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Göttingisches
Magazin
der
Wissenschaften und Litteratur.
Herausgegeben
von
Georg Christoph Lichtenberg
und Georg Forster
.

Mit drey Kupfern.

Zweyten Jahrgangs Erstes Stück.


Göttingen,
bei Johann Christian Dieterich
1781
.

IV.
Prof. Blumenbach
über eine ungemein einfache Fortpflan-
zungsart.

[Seite 80]


Seit den etlichen Jahren, da die Untersuchung des
Bildungstriebes den grösten Theil meiner Muse beschäf-
[Seite 81] tigt hat, bin ich vorzüglich in den ersten Frülings-Mo-
naten auf die Erscheinungen des allgemeinen Erwachens
der belebten Schöpfung um so aufmerksamer gewesen,
je mehr Aufschluß ich mir von der Beobachtung ihres
alsdenn so sichtlich schnellen Wachsthums, für jenen Ge-
genstand versprechen durfte.

Die Hoffnung war zu billig und natürlich, als daß
sie hätte unerfüllt bleiben können.

Unter andern habe ich noch erst im letztverfloßnen
Februar eine Bemerkung zu machen Gelegenheit gehabt,
die ausser ihrem übrigen Interesse auch beyläufig einen
neuen und ungemein sinnlichen Beweis der Macht des
Bildungstriebes abgiebt.

Sie betrift die überaus einfache Fortpflanzungsart
eines eben so einfachen Gewächses, nemlich einer Gat-
tung Wasserfaden, die H. von Haller Conferva cespitosa
filis rectis undique divergentibus
nennt; die im Linnei-
schen System den Trivialnamen Brunnen-Conferve
(C. fontinalis) führt; und deren sich unkundige Leser doch
leicht aus beygehender Zeichnung (fig. 1.) erinnern können,
die auch die Kundigen wenigstens kenntlicher als die
bisher davon gegebenen Abbildungen bey Micheli und
Dillenius finden werden.

[Seite 82]

Das ganze Gewächs besteht blos aus einem einfa-
chen (nie getheilten), meist geraden, ohngefähr einen
halben Zoll langen, überaus feinen aber ziemlich festen
Faden, von schöner hellgrüner Farbe, der gewönlich mit
seinem untern Ende im Schlamm eingewurzelt ist. Da
aber diese Fäden meist zu vielen tausenden dicht neben
einander stehen, so kriegen sie dann zusammen, so wie
hier in der Figur das Ansehn eines feinhaarichten Pel-
zes, der sich zumal im Frühjahr gar häufig am Ausfluß
der Rörenwasser, an Quellen, in Gräben, Teichen
u.s.w. findet; und der, wenn er aus dem Wasser ge-
zogen wird, und die Fäden sich niederlegen, schwarzgrün,
schlüpfrig-glatt und fast wie ein nasses Mausefell aussieht.

Dieses pelzichte Moos dient einer Menge Wasser-
thiergen, besonders auch den ausnehmend schön gezeigt-
neten kleinen Regenwürmern die seit 36 Jahren durch
den Forschungsgeist des würdigen Bonner – so wie Er
durch sie – berümt worden, und mancherley Blumen-
Polypen, zum Aufenthalt: und eigentlich war es dieser
Thiere wegen, daß ich einige Klumpen solcher Brunnen-
Conferve in Zuckergläsern untersuchte, und gelegent-
lich an ihnen selbst die artige Erscheinung entdeckte, die
den Anlaß zum gegenwärtigen Aufsatz gegeben hat.

[Seite 83]

Ich bemerkte nemlich, daß ein Stück dieses Moos-
Pelzes das ich schon einige Tage im Glase gehabt hatte,
nach und nach hin und wieder auf der äusersten Ober-
fläche wie mit einem dunkelgrünen Staube bepudert
schien (s. fig. 1. linker Hand), und daß, wie ich nach ge-
nauer Untersuchung gewahr wurde, dieß die ungemein
sonderbare Fortpflanzungsweise dieses Mooses sey.

Die Spitze eines solchen Fadens (fig. 1.) schwillt
nemlich zu einem kleinen Eyförmigen Knöpfgen auf (fig.
2.), das sich nach einiger Zeit vom Faden trennt (fig. 3),
sich am nächsten liebsten Orte festsetzt (fig. 4.), und nun in
kurzen selbst wieder eine kleine Spitze austreibt (fig. 5.),
die sich fast zusehends immer mehr verlängert (fig. 6.),
bis sie endlich zu einem neuen vollständigen Wasserfaden
(fig. 7.) aufgewachsen ist.

Binnen zweymal 24 Stunden, von der ersten Spur
eines Knöpfgens auf der Spitze eines alten Faden an zu
rechnen, hatte der nachher daraus erwachsene neue schon
seine volle gewöhnliche Länge erreicht.

Beides, sowol das so schnelle Wachsthum, als auch
die durchsichtige Textur des Gewächses verschafften mir
den Vortheil seine völlige Ausbildung ganz unter meinen
Augen abwarten und penetriren zu können.

[Seite 84]

Der innere Bau dieses Mooses ist so einfach als
seine äussere Bildung. Auch bey der stärksten Vergrös-
serung und im hellsten Lichte ist in der ganzen Pflanze
schlechterdings nichts weiter als ein feines bläsriges Ge-
wehe, beynah wie ein grüner Gescht oder Schaum*) zu
erkennen, das durch eine äuserst feine kaum merkliche
äusre Haut umschlossen wird.

Die Farbe der Fäden ist hellgrün, etwa wie Chry-
solith: der Eyförmigen Knöpfgen ihre hingegen, wegen
der beträchtlichen Dicke, etwas dunkler, ohngefähr wie
Smaragd: in beiden Fällen aber eben so durchsichtig
als die genannten Edelsteine, so daß ich mit Hülfe des
Wilsonischen einfachen Vergrösserungs-Glases und eines
dabey angebrachten Erhellungs-Spiegels, das ganze Ge-
wächs, während des völligen Fortgangs seiner Ausbil-
dung so gut als einen Thautropfen ganz durchschauen
[Seite 85] und die mindeste in seinem innern vorgehende Verän-
derung aufs genaueste und deutlichste bemerken konnte.

Nun aber war bey aller dieser untrüglichen Deut-
lichkeit, in allen den unzäligen Eyförmigen Knöpfgen,
die ich selbst und auf meine Bitte mehrere im Gebrauch
der Vergrösserungsgläser sehr geübte Männer (nament-
lich die Hrn. Professoren Büttner und Lichtenberg) des-
halb untersucht, auch nicht eine Spur nicht einen Schat-
ten irgend eines präformirten Keims, eines solchen ein-
gewickelten Fadens als in kurzem aus diesem Knöpfgen
gebildet werden sollte, aufzufinden –: sondern –

Wenn jetzt der Knopf seine Reife erlangt hatte, so
trieb er aus einem seiner beiden Enden*) einen klei-
nen Auswuchs hervor, der blos dadurch zusehends ver-
längert ward, daß das im Knopf ihm zunächst liegende
bläsrige Gewebe in ihn hinüber getrieben, und er so
nach und nach immer mehr zu einem cylindrischen Faden
ausgedehnt wurde.

So wie aber dieser Faden sich verlängerte, so ward
im gleichen Maaße der Eyförmige Knopf kleiner, kug-
lichter, blaßgrüner –: völlig in dem Verhältnis so wie
[Seite 86] ich es II. und III. aufs genauste und bis auf die
kleinen Ungleichheiten im Umriß und beynah bis auf die
Anzal der Bläsgen, ganz nach der Natur radirt habe:
so, daß zuletzt, wenn das Gewächs nun seine bestimmte
Grösse erreicht hatte, nur noch ein kaum merklicher klei-
ner Wulst am untern Ende übrig blieb; der, so wie er
anfangs gleichsam die Frucht am alten Faden vorgestellt
hatte, nun dem Neuen statt Wurzel diente.

Es wäre zu wünschen daß viele physiologische Ver-
suche und Erfahrungen eben so sinnlich anschaulich erwei-
send, so gar nicht zweydeutig, so unwiederredlich wären,
als es dieser hier für die Zuverlässigkeit und Würksamkeit
des Bildungstriebes ist! Die Anwendung ist bey der mind-
sten Rückerinnerung dessen, was ich im 5ten Stück des
Magazins vom vorigen Jahre über diesen so wichtigen
Trieb gesagt habe, zu leicht zu finden als daß ich sie
hier erst wiederholen dürfte.

Also nur noch einige andre kleine Bemerkungen die
ich beyläufig an der Brunnen Conferve gemacht habe:

So viel ich in meinen Gläsern habe beobachten kön-
nen, so hat jeder dieser vielen tausend Wasserfäden sein
Knöpfgen getrieben, und sich die Masse folglich ums
alterum tantum vermehrt.

[Seite 87]

Die abgesonderten Knöpfgen fielen nicht zu Bo-
den, sondern stiegen im Wasser in die Höhe, und leg-
ten sich entweder unterwegs ans Glas an, oder wur-
den doch wenn sie auch mitten auf die Oberfläche des
Wassers gelangt waren, sogleich an den Rand getrieben,
so daß wenn das Stück Moos-Pelz den Boden des Gla-
ses gröstentheils einnahm, sich in kurzem eine Menge
Kügelgen zerstreut an der ganzen innern Seite des Gla-
ses, die mehresten aber oben auf der Oberfläche des
Wassers gleichsam wie ein grüner Ring ansetzten. So
wie nach und nach immer mehr Kügelgen von unten in
die Höhe stiegen, so ward dieser Ring auf der Ober-
fläche immer breiter, wie eine durchbrochne Scheibe,
die sich, wenn ich mehrere Klumpen Wasserfäden ins
Glas gethan hatte, endlich völlig schloß; so daß alsdann
die ganze Oberfläche des Wassers wie mit einer grünen
pelzichten Haut überzogen war, die aus lauter Kügel-
gen bestand, deren Fäden unterwärts ins Wasser wuchsen.

Nur wenn in einem hohen aber nicht weiten Glase
eine grosse Menge Wasserfäden beysammen lagen, und
sich folglich die Kügelgen auf der Fläche allzusehr an-
häuften, so mußten viele der zu oberst liegenden ihre
Fäden aufwärts in die freye Luft treiben. Doch habe
[Seite 88] ich diesen forcirten Amphibien weiter keinen Mangel,
sondern nur soviel angemerkt, daß sie nicht so gerade
als die im Wasser, sondern krumm und schräg wuchsen,
um sich wie es schien doch so wenig als möglich von ih-
rem angestammten Element ans dem sie nun verdrängt
waren, zu entfernen. In ihrer natürlichen Freyheit
sind sie aber diesem Zwang wohl nie ausgesetzt: und
wenn ich weite flache Gläser am Boden und an den
Seiten mit Erde und Teich-Schlamm bedeckte, nachher
behutsam mit Wasser füllte, und eine Partie solcher
Knöpfgen aus andern Gläsern drein that, so zogen sich
diese gar bald nach dem Rand und in den Schlamm,
der dadurch in wenigen Tagen mit dem grünen Moos-
Pelz überkleidet wurde.

Wie alt ein Solcher Wasserfaden werden muß ehe er
sein Knöpfgen treiben und sich fortpflanzen kan; und ob
dieß alsdenn nur ein- oder mehrmal in seinen Leben
geschieht u.s.w. kan ich noch nicht wissen. An den
jungen Fäden die ich nun seit drey Wochen unter mei-
nen Augen habe, ist noch keine Spur eines Knöpfgen
zu bemerken.

Um auch in grossen Gläsern wo sich während der
Fortpflanzung viele hundert Knöpfgen auf der ganzen in-
[Seite 89] nern Fläche anlegten, etliche wenige darunter doch immer
wiederfinden, und mit aller Genauigkeit beobachten zu
können, bezeichnete ich nur die nächste liebste Stelle
mit einem kleinen bisgen Wachs, das ich ausen in der
Gegend ans Glas klebte; und so konnte ich dann die Lage
oder Constellation und das stündliche Wachsthum der zu
nächst liegenden Knöpfgen ganz bequem und ohne irre zu
werden, aufzeichnen.

[[I]]

Appendix A

[Tab.]
xxx
Notes
*).
[Seite 84]

Schon durch diese Textur unterscheidet sich diese Brunnen-
Conferve von der ihr sonst zunächst verwandten Bach-
Conferve (C. rivularis linn.), als bey welcher die
Elenlangen aber überaus zarten und beynah schlei-
michten Fäden aus einer einfachen Reihe unbeschreiblich
schöner flockichter oder flammichter grüner Kügelgen be-
stehn, die in einen äuserst dünnhäutigen Röhrgen lie-
gen, paarweise wie durch zarte Fächergen von einander
abgesondert sind; und sich unter starker Vergrösserung
mit einer ausnehmenden Eleganz zeigen.

*).
[Seite 85]

Ich kan nicht sagen ob aus dem womit er sich vorher
vom alten Ende losgegeben oder aus dem andern?



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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