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Göttingische
Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band,
auf das Jahr 1787.

Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Paris.

[Seite 1985]

Voyages de M. le Marquis de Chastellux
dans l’Amerique septentrionale dans les
années
1780, 81, et 82. T. I. 390 Seiten,
T. II. 362 S. gr. Octav, mit einigen Karten, und
Aussichten. 1786 ... Eine Art Tagebuch eines
franzöfischen Öfficiers und Mitglieds der Academ.
Françoise
, der in den gedachten Jahren den ame-
rikanischen Krieg mitgemacht, und nun seine kleinen
Abentheuer in einem unterhaltenden, leichten, oft
nur gar zu witzelnden Tone zu erzählen weiß. (Zur
Rechtfertigung dieser Kritik nur gleich ein Beyspiel:
Da ein Mahler Cimetiere heißt; so merkt der Hr.
Marquis an: nom qui conviendroit mieux à un
Médecin qu’à un peintre
–) Freylich sind auch
die Sachen selbst großentheils gar unwichtig, da
der Verf. oft die unbedeutendsten Menschen von
[Seite 1986] seiner dortigen Bekanntschaft, Gastwirthe etc. genau
nach ihrem Alter, Wuchs, Dicke etc. schildert; so
manches Frühstück, Mahlzeit etc. die er genossen,
genau beschreibt etc.; daher auch das ganze Werk
schon der Vorwurf trifft, den man sonst der Cla-
rissa machte, daß ein wenig zu viel Thee drin ge-
trunken wird. Freylich entschuldigt sich der Hr.
Marquis damit, daß er sagt: quand on n’écrit
pas l’histoire, il est permis d’écrire des historiet-
tes
. Daß der Verf. ausländische Namen verun-
staltet (z.B. Knypauzen statt Kniphausen u. dgl.)
ist ein Nationalfehler. Daß er sich aber bey die-
ser Unkunde doch ans Etymologisiren macht, ver-
rätht viel eigne Zuversicht: Wallnuß z.B. kommt
nach seiner Meynung her vom englischen Wall
eine Wand, weil das Holz des Baums zum Bau
der Wände gebraucht wird. Bey alle dem ent-
halten aber doch die beyden Bände viele inter-
essante Bemerkungen, zumal auch zur Naturge-
schichte, nur daß hier der Verf. unbedingter Anbe-
ter seines Freundes Buffon ist, so daß er sogar
dessen Entstehung der Erde aus Glas in Amerika
bestätigt zu finden meynt, und von ihm überhaupt
den Schluß fällt: ce que l’on ne croit pas assez
en Europe, c’est que non seulement il parle bien,
mais qu’il a toujours raison
. Wir heben einiges
Merkwürdige aus. – Auch der Hr. Marquis hat
den ungeheuren Wasserkopf eines erwachsenen,
damals 27jährigen, Menschen gesehen, von wel-
chem Hr. Hofr. Michaelis merkwürdige Nachrich-
ten in den Medical communications gegeben. –
Von der amerikanischen Nachtigall (Turdus poly-
glottus
) behauptet er, sie habe gar keinen eigen-
thümlichen Gesang, ahme aber nicht blos aller
andern Vögel ihre Stimme aufs täuschendste nach,
sondern auch das Weinen und Lachen der Menschen,
[Seite 1987] und was sie nur von Melodien eine Zeitlang hört.
Sie sey von Natur überaus kirre, fliehe weder
vor Menschen noch Hunden, und sey in unauf-
hörlicher lebhafter Bewegung. – Unsägliche
Menge der neuengländischen Rebhühner (Tetrao
marilandus
), deren wohl in einem Winter im Be-
zirk von 5 oder 6 Stunden über 12000 Stück ge-
fangen werden. – Fränklin’s Tochter, Madame
Beech, zeigte dem Marquis einen Vorrath von
2200 neuen Soldatenhemden, die von den Damen
in Philadelphia eigenhändig, zugeschnitten und ge-
näht waren. Jedes Stück war mit dem Namen
des Frauenzimmers bezeichnet, die es verfertigt
hatte. – Ein Genfer Maler zu Philadelphia (eben
der obgedachte Hr. Cimetiere) besitze das einzige
Naturaliencabinet in ganz Amerika. – Auch ist
da ein alter Anatome, Dr. Shovel, der sich Wachs-
anatomien gemacht hat. – Auch in Amerika ist
das Neujahrschießen Mode: versteht sich blos un-
ter Bedienten, Negersclaven etc. – Auch sind dort
die Hahnengefechte und die dabey anzustellenden
Wetten zur Leidenschaft worden. Die Hahnen wer-
den dabey, so wie in England, mit langen stäh-
lernen Spornen bewaffnet. – Von 1742 bis 80
sey die Volksmenge in Virginien von 63,000 über
160,000 gestiegen (wobey die Negerkinder, und
Weiber und Kinder der Weissen nicht mitgerechnet
sind). – Der Obr. Armand hielt einen schwarzen
Fuchs (Canis lycaon), der zahm, wie ein Hund,
war. – Das virginische Murmelthier (Marmota
monax
) habe so kurze und geschmeidige Rippen,
daß es, ohngeachtet es beleibter scheine, als ein
Haase, dennoch durch eine 2 Zoll weite Oeffnung
kriechen könne. – Fränklin’s Rath, die Waldun-
gen in Virginien mit Vorsicht auszuhauen, so daß
zwar Luftzug erhalten wird, die Moräste zu trock-
[Seite 1988] nen, aber auch sattsame Vegetation übrig bleibt,
die Luft zu reinigen. – Eine Bemerkung über die
allgemeinere und dauerhaftere Schönheit des Men-
schengeschlechts in jenem Theil von Amerika und
auch im nördlichern Europa in Vergleich mit dem
südlichern, zumal dem französischen. In Frank-
reich, sagt er, sind die Kinder ganz hübsch bis
ins 7te 8te Jahr; selten aber erhalten die Mäd-
gen ihre Schönheit bis gegen die Jahre der Mann-
barkeit: ce tems est une espece de crysalide (diese
Metapher paßt nicht) pendant laquelle les jolies
deviennent laides et les laides jolies
. – Die
Colibrits saugen in Virginien vorzüglich ihre Nah-
rung aus dem Je länger je lieber. Sie sind blos
während der Blumenzeit zu sehen. Ihr Winter-
aufenthalt sey noch nicht zuverlässig bekannt. –
Die Abneigung der Rebellen gegen alles, was
englisch hieß, gieng so weit, daß sie auch eine
andere Muttersprache dafür einführen wollten.
Man schlug zu diesem Behuf das Hebräische vor. –
Die Wissenschaften seyen in Amerika schneller ge-
rückt, als in Frankreich! si on comparoit, sagt
der Verf., nos universités, et en général nos
études avec celles des Américains, il ne seroit
pas de notre intérêt de faire décider laquelle
des deux nations doit être considérée comme un
peuple enfant
. – Umständliche Beschreibung
eines, wie es scheint, von Natur durchbrochenen
Felsen an den blauen Bergen (the rocky bridge),
der folglich eine natürliche Brücke vorstellt, und
Hypothesen über dessen Entstehung. – Noch ein
Anhang von einigen naturhistorischen Bemerkun-
gen über verschiedene nordamerikanische Vögel (die
Purpurschwalbe, Staarkrähe etc.), und eine um-
ständliche Nachricht von der Fortpflanzungsweise
der weiblichen Beutelratte. Sie soll nicht einmal
[Seite 1989] volle 14 Tage trächtig seyn und ihre (5 bis 11)
Junge, die sie wirft, und die dann kaum Erbsen-
größe haben sollen, in ihren Zitzensack aufnehmen
und sie nun 10 Wochen lang drin herumschlep-
pen, da sie dann erst laufen und fressen können.
Die Mutter habe ausser dieser Zeit gar keine Zitzen,
und dann immer nur so viele, als sie Junge ge-
worfen hat, auch sollen sie ohne alle Ordnung
oder Symmetrie sitzen, so daß es scheine, sie bil-
den sich aufs Gerathewohl an jeder Stelle des
Bauchs, wo eben ein Junges sich ansaugt.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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