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Göttingische
gelehrte Anzeigen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band,
auf das Jahr 1808.

Göttingen,
gedruckt bey Heinrich Dieterich.

Gotha.

[Seite 105]

Der Thüringer Wald, besonders für Reisende
geschildert von K.E.A. von Hoff (Gothaischem
Legations-Rath) und Chr. W. Jacobs (Gothai-
schem Oberconsistorial-Rath). Erste oder nord-
westliche Hälfte, in zwey Heften.
Zusammen
von 690 Seiten in Octav, mit saubern Kupfern
von mahlerischen Ansichten und einer vom Hrn.
v. H. bearbeiteten Karte, der ersten, welche den
Thüringer Wald mit dieser Genauigkeit und Aus-
führlichkeit darstellt. Ueberhaupt ein eben so
lehrreiches als unterhaltendes Werk, das einen
ehrenvollen Platz unter den zweckmäßigsten so ge-
nannten Topographien verdient, wodurch nahment-
lich die Naturgeschichte und Statistik von Deutsch-
land seit anderthalb hundert Jahren so viele nütz-
liche Aufklärung erhalten hat. Zu den Deutschen
Provinzen, von welchen bisher noch eine Schilde-
rung der Art fehlte, gehörte auch der von so man-
nigfaltigen Seiten überaus interessante Thüringer
Wald; und Niemand hätte wohl diese Lücke so
[Seite 106] trefflich zu füllen vermocht, als die Verfasser, die
beide schon durch andere gelehrte Arbeiten vortheil-
haft bekannt sind, und die als verbundene Freunde
nun schon seit 15 Jahren diese Gebirggegenden flei-
ßig bereiset und untersucht hatten. Hr. v. H.
unter andern nahmentlich in geologischer und mine-
ralogischer; so wie Hr. J. in statistischer, camera-
listischer und technologischer Hinsicht.

Der erste Heft begreift die allgemeine, der
zweyte die speciellere Topographie. Aus beiden
hier nur Weniges als Probe von dem vielen In-
teressanten, das sie enthalten. – Der wunder-
same Rennweg, der vom Anfange des Thüringer
Waldes, bey Eisenach, ununterbrochen auf der
Höhe des Rückens desselben bis zur Saale, also
gegen 30 Meilen weit, und ohne nur einen bewohn-
ten Ort zu berühren, fortläuft, meist mit hohen
Grenzsteinen besetzt, und überall breit genug ist,
um befahren zu werden. – Unter den sonderba-
ren Gebirgsarten des Thüringer Waldes besonders
einige merkwürdige Porphyre, wie der von seinem
trefflichen Gebrauch so genannte Crawinkler Mühl-
stein, der Kugelporphyr vom Schneekopf, der Säu-
lenporyhyr am Rupberg etc. Die Talkarten, Ser-
pentin etc. scheinen ganz im Thüringer Waldgebirge
zu fehlen. – Die reiche Flora desselben; sie hält
fast zwey Drittel der in Deutschland einheimischen
Gewächse. – Historische Data, wie in der zwey-
ten Hälfte des 17. Jahrhunderts nach und nach die
Bären, Luchse und Wölfe aus diesem Gebirge aus-
gerottet worden. – Auch der schwarze Storch ni-
stet auf dem Thüringer Walde. – Charakteristi-
sche Schilderung der Einwohner, ein schöner, kraft-
voller und gewandter Schlag von frohen Menschen.
Aber die blühenden Mädchen altern in der Ehe auf-
[Seite 107] fallend schnell. – Von der Pest, die sich 1679 –
81 in Deutschland auch nach Thüringen verbreitet
hatte, blieben doch die Waldbewohner befreyt; aber
der großen Mortalität in den schrecklichen Huunger-
jahren von 1771–72 mußten auch sie unterlie-
gen. – Kaffee und Branntwein sind bey ihnen
weit weniger üblich, als in den Wirthschaften des
flachen Landes. – Ihre eigne Tracht, ihre Volks-
belustigungen, Sprache u.s.w. – Starke Bevöl-
rung des Thüringer Waldes. Im Durchschnitt
3100 Menschen auf der Quadratmeile. – Eine
neuere, im Fürstenthum Gotha erlassene, Verord-
nung verbietet, um der steigenden Bevölkerung
Einhalt zu thun, die Erweiterung der alten und
den Anbau neuer Wohnungen in den Waldorten. –
Auffallend ist im Frühjahr das bessere Ansehen,
welches die im Gothaischen Antheil liegenden Wiesen
vor denen der benachbarten Gegenden auszeichnet,
seitdem in jenen die Frühhütung um 12 Tage ver-
kürzt, und auf ihren ursprünglichen Termin nach
dem alten Kalender zurückgebracht worden ist. –
Seit nach den modernen Grundsätzen der Forst-
wissenschaft die Waldhutung für unbedingt schädlich
erklärt, und entweder gänzlich aufgehoben, oder
doch gar sehr beschränkt worden, hat sich der Vieh-
stand in den meisten Gegenden des Thüringer Wal-
des um die Hälfte verringert. – Bienenzucht und
Wintersucht wollen auf dem Gebirge, besonders
wegen der lange anhaltenden Strenge des Winters,
nicht gedeihen. Ueberhaupt ist der Getreidebau da
nicht ergiebig, und soll auch in guten Jahren kaum
das Dreyfache der Einsaat gewonnen werden. –
Ehe die Waldbewohner ihr jetziges tägliches Brot,
die Kartoffel, kannten, sollen zumahl die Kohlrüben
[Seite 108] oder Unter-Kohlrabi ihre Stelle vertreten haben. –
Im Ganzen erzielen die Waldorte nicht den vierten
Theil ihrer vegetabilischen Bedürfnisse. – Viel
Merkwürdiges über die mannigfaltigen Gewerbe der
Waldbewohner. Auch hier die traurigen Folgen
des Drucks, den die armen Fabrikanten erleiden,
gleichsam als Leibeigne der Großhändler der Fabri-
kate, für deren Wohlstand sie arbeiten. sic vos
non vobis
. – Lehrreiche, wenn gleich nicht erfreu-
liche, Beyspiele, wie große, einträgliche Fabriken
theils durch unverhältnißmäßige Abgaben, theils
durch die unseligen Folgen des Kriegs und dergl.
schnell in traurigen Verfall gerathen. – Interes-
sante Notizen über so manche besondere, am Thü-
ringer Wald verarbeitete, Fabrikate, wie z.B. die
meerschaumenen Pfeifenköpfe, Spicknadeln, Zinn-
knöpfe, Kienrus u. dergl. m. – Innungen von
Siebmachern, Korbflechtern und Peitschenstiel-
machern. – Die berühmten Bleichen zu Friedrich-
rode und Ordruff; die trefflichen Gewehrfabriken zu
Zella und Suhl; an letzterm Orte die große Bar-
chentweberey etc. – Dieß alles im genauen statisti-
schen Detail, so wie fast durchgehends selbst von
den einzelnen Dörfern die Anzahl der Feuerstätten
und Einwohner. Unter vielem anderm dem Reisen-
den Nützlichen auch Anzeige, wo irgend verdiente,
wenn gleich nicht weitberühmte, Gelehrte oder
Künstler leben; merkwürdige, aber auswärts wenig
bekannte, Sammlungen sich finden und dergl. m.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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