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Göttingische
gelehrte Anzeigen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band,
auf das Jahr 1803.

Göttingen,
gedruckt bey Heinrich Dieterich.

Göttingen.

[Seite 1969]

Die Vorlesung am Jahrstage der königl. So-
cietät der Wissenschaften den 19. November traf
den Hrn. Hofrath Blumenbach, und enthielt ein
Specimen historiae naturalis, antiquae artis mo-
numentis illustratae eaque vicissim illustrantis
.

Voran ein paar Worte im Allgemeinen über die
dreyfache Rücksicht, aus welcher Kunstwerke des
Alterthums für die Naturgeschichte belehrend wer-
den. I. nähmlich durch seltene und bedeutende Ge-
genstände, die darauf abgebildet sind; II. wegen
des Stoffes, woraus sie gearbeitet worden; und
III. durch Nebenumstände, z.B. der Lage, worin
sie gefunden sind, oder sonderbarer Verwandlung,
die der Stoff durch die Länge der Zeit erlitten hat,
und dergl. mehr. Aus der ersten Rücksicht werden
sie vorzüglich für Anthropologie und Zoologie lehr-
reich; aus der zweyten hauptsächlich für Orycto-
gnosie; aus der dritten für Geologie etc. Alles
dreyes ward gleich vorläufig durch einige Beyspiele
aus des Verf. Sammlung belegt.

[Seite 1970]

Für die Zoologie sind nahmentlich die Aegypti-
schen Denkmahle wichtig, besonders die muster-
haften Abbildungen mancher merkwürdigen Thiere,
die jetzt unterhalb der Cataracten nicht mehr ein-
heimisch sind. So z.B. das Nilpferd, wovon
Hr. B. ein kleines irdenes glasurtes Figurchen
vorlegte, das er vom Hrn. Ober-Consistorial-Rath
Böttiger, und dieser vom Hrn. Legations-Secre-
tär Hammer, erhalten, der es nebst mancherley
anderm solchen kleinen, aber interessanten, Guts
von Aegyptischen Anticaglien im Sande bey den
Mumie-Catacomben von Sakara gefunden. So
kunstlos das kleine Gebilde scheint, so getreu und
charakteristisch ist es, sowohl im Ausdruck des
Total-Habitus, als besonders in der eigenen Form
der aufgestülpten Schnauze, worin es mit andern
Altägyptischen Vorstellungen von jenem Thier voll-
kommen übereinstimmt, und sich hingegen vom Cap-
schen Hippopotam so auffallend auszeichnet, daß
der Hr. Hofrath hierauf die Vermuthung wagt,
daß beides wohl zwey specifisch von einander ver-
schiedene Gattungen seyn könnten.

Als Beyspiele für die zweyte der gedachten
Rücksichten nur gleich drey allgemein bekannte an-
tike Steinarten, deren Fundort jetzt so ganz unbe-
kannt ist, daß sie den Mineralogen überhaupt nicht
anders, als in alten Gemmen vorkommen. Cor-
niola nobile, Niccolo
und Plasma di smeraldo.
Die erste zumahl von Griechischen, die andern bei-
den von Römischen Steinschneidern bearbeitet.

So, um den dritten der angegebenen Gesichts-
puncte zu erläutern, ein bey Nimwegen ausgegra-
bener Niccolo, weiland in einen Ring von Eisen
gefaßt, das nun in dichten Brauneisenstein umge-
wandelt worden, und doch die ganze Form des Ka-
stens behalten hat, und den Siegelstein nach wie
[Seite 1971] vor aufs festeste einschließt. – Andere und grö-
ßere hieher gehörige Beyspiele, z.B. das beträcht-
liche Alter manchen Mergeltuffs durch Altrömisches
Mauerwerk erwiesen, dem jener zur Grundlage
dient. Hingegen die neuere Entstehung von Ra-
seneisenstein, der sich über alten Grabhügeln mit
Urnen gebildet hat, und dergl. m.

In der Abhandlung selbst hat der Verf. seine
Beyträge in systematische Ordnung unter vier Ab-
schnitte gebracht. Was I. Anthropologie, II.
Zoologie, III. Botanologie, und IV. Minera-
logie
betrifft. Wir heben von jedem einige Pro-
ben aus.

I. Zur nähern Bestimmung der den Alten be-
kannten Verschiedenheiten im Menschengeschlechte,
und ihrer National-Bildung auf Kunstwerken des
Alterthums. Alles, was sich davon findet, betrifft
wohl nur Zwey aus den fünf Haupt-Rassen, wor-
ein der Verf. das Menschengeschlecht theilt; nähm-
lich die Caucasische und die Aethiopische. Von der
Mongolischen Gestaltung ist ihm auf keiner An-
tike (das Wort im gewöhnlichen archäologischen
Sinn genommen) Etwas vorgekommen. Denn wie
Winkelmann und so viele Andere die Aegyptische
Gesichtsbildung der Schinesischen gleich finden konn-
ten, bleibt ihm unbegreiflich. – Die vielen
menschlichen Figuren in den prodigiosen Felsenpago-
den an beiden Küsten der Indischen Halbinsel
sind zwar von verschiedener, durchgehends aber
bestimmter und charakteristischer, Gestaltung. Vor
allen zeichnet sich darunter eine ganz auffallende
National-Bildung mit fast kugeligen Köpfen und
einer eigenen Physiognomie aus. Hr. B., der
abgeschlagene Köpfe und ganze Gruppen davon aus
dem berühmtesten dieser Höhlentempel, dem auf
Elephanta, im Britischen Museum, im Par-
[Seite 1972] kinsonschen, und besonders in Hrn. Townley’s be-
wundernswürdiger Sammlung gesehen, findet Aehn-
lichkeit dieser ausgezeichneten Form sowohl mit der
von manchen uralten Stämmen von Bergbewoh-
nern im Innern von Indien, die neuerlich zumahl
durch die Asiatick Researches bekannter geworden
sind, als auch mit dem Schedel einer jungen, im
Hospital zu Kopenhagen verstorbenen, Ostindierinn,
der ihm eben wegen seiner ausgezeichnet runden
Form als eine besondere Merkwürdigkeit für seine
Sammlung zugeschickt worden. – Eine andere
Benutzung dieser Sammlung für Archäologie bey
Gelegenheit der berühmten Statue des Schleifers,
dessen Bedeutung so verschieden angegeben wird.
Hrn. B. war immer die auszeichnende Form des
Kopfs aufgefallen; zumahl die zurücktretende Stir-
ne und die breiten Seitenflügel des Unterkiefers.
Just die nähmliche Gestaltung haben mehrere Sche-
del in seiner Sammlung, und zwar sind die von
Kosacken und verwandten Völkern, was sich denn
genau mit der Meinung reimt, daß der Rotatore
einen Scythen vorstellen solle. – Zum Schluß
des anthropologischen Abschnitts auch ein Wort über
ein noch nicht bekannt gemachtes silbernes Ex voto
in Hrn. Townley’s Sammlung, das eine zwitter-
artige Verbindung beider Geschlechtstheile vorstellt.
Man hat es für was Symbolisches, wie der Lin-
gam, gehalten. Hrn. B. scheint es das bekannte
vitium malae conformationis der männlichen Ge-
nitalien, an welchen die Harnröhre hinterwärts
gespalten ist. – Beyläufig auch ein anderes
Anecdoton, ein ebenfalls in seiner Art einziges Ex
voto
aus Bronze in Hrn. Rich. Payne Knight’s rei-
cher Sammlung. Die Sexual-Organe eines Knäb-
chens mit einem Bande um die vorgezogene Vorhaut.
Wahrscheinlich die Vorbereitung zur Insibulation.

[Seite 1973]

II. Auch zur Zoologie können wir hier nur We-
niges ausheben. – Daß schon die Römer das
den Naturforschern erst neuerlich wieder bekannt
gewordene zweyhornige Rhinocer gehabt, ist aus-
gemacht. Im Casseler Museum findet sich eine
bronzene Figur davon; zumahl aber kommt es auf
Münzen von Domitian vor. Neu war es hin-
gegen dem Verf., auf einer solchen gut erhaltenen
Münze im Dr. Hunter’s Museum auch das ein-
hornige zu sehen. Und dieses konnte ebenfalls aus
Africa seyn, da nach gültiger Zeugen Versicherung
einzelne dergleichen auch in jenem Welttheile sich
finden. – Auf den Monumenten von Persepolis
stehen unter andern Pferde und Kamele in Einer
Reihe beysammen. Das scheint sich nicht mit der
bekannten Erzählung bey Herodot und Xenophon
von Crösus Niederlage zu reimen, die durch die
Antipathie dieser Thiere wider einander veranlaßt
worden. Hier wird aus der Vergleichung von
mancherley Datis der scheinbare Widerspruch da-
hin gelöset, daß allerdings die Pferde, wenn sie
nicht, wie bey den Kalmücken, Mauren etc., jung
an die Kamele gewöhnt sind, dann vor denselben
scheu werden. – Daß ein Löwe auf einer irde-
nen Lampe beym Passeri ein Crocodil anfällt, scheint
paradox. Und doch hat es nach Analogie nichts
Unwahrscheinliches, da nach Zeugnissen aus Süd-
america der dortige Jaguar eben so den Kaiman
bekämpft. – Auf Aegyptischen Denkmahlen fin-
den sich nicht selten Schlangen mit dick aufgetrie-
benem Halse. So nahmentlich auf einigen aus-
nehmend großen, schön bearbeiteten, Basaltblöcken,
die der bekannte Edw. Wortley Montague dem
Britischen Museum geschenkt hat. Man hat diese
Figuren für Brillenschlangen halten, und daraus
ein Argument für die Indische Abkunft dieser und
[Seite 1974] anderer Bilder in der Aegyptischen Symbolik zie-
hen wollen. Aber gerade einige in Aegypten selbst
einheimische Schlangen, wie Coluber haje etc. haben
die nähmliche Eigenheit, ihren Hals aufzublähen.

III. Für Botanologie ist überhaupt die Aus-
beute aus dem Studium der alten Kunstwerke min-
der erheblich. – Eine Vorstellung auf Münzen
vom alten Rhegium in Großgriechenland wird von
den Numismatikern für einen Lorberzweig mit Bee-
ren gehalten. Der Verf. hat diese Münzen selbst
zu sehen nicht Gelegenheit gehabt. Wenn aber
der Abbildung beym Goltz irgend zu trauen ist, so
scheint es unverkennbar ein aufkeimendes Pflänz-
chen, mit seinen Cotyledonen, dazwischen die plu-
mula
mit ihren Samenblättern, und unten das
Würzelchen. Freylich sonderbar, wie so ein Gegen-
stand der Pflanzenphysiologie auf alte Münzen
kommt. – Etwas über die fast ewige Dauer
einiger Holzarten, zumahl von Sycomorus und der
wahren Ceder (oxycedrus). Zur Probe ward von
jenem eine sauber geschnitzte Maske von der Mu-
mie des Hrn. Symmons vorgelegt, die Hr. B. in
London untersucht hat; von diesem ein Stück Zap-
fen, den Hr. Hawkins zwischen zwey damit zusam-
mengefügten Querstücken einer Dorischen Säule am
Propyläum gefunden (s. 182. St. dieser Anz. S. 1816).

IV. Zur Mineralogie. – Z.B. oryctognosti-
sche Beschreibung der sonderbaren gemengten Ge-
birgsart, worin die obgedachte Felsenpagode auf
Elephanta ausgehauen ist: nach einem Stücke, das
Hr. Townley dem Verf. von einer Gruppe in sei-
ner Sammlung mit vieler Mühe absägen lassen. –
Sichtung der mancherley Steinarten, die vulgo
unter dem Nahmen von antikem Basalt zusammen-
geworfen werden. Darunter besonders merkwür-
dige Proben von Aegyptischen Kunstwerken aus dem
[Seite 1975] Museum des Hrn. Cardinal Borgia, und der
Bibliothek des Hrn. Dr. Gartshore. – Ein an-
tikes Asbesttuch aus einer Römischen Urne, das
der Verf. Sr. Durchl. dem Prinzen August zu
Gotha verdankt, mit neuen Versuchen solcher Ge-
webe verglichen.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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