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Göttingische
gelehrte Anzeigen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band
auf das Jahr 1817.

Göttingen,
gedruckt bey Heinrich Dieterich.

Göttingen.

[Seite 1153]

In der Versammlung der Königlichen Societät
der Wissenschaften am 19. d.M. legte der Herr Ober-
medicinalrath Blumenbach einen ihm zu dieser
Absicht von ihrem Mitgliede dem hochverdienten
Weltumsegler Capitain von Krusenstern eingesand-
ten handschriftlichen Aufsatz vor, worin ihr dieser
außer einem Auszuge aus dem Journale den jetzt
auf der zweyten Russischen Weltreise begriffenen
Lieutenants von Kotzebue, vorzüglich seine eignen
critische Bemerkungen über die von le Maire und
Schouten im Jahre 1616 und von Roggewein im
Jahre 1722 auf der Südsee gemachten nautisch-
geographischen Entdeckungen mittheilte.

Bekanntlich hatte ein edler Kenner und thätiger
Beförderer der Wissenschaften, der Russische Reichs-
canzler Graf Romanzoff vor zwey Jahren auf
eigene Kosten ein Schiff, den Rurik, ausrüsten lassen,
das unter dem Commando eines trefflichen Marine-
Officiers, der selbst schon als Cadet die Krusen-
sternsche Weltreise auf der Nadeshda mitgemacht
hatte – des schon genannten Lieutenants Otto
[Seite 1154] von Kotzebue
– eines Sohnes des berühmten
Kaiserlich Russischen Etatsraths, von neuem eine
Entdeckungsreise um die Erde machen sollte.

Die dem Commandeur für seine Fahrt ertheilte
Instruction ging weislich auch dahin, daß er auf
dem großen Ocean besonders mehrere von den ge-
dachten Holländischen Seefahrern vor circ. 100 und
200 Jahren entdeckten aber seitdem von keinem
Europäischen Reisenden wieder besuchten Inseln auf-
suchen, und somit die Lage dieser vor der Hand doch
noch problematischen Eilande genau bestimmen sollte,
da bisher die Meinungen der neuesten classischen
Bearbeiter dieses wichtigen Theils der Nautischen
Geographie, Alex. Dalrymple’s, Fleurieu’s, und
Capt. Burney’s getheilt waren. Freylich war die
Aufgabe schwierig genug; da es für die Navigation
– zumahl bey stürmischem, trübem Wetter oder
plötzlichen Windstößen – kaum ein gefährlicheres
Meer gibt, als eben den von jenen Holländern von
O. nach W. befahrnen Strich der Südsee, der mit
den niedrigen, theils kaum über die Meeresfläche
herausragenden Corallen-Inseln und Riffen gleich-
sam besäet ist. Doch kamen dem Lieutenant von K.
außer seinen tüchtigen Kenntnissen auch die mäßige
Größe seines Schiffs und sehr günstiges Wetter zu
statten, so daß er, wie schon die von ihm ein-
geschickten Karten beweisen (aus welchen Herr
von Krusenstern eine kleine Generalkarte – vom
14. bis 16° S. Breite und 137. bis 149° W. Länge
von Greenwich – gezogen, und der Königl. Societät
mitgetheilt hat) mehr von diesen berufenen Co-
ralleninseln gesehen, und sie genauer erforscht hat,
als irgend einer seiner Vorgänger.

Nachdem er den Brasilischen Hafen von St.
Catharina den 28. Dec. 1815 verlassen, den 26. Jan.
das Cap Horn umschifft, und den 13. Februar un-
weit Conception an der Küste von Chili geankert
[Seite 1155] hatte, so richtete er von da seinen Lauf zuerst nach
der für Geologie und Ethnographie so merkwür-
digen Osterinsel, wo er den 28. März vor. Jahres
landete, aber die abenteuerlichen colossalen, aus
schwammiger Tuffwacke gehauenen Büsten (– die
auf dem herrlichen Blatte von Woollett zu Cook’s
zweyter Reise so ganz anders als im Atlas zu der
von la Perouse abgebildet sind –) meist alle zerstört
fand. – Capitain Kr. hatte vor mehreren Jahren
in einer eignen Abhandlung die Vermuthung geäußert,
daß das von John Davis im Jahre 1687 gesehene
aber nicht betretne Land von Roggewein’s Paaschen
eyland
verschieden und östlicher etwa zwischen dem
90. und 95° der Länge zu suchen sey: nimmt aber
nun seine Hypothese zurück, da es Lieutenant K. in
jener Gegend nicht gefunden. Dieser nahm nun
seinen Lauf von der Osterinsel zunächst nach der
Gegend, wo die von Le Maire und Schouten ent-
deckte Hunde-Insel liegen sollte, fand auch wirk-
lich den 16. April im 14° 50′ S. Breite und
138° 47′ W. Länge eine niedrige, wie fast alle jene
Coralleneilande mit einem See (Lagoon) in ihrer
Mitte versehene Insel, auf welcher keine Einwohner
zu sehen waren, und die er die zweifelhafte nannte,
vom der es aber Capitain Kr. mehr als bloß wahr-
scheinlich macht, daß sie wirklich die Hunde-Insel
ist. (– Ein gar seltsames qui pro quo, wodurch
diese Südsee-Insel mit einer gleichnahmigen an der
Ostküste von Grönland verwechselt worden, ist bey
Blumenbach de generis hum. variet. nativa
p.
227. ed. 3. berichtigt. –)

Auf der weitern Fahrt nach W. fand Herr v.K.
fast unter der gleichen Breite (14° 57′ 20″) und
144° 20′ 30″ Länge eine ähnliche aber kleinere
Coralleninsel, an welcher er trotz der sehr starken
Brandung landete, und die mit der üppigsten Ve-
getation bedeckt war, oder vielmehr einem sehr schön
[Seite 1156] unterhaltenen Garten glich, sich auch besonders
dadurch auszeichnete, daß sie keinen Lagoon hatte.
Man traf keine Einwohner, konnte aber aus mehrern
Anzeigen schließen, daß sie entweder noch vor kurzem
bewohnt gewesen, oder doch von benachbarten In-
sulanern besucht werde. Da dieß die erste von den
neuen Entdeckungen war, die Lieutenant K. auf
seiner Weltreise gemacht hat, – denn auch Herr
v. Kr. zeigt in dem Aufsatz den wir vor uns haben,
daß diese Insel weder Schouten’s Sondergrund,
noch auch Roggewein’s Carlshof seyn könne – so
nannte sie jener nach dem Nahmen des edlen Urhe-
bers diesen großen Unternehmung, Romanzoffs-
Insel.

Hingegen führt Capitain Kr. Gründe an, die es
wahrscheinlich machen, daß die vom Lieutenant K.
bald hernach unter 14° 41′ S. und 144° 59′ 30″ W.
erblickte mit einem Lagoon versehene Insel, die den
Nahmen Spiridoffs-Insel erhielt, wohl die west-
lichste der zwey Inseln sey, die der Commodore
Byron King George’s Islands nannte, denen nach-
her auf den neuesten Karten des großen Oceans
von Arrowsmith, Espinosa und Purdy noch zwey
westlichere beygefügt sind, die aber, wie er ferner
zeigt, als nichtexistirend wieder weggelassen wer-
den müßten.

Eine große Gruppe von Inseln, die mit Bäumen
stark bewachsen und durch Corallenriffe unter ein-
ander verbunden sind, nannte Herr von Kotzebue
nach dem Schiffe die Kurikskette. Ihre östliche
Spitze die in 15° 20′ S. und 146° 30″ W. Länge
liegt, wird von einer ähnlichen östlichen Gruppe
die Cook Palliser’s Isles nannte, die aber ohne
Zweifel mit Roggeweins schädlichen Inseln einerley
ist, durch einen Canal getrennt den der Lieutenant
K. den 23. April durchsegelte. – Capitain Kr.
zeigt, daß nach aller critischen Prüfung die Ruriks-
[Seite 1157] kette so gut als eine ganz neue Entdeckung anzu-
sehen ist.

Kaum hatte man diese Inselkette aus dem Ge-
sichte verloren, so zeigte sich eine neue aber noch
größere in W.t.S.; die eben so wie jene aus
mehreren, theils ansehnlich großen durch Corallen-
riffe mit einander verbundenen Inseln bestand, und
deren Südseite, längs welcher man segelte, in einer
Richtung von W.t.N. und O.t.S. eine Ausdeh-
nung von 72½ Nautischen Meilen hatte. Es ist die-
selbe die der Commodore Byron 1765 the Prince
of Wales’s Island
nannte, und die auf Arrow-
smith’s Karte unter dem Nahmen von Dean’s Insel
steht; die aber Capitain Burney für Schouten’s
vor 200 Jahren entdecktes Vliegen Eyland hält,
welcher Meinung auch Capitain Kr. beypflichtet,
und die andern gedachten Nahmen künftig auf den
Karten wegzulassen rathet.

Genau im Westen, 15 Meilen von der W. Spitze
dieser Fliegen-Insel entdeckte der Lieutenant K. noch
eine solche durch Corallenriffe zusammenhängende
Inselgruppe, deren Mitte unter 15° 00′ S. und
148° 41′ W. liegt, und sich durch die besondere
Eigenthümlichkeit auszeichnet, daß aus der Mitte
ihres Lagoon’s eine kleine stark mit Bäumen be-
wachsene Insel hervorragt. Der Entdecker gab dieser
Kette den Nahmen der Krusensterns-Inseln, und
richtete von da seinen Lauf nach W.N.W., um die
von Roggewein entdeckten Baumanns-Inseln (– von
deren Bewohnern der Verf. der einzig authentischen
Beschreibung jener merkwürdigen Weltreise, der
Meklenburgische Pfefferkuchen-Becker Behrens sagt:
sie seyen ‘“mehrentheils weiß, und die hübschesten
und allerartigsten Menschen,”’ welche er auf der
ganzen Südsee gesehen –) in der Gegend aufzu-
suchen, wo Fleurieu glaubte, daß sie liegen müßten.
Er sah jedoch kein Land, und es möchte wohl jetzt
[Seite 1158] so gut wie entschieden seyn, daß die frühere Meinung
der Englischen Geographen, als ob jenes Baumanns-
land und Bougainville’s Isles des Navigateurs
einerley sey, gegründet ist.

Den 30. April sah man die Penrhyn’s-Inseln,
die Capitain Sever vor fast 30 Jahren entdeckt hat,
aber seitdem wohl von keinem Seefahrer wieder
besucht worden. Die Bewohner dieser Gruppe
kommen den Washington’s Insulanern an Größe
und Schönheit des Körpers sehr nahe. Sie tatui-
ren sich nicht; dagegen aber bemerkte man fast bey
allen tiefe blutige Furchen, die sich über den ganzen
Körper unregelmäßig durchschnitten, (– also fast
wie bey manchen Negervölkern und Brasilianer-
stämmen –).

Den 21. May wurden wieder zwey neue Gruppen
von bewohnten Corallen-Inseln entdeckt, die durch
einen zwey Meilen breiten Canal unter 11° 11′ 20″
S. Breite, und 190° 9′ 30″ W. Länge von einander
getrennt sind, welchen der Lieutenant K. durchsegelte,
und die N. Gruppe Kutusoffs- so wie die S. Su-
waroffs-Inseln
nannte.

Da er Ursache hatte seiner Instruction gemäß
nun nach Kamtschatka zu eilen, wo er den 19. Jun.
im St. Peters- und Paulshafen seine Anker fallen
ließ, und den 12. Jul. von da seine Entdeckungs-
reise nach dem Norden fortsetzte, so hat er manche
nähere Untersuchungen auf jenem südlichen Insel-
meer für seine Rückkehr dahin, versparen müssen.

Inzwischen fügt der Capitain von Krusenstern
schon vorläufig seinem wichtigen Aufsatze noch einige
Bemerkungen über verschiedne vor der Hand noch
problematische Puncte in den beiden denkwürdigen
Weltreisen der schon oft genannten Holländischen
Seefahrer bey, und zeigt z.B., daß le Maire’s
und Schouten’s Sondergrondt mit den von Byron
anderthalbhundert Jahre später gesehenen King Geor-
[Seite 1159] ge’s Islands
(zusammengenommen) einerley, und
Roggewein’s seitdem noch nicht wieder gefundnes
Labyrinth unter 15° 45 S. Breite, und zwischen
148° und 149° W. Länge aufzusuchen sey, u. dergl. m.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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