Table of contents

[titlePage_recto]
Göttingische
Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band,
auf das Jahr 1789.

Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Barby.

[Seite 521]

Geschichte der Mission der evangelischen Brü-
der unter den Indianern in Nordamerika.
Durch G.H. Loskiel.
Zu finden in den Brüderge-
meinen und in Leipz. bey Kummer. 783 S. in Octav.
Dieses seit mehrern Jahren begierig erwartete Werk
ist eine abermalige wichtige Frucht des gesegneten
Eifers, womit die gedachten Brüder den Heiden das
Evangelium predigen, und giebt ein würdiges Ge-
genstück zu Cranzens und Oldendorps ähnlichen Ar-
beiten. Auch zerfällt es, so wie diese, in zwey Haupt-
theile, davon der erste die Beschreibung des Landes
und seiner wilden Einwohner (hier nemlich besonders
der Irokesen oder sogenannten 6 Nationen und der
Delawaren), vorzüglich aus den Nachrichten des
ehrwürdigen Bischof Spangenberg und des 40 Jahre
bey der dasigen Mission gestandenen Hrn. Zeisbergers,
[Seite 522] der andere aber die eigentliche Missionsgeschichte
aus dem Archiv der Brüderunität enthält. Von bey-
den ein Wort insbesondere. Auch hier wird die irrige
Sage widerlegt,) als ob die Indianer selbst in ihrem
reifen Alter blos auf dem Kopfe behaart wären. ‘”Sie
sind,”’ heißt es hier, ‘”darin von andern Menschen
nicht verschieden.”’ Ihre Abneigung gegen die Eu-
ropäer und deren Lebensart. So wenig der Fisch
zur Lebensart des Vogels gemacht ist, eben so wenig,
sagen sie, die Indianer zu der weissen Leute oder
Langmesser ihrer. (Diesen Namen gaben ihnen die
Indianer seit dem letzten Kriege). Doch sind sie den
Franzosen noch am günstigsten, weil sich diese in
ihre Lebensart gut schicken können und immer auf-
geräumt sind. In Sachen des gemeinen Lebens der
Indianer sind ihre Sprachen sehr wortreich; so daß
z.B. bey den Delawaren der Bär nicht weniger als
10 Namen, nach Verschiedenheit seines Alters und
Geschlechts, hat. Sonst bekanntlich im Ganzen sehr
arm. Sehen sie etwas Neues, das ihnen merkwür-
dig ist, so stellt zuweilen eine ganze Gesellschaft eine
Ueberlegung an, wie sie dasselbe nennen wollen. Um-
ständlich von der Verfertigung, verschiednen Einrich-
tung und Bedeutung ihrer Muschelschnüre (string of
wampom
) u. Muschelgürtel (belt of war). Sie ver-
wahren diese wichtigen Documente in Kisten, wie in
einem Archiv, und versammeln sich zuweilen, um sie
durchzustudiren, wobey die jungen Verwandten der
Chiefs als Auditoren gegenwärtig find. Sie sind so
an den Gebrauch dieser Denkschnüre gewöhnt, daß,
wenn sie z.B. den Inhalt einer Botschaft einander
privatim erzählen, sie nothwendig dabey etwas in
der Hand haben müssen, einen Riemen, oder Band,
oder Grashalmen. Die Irokesen und Delawaren,
wissen sich zwar in unsere Zahlenzeichen eben so we-
nig zu finden, als in unsere Buchstaben; aber zählen
[Seite 523] können sie doch bis in die Tausende und Hunderttau-
sende, indem sie immer bis 10 zählen und diese zu
100 u.s.w. zusammensummiren. Bey Geldrechnun-
gen brauchen sie die Körner vom Welschkorn statt
Zahlpfennige. Sie können Landkarten von bekann-
ten Gegenden ziemlich zuverlässig auf Birkenrinde
zeichnen. Der Stand der Sonne ist ihnen, was uns
die Uhren sind: daher spricht der Indianer: ich will
heute zu dir kommen, wenn die Sonne da und da
steht. Unter den beyden gedachten Nationen giebts
jetzt schon verschiedene, die aus Flintenröhren recht
nett und sauber gezogene Läufte oder Büchsen ma-
chen, dieselben auch repariren können. Sehr selten
hat einer dieser Indianer 2, noch seltner mehr rechte
Weiber: denn der Hausfriede hat bey ihnen, aus
Liebe zur Bequemlichkeit, die ihnen über alles geht,
einen hohen Werth. Zumal bey den Delawaren
werden die Weiber sehr human behandelt; und ent-
steht zwischen Eheleuten ein Verdruß, so geht der
Mann lieber für ein paar Tage aus dem Weg. Be-
reitung des Ahornzuckers. Man hat Beyspiele, daß
ein einziger Baum mehr als 300 Kannen guten
Zuckersaft und hernach wohl noch eben so viel Sy-
ropwasser gegeben hat. Gewöhnlich kan ein Baum
8 bis 9 Jahre benutzt werden. Auf den fetten Ebe-
nen wird das Gras manchmal so hoch, daß ein
Mann zu Pferde die Spitze desselben mit der Hand
nicht erreichen kan. In waldichten Gegenden aber
finden die Pferde im Winter nichts anders zu ihrer
Nahrung, als junge Baumzweige, zumal von Sassa-
fras. Die Jagd der Wilden, zumal nach Hirschen,
Bären und Bibern. Auch der dortige Bär liebt den
Honig und davon wird sein Fleisch ungemein saftig
und wohlschmeckend: auch die Europäer kaufen
gern die Speckseiten der Bären und brauchen sie
statt Butter und Oel zu Salat. Unsägliche Menge
[Seite 524] der wilden Zugtauben (columba migratoria). Man-
ches Jahr kommen sie in Heeren wie Zugheuschrecken
und richten dann auch, unter betäubendem Lerm,
ähnliche Verwüstung an. Die Indianer gehen
dann zur Nachtzeit in Gesellschaft auf ihre Jagd.
Eine solche nicht zahlreiche Gesellschaft bekam in
einer Nacht über 1800 Stück. Auf einem Baum
trifft man oft 100 Paar junge an. Die weiten
Waldreisen der Indianer. Werden sie dabey von
Regenwetter befallen, so schälen sie gleich Rinde von
den Bäumen und bauen in der Geschwindigkeit eine
Art Hütte, worunter sie trocken liegen können. In
verschiedenen Gegenden halten sich indianische Räu-
berbanden auf, welche die Reisenden, selbst von
ihren eignen Landsleuten, ausplündern etc. Es sind
Verbrecher, die von ihren Stämmen verstoßen wor-
den. Fast nie sieht man die Indianer so muth- und
rathlos, als wenn die Blattern unter ihnen aus-
brechen. Die Kranken werden dann selbst von ihren
nächsten Blutsfreunden verlassen und sterben meist
voller Zagen und Verzweifeln, ehe noch die Blat-
tern recht zum Vorschein kommen. Seit einiger
Zeit ist auch die venerische Seuche unter ihnen ein-
gerissen, deren Einführung sie ebenfalls den Euro-
päern zuschreiben. Der Schwitzhütten bedienen sich
viele Indianer auch in gesunden Tagen als eines Auf-
heiterungsmittels zu wichtigen Unternehmungen.
Das berühmte Specificum gegen den Biß der Klap-
perschlange, die polygala senega, wächst überall,
wo diese Thiere sind, in Menge. Die Indianer sind
der Heilkraft davon so gewiß, daß sich mancher für
etwas Brantewein von einer solchen Schlange beissen
läßt. Furchtbare Giftmischerey unter diesen Wilden:
schleichende Gifte mit Wirkungen, wie diejenigen),
die man von der aqua tofana angiebt; schnelltöd-
tende, deren sich ihre Selbstmörder bedienen; ein
[Seite 525] anderes, das gleichsam epidemisch wirken soll, dessen
Erfinder aber, die Nantikoks, sich selbst schon größ-
tentheils dadurch aufgerieben haben. Jede Indianer-
nation sucht sich auf alle Weise von andern zu unter-
scheiden, z.B. durch die Bauart ihrer Hütten, so daß
sie blos aus der Richtung eines Pfahls, der in der
Erde stecken geblieben, bestimmen können, von wel-
cher Nation der Bewohner derselben gewesen sey.
Einige indianische Familien, die sich unter den Eu-
ropäern an Flüssen aufhalten (die River-Indians),
sind gemeiniglich schlechtes Gesindel, fast wie die Zi-
geuner: machen hölzerne Löffel, Besen etc. die sie den
Weissen gegen Nahrung und Kleider verhandeln.
Umständlich von der politischen Verfassung der In-
dianer und ihren Kriegsgebräuchen; alles voller be-
sonderer und ausnehmend interessanter Nachrichten
des Hrn. Spangenberg u.a. Brüder. Im Gefechte
scalpiren sie auch ihre eignen Todten, damit die
Kopfhäute nicht den Feinden als Trophäen in die
Hände gerathen. Zum Scalpiren braucht ein ge-
schickter Indianer kaum eine Minute Zeit. Die aus-
nehmende Fertigkeit, womit sie ihr Beil dem Feind
auch in den Kopf zu werfen verstehen. (– von allen
dergleichen Waffen dieser Indianer, Beil, Scalpir-
messer, so wie von ihrem Jagdgeräthe, Kleidungs-
stücken etc. besitzt das hiesige akademische Museum
eine merkwürdige Sammlung –). Weissen Gefan-
genen, die in indianische Familien aufgenommen
werden, giebt man auch indianische Namen, vor-
züglich von geliebten verstorbenen Personen, um de-
ren Andenken zu erhalten. Viele derselben finden
mit der Zeit die indianische Lebensart so angenehm,
daß sie bey der Auslieferung der Gefangenen nicht
wieder zu den Ihrigen zurückkehren wollen. Auch
ein schon zum Tode verurtheilter gefangener India-
ner kan zuweilen noch losgekauft werden. So löste
[Seite 526] vor einigen Jahren eine kinderlose Cherokesische
Witwe einen jungen Schawanesen, der schon an den
Sterbepfahl gebunden war, und nahm ihn an Kin-
desstatt an: worauf er noch denselben Tag aufs beste
gekleidet im Dorfe herumgieng: Seine Erretterin
setzte in der Folge ein solches Vertrauen auf seine
Treue, daß sie ihm erlaubte, sein Volk und seine
Familie wieder zu besuchen: Er erwiederte dies
Zutrauen und kam von dar, trotz alles Zuredens sei-
ner Verwandten, richtig wieder zurück. Beyspiele
von der blutdürstigen schmeichelnden Falschheit der
Irokesen, und unter diesen sogenannten 6 Nationen
namentlich besonders der Senneker. Im Charakter
der Delawaren ist hingegen diese Falschheit nicht.
Geben sie einem weissen Manne die Hand und grüßen
ihn, so kan er sich sicher auf sie verlassen. Unter
allen Indianern jener Gegend sind die Chipawas die
besten und friedlichsten: dabey aber auch sehr faul,
pflanzen wenig, leben mehr von der Jagd, kochen
Eicheln zu ihrem Fleisch, und essen allenfalls auch
das von todten Pferden. Ungemein viel Merkwür-
diges über die Moral und Religion der Indianer.
Sich von Sünden zu reinigen, nehmen viele ein
tüchtiges Brechmittel. Andere halten hingegen die
Reinigung durch Prügel für wirksamer. Der Bus-
fertige wird nemlich von der Fu¬¬ßsohle bis an den
Hals mit 12 verschiedenen Stöcken geprügelt, um
die Sünde zum Halse hinaus zu jagen.

Nun unter solche Wilde, die an Grausamkeit,
Steifsinn und Aberglauben vielleicht von keinem an-
dern Volke auf Erden übertroffen werden, das Evan-
gelium zu bringen und dadurch bleibende Frucht
unter ihnen zu schaffen, war, wie es hier wohl mit
Recht heißt, gewiß kein geringes Unternehmen.
Der erste, der die Brüdergemeine auf diese India-
ner, sonderlich die Irokesen, aufmerksam machte,
[Seite 527] war Hr. Spangenberg, vormaliger Adjunctus bey
der theologischen Facultät in Halle, welcher wegen
einiger Irrungen, die zwischen ihm und seinen Col-
legen entstanden waren, beynahe auf eben die
Weise, wie vor ihm Wolf,
von Halle war entlassen
worden, sich von da nach Herrnhut gewandt, und
schon 1735 mit einer Gesellschaft Brüder nach Geor-
gien gegangen war. Die erste Brüdergemeine
von denen in und bey Pensylvanien aber ward
zu Schekomeko, einem Indianerorte am Stissiker-
berge etwa 5 deutsche Meilen vom North-River
östlich an den Gränzen von Connektikut, A. 1740
errichtet und 1741 vom Bischof David Nitsch-
mann, und im folgenden Jahr vom Graf Zin-
zendorf, besucht. Der erste Wilde, der hier die
heil. Taufe empfieng, war ein Mahikander-Chief,
Namens Tschoop, der nun den Namen Johannes
erhielt, und zugleich der erste, und mehrere Jahre
hindurch bis zu seinem, durch die Blattern erfolgten,
Tod eifrigste, und um die Mission verdienstvolleste,
Nationalgehülfe ward. Er hatte, wie es hier heißt,
eine absonderliche Physiognomie, just wie Luther ge-
mahlt wird. Er war ein Redner in seiner Spra-
che, dergleichen nach ihm wenige gewesen sind:
sein Wort fuhr wie Feuer durch die Herzen seiner
Landsleute, und er war zum Lehrer seines Volks
wie gestempelt. Es stehen mehrere kraftvolle Briefe
von ihm in gegenwärtigem Werke, und auch, wo
wir nicht irren, schon in den Büdinger Sammlun-
gen. Ueberhaupt war es eine große Hülfe für diese
Mission, daß so viele treffliche Nationalgehülfen
aus den Wilden selbst gezogen werden konnten.
Ausserdem aber hat sie freylich gleich von ihrem
Anfange an die größten Hindernisse und Drangsale
erfahren, theils blutige Verfolgungen erlitten; hat,
zumal während der Kriege, kaum eine bleibende
[Seite 528] Stätte gehabt, und ist oft in der traurigsten be-
denklichsten Lage gewesen. Und dem allen ohngeach-
tet hat doch das Wort der Versöhnung, das sie pre-
digt, den gesegnetesten Eingang bey dieser braunen
Heerde gefunden. Denn daß ihre Arbeit gesegnet
und ihre Bekehrten keine bloßen Namenchristen
worden, davon zeugen gleich statt aller andern Be-
weise die zahlreichen, in diesem Werke ganz beyläu-
fig vorkommenden, Beyspiele, wo diese Wilden
aus inniger Ueberzeugung selbst diejenigen Untugen-
den gänzlich abgelegt haben, die doch sonst gleich-
sam die tiefsten Grundzüge in ihrem Charakter aus-
machen: wie z.B. die Rachgierde, Spielsucht (zu-
mal eine Art Würfelspiel mit platten Pflaumen-
kernen, die auf einer Seite schwarz gefärbt sind,
wo zuweilen ganze Dörfer, ja ganze Stämme,
wochenlang gegen einander um viele Waaren etc.
spielen), Lügen, unbändiger Hang zum Rumsau-
fen u. dergl. – Ueberhaupt aber sieht man, daß
es diesen Missionarien nicht sowohl darum zu
thun war einen großen Haufen getaufter Heiden
zu zählen, als vielmehr wahrhaftig glaubige See-
len Christo zuzuführen. Bis in den September
1772 zählte sie deren 720. Die Zahl der seitdem
dazu gekommenen läßt sich nicht mit Gewißheit
angeben, weil bey Gefangennehmung der Missio-
narien am Muskingum 1781 der größte Theil der
Kirchenbücher verbrannt worden. Die neuesten
Berichte sind vom Jun. 1787. und den Schluß
machen die Statuten der neuen, vor anderthalb
Jahren glücklich zu Stande gekommenen, Nord-
amerikanischen Brüdersocietät zu Ausbreitung des
Evanglii unter den dasigen Heiden, die ihren Sitz
zu Bethlehem in Pensylvanien, dem ältesten Ge-
meinort der Brüder in Nordamerika, hat.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
This page is copyrighted