele andere von ver-
schiedener Art bewirkt haben, und von welchen ich
die nähern Umstände in diesen Briefen angegeben ha-
be. Also begreift man sehr gut aus der Analogie,
daß das lange Leben der Menschen vor der
Sündfluth
mit dem Zustande zusammenhängt, in
welchem sich damals die Erde befand, und daß die
Familie des Noah, die auf den neuen Erbbo-
den
eine sehr starke Leibeskonstitution mit-
brachte, dieselbe auf ihre Nachkommen fortpflanzte,
bey welchen sie nur nach und nach schwächer wurde.
Alles ist demnach durch eben die Ursachen mit ein-
ander verkettet, welche ich in dem Gange der irdi-
schen Phänomene, mit Einschluß der organisirten
Geschöpfe,
vorgezeichnet habe; und diese Phäno-
mene
sind es, welche, indem sie gegenwärtig den
[Seite 101] Schleyer der Mythologieen und der irrigen
Auslegungen der Genesis zerreißen, zugleich
auch alle Theile dieser Cosmologie, welche aus der
Quelle der Wahrheit selbst geflossen ist, unter
einander vereiniget.

50.

Was die Endursachen betrift, an welchen
nun wohl, wegen der vielen Beweise von der Da-
zwischenkunft Gottes,
bey den Ereignissen
auf der Erde nicht gezweifelt werden kann, ist es
wohl ebenfalls nicht schwer, sie in der Geschichte des
Menschenlebens zu entdecken. Die ersten Länder
waren mit keinen andern Menschen, als den Nach-
kommen Adams und Eva's, bevölkert; und
das jetzige feste Land enthält blos die Nachkommen
Noahs. Es ergiebt sich also hieraus eine sehr
erhabne Uebereinstimmung zwischen dem langen Le-
ben
der Menschen in diesen beyden Perioden, und
den raschen Fortschritten, welche sowohl die Be-
völkerung,
als auch die Aufnahme der Künste
gemacht hat, wovon wir so wenig affectirte Spu-
ren in der Erzählung Mosis finden; denn es
würde nicht schwer halten, zu beweisen, daß diese lan-
ge Lebensdauer wenigstens das vierfache der
Wirkungen des nemlichen Zeitraums erwarten läßt,
wo die Menschen kein höheres Alter, als das gegen-
wärtige, erreichen. Endlich da die Menschen nun
[Seite 102] auf ein Continens versetzt worden sind, welches
vom Meere nicht wieder verschlungen werden soll,
und dieselben sich nun so beträchtlich vermehrt haben,
daß sie sich in meistern Gegenden der Erde in großen
Haufen einander haben nähern müssen, so erblicken
wir auch hierinn einen erhabnen Ersatz von der
Weisheit des Schöpfers für die Verminderung
der Dauer des menschlichen Lebens; indem dadurch
auch die Zeit der Leiden bey den Individuen abge-
kürzt wird.

51.

Indem ich nun hier, m.H. die physische Er-
klärung der eilf ersten Kapitel der Genesis, wel-
che die Geschichte der Erde, seit der Zeit, wo das
Licht den übrigen Elementen, woraus sie besteht,
ist beygefügt worden, bis auf die Zeit der Beru-
fung Abrahams, beendige, muß ich Sie wie-
der an die Bewegungsgründe erinnern, welche mich
zu dem Studium veranlaßt haben, wovon diese
Briefe die Resultate enthalten. – Was läßt sich
mit Gründlichkeit vom Ursprunge und der Natur
des Menschen sagen, wenn man seine Ge-
schichte nicht kennt? – und wie kann man die Ge-
schichte des Menschen kennen, ohne in der des
Planeten bewandert zu seyn, welchen er bewohnt?
– Wie kann man die Geschichte dieses Planeten
erlernen, ohne sich dem Studium der Monumente
[Seite 103] seiner Revolutionen und allem dem, was die
Naturlehre uns von ihren Ursachen zu erkennen
geben kan, zu widmen? Sie sehen hieraus, wa-
rum ich beynahe 50 Jahre auf diese verschiedenen
Studien, das Studium des Menschen selbst, mit
eingeschlossen, verwendet habe, und wie sie dazu ge-
dient haben, meiner Seele den Glauben an unsere
göttliche Religion immer mehr und mehr einzu-
prägen; ich habe die Belohnung dafür in einer in-
nern Beruhigung gefunden, welche die Abwechse-
lungen meines Lebens, so groß sie auch gewesen sind,
niemals getrübt haben.

52.

Indem uns Gott in der Offenbarung zum
Studium der Natur einladet, hat er im vor-
aus auf die Wiederherstellung des Glaubens vor-
bereitet, im Fall etwa die Länge der Zeit, die Ver-
irrungen der Einbildungskraft, oder der Leidenschaf-
ten der Menschen Anlaß zur Entstehung des Un-
glaubens
sollte gegeben haben. Der Glaube ist
nach und nach unter den Menschen durch die Wun-
der,
von welchen sie Augenzeugen waren, und die sie
auf ihre Nachkommen brachten, gegründet worden;
und heutzutage wird er durch die Beweise von der
vormaligen Existenz der ersten und größten dieser
Wunder befestiget werden. Diese werden auch
nach und nach alle die Dunkelheiten zerstreuen, wel-
[Seite 104] che durch die Erdichtungen über die Natur
von Menschen hervorgebracht worden sind, welche das
Menschengeschlecht aufzuklären behaupten wollten;
alsdenn werden die Menschen wieder einsehen, daß
der höchste Gesetzgeber ihnen Unterricht und
Gesetze gegeben habe, und endlich gewahr werden,
welchen großen Einfluß es auf ihre Glückseligkeit hat,
niemand zu hören, als Ihn.

Es ist mir nun noch übrig, m.H. einen Ge-
genstand wieder aufzufassen, den ich bereits in mei-
nem vierten Briefe angekündigt habe. Er betrift
den Ursprung der organisirten Geschö-
pfe
unsers Erdbodens, wovon ich bisher blos die
Geschichte geliefert habe. Ich habe mir also vor-
genommen, diese Materie in meinem nächsten Briefe
*) abzuhandeln. Ich bin u.s.w.


Notes
*).
[Seite 16]

Iourn. de physique Ianv. 1793.

*).
[Seite 26]

Transact. philos. Vol. 74. p. 231.

*).
[Seite 46]

Iourn. de physique Ianv. 1792.

*).
[Seite 52]

Genes. VI. 13. nach Luthers Uebersetzung.

*).
[Seite 59]

Genes. VII. 17.

*).
[Seite 60]

Vers 18. 19.

*).
[Seite 92]

Genes. Kap. 2. Vers 10. u.f.

*).
[Seite 104]

Dieser Brief wird den Beschluß dieser schätzbaren
Reihe machen, und im nächsten Stücke erscheinen.



Blumenbach, Johann Friedrich and Deluc, Jean André. Date:
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