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Göttingische
gelehrte Anzeigen.
Unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band
auf das Jahr 1825.

Göttingen,
gedruckt bey den Gebrüdern Baier.

Stuttgart und Tübingen.

[Seite 1031]

Bey Cotta: Bemerkungen über die Geschichte
und Behandlung der venerischen Krankheiten. Von
Dr. V.A. Huber. 124 S. in Octav.

Die gehaltreiche Schrift begreift zuförderst die so
vielseitig wichtige Frage vom Ursprung der Lust-
seuche, besonders ihrer vorgeblichen Abstammung
aus America; und dann die neuerlich oft und
viel besprochne, sogenannte einfache Behandlung
des Uebels, ohne Mercurialmittel. Ueber beide
fragliche Gegenstände seine Ansichten mitzutheilen,
konnte sich der schon durch andre Schriften vor-
theilhaft bekannte Verf. berufen fühlen, da ihm
seine mehrjährigen gelehrten Reisen durch die Py-
renäische Halbinsel und die dadurch erworbene so-
lide Sprachkenntniß, so wie nach Schottland und
England, häufige Gelegenheit zur Beobachtung und
zum Nachforschen über dieselben darboten. – So
viel auch in Betreff der erstern Frage, zumahl seit
Astruc und Sanchez geschrieben worden, so waren
doch die Acten darüber bey weitem noch nicht als
geschlossen anzusehen; und es ist ein Verdienst des
Verf., daß er sich einer strengern Revision der be-
deutendsten derselben, vornemlich von Spanischen
Zeitgenossen aus dem Ende des 15ten und Anfang
des 16ten Jahrhunderts unterzogen, und sie mit
andern gleichzeitigen und ältern Quellen, nament-
lich auch aus deutschen Chronisten verglichen hat;
woraus sich denn offenbar das Resultat ergibt, daß
die venerischen Krankheiten in mancherley Formen
allerdings Jahre lang vor Colon’s Entdeckungsrei-
sen im europäischen Mutterlande einheimisch gewe-
[Seite 1032] sen. – Zunächst von der in verschiedenen Ländern
auch noch neuerlich beobachteten Selbstentstehung
syphilitischer und mancher ähnlichen Uebel, ohne
vorgängige Ansteckung; durchgehends mit Scharf-
sinn, aber auch mit unparteyischer Rücksicht auf
die Einwendungen, welche sich dagegen machen las-
sen. Hierbey besonders von den bey diesen Unter-
suchungen so oft zur Sprache gekommenen, jetzt nur
in einige Winkel der Schottischen Hochlande ver-
drängten Sibbens; auch aus eignen Ansichten –
dann hauptsächlich von dem neuerlichzumahlen von
Edinburgh aus so sehr empfohlenen simple Treat-
ment
der venerischen Krankheiten. Auch hier spricht
der Verf. als Augenzeuge, zumahl in den Militär-
Hospitälern, und gibt zugleich eine sehr verdienstliche
Uebersicht und unparteyische Würdigung der von
jenen Aerzten über die einfache Behandlung der sy-
philitischen Krankheiten ohne Mercur, geäußerten,
theils sehr verschiednen Meinungen. Prüfung der
dagegen vorgebrachten Zweifel und Einwendun-
gen, z.B. daß bey der einfachen Behandlung secun-
däre Symptome häufiger seyen; dem sey wohl
so, aber dieser Nachtheil werde durch die außeror-
dentliche Milde und Gutartigkeit derselben hinläng-
lich compensirt. Es lasse sich mit vollem Rech-
te schließen, daß die heftigen und verwüstenden
Symptome, welche in den Ländern, wo der meiste
Mercur angewandt wird, bemerkt werden, als Wir-
kungen dieses Arzneymittels selbst anzusehen seyen.
Bey alle dem aber gibt der unbefangne Verf. selbst
am Schluß seiner Schrift eine vergleichende Ueber-
sicht der Fälle, wo Quecksilber von Nutzen, viel-
leicht unentbehrlich ist.




Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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