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Göttingische
Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band,
auf das Jahr 1786.

Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Ebendaselbst.

[Seite 138]

In der Versammlung der Societät der Wiss.
vom 24ten Dec. vor. J. legte Hr. Prof. Blumen-
bach
derselben ein wichtiges Geschenk vor, womit
der verdienstvolle Arzt und Geburtshelfer Hr. Hofr.
Büchner in Gotha das academische Museum be-
reichert hat, nemlich eine verhärtete Leibesfrucht,
die acht Jahre lang in der Bauchhöle der Mutter
gelegen; und die bey der gedachten Vorlesung über
den Bildungstrieb zu einem auffallenden Beyspiel
von zahlreichen, großen und sehr gefäßreichen neuen
Membranen, deren Erzeugung doch blos durch Zu-
fall veranlaßt worden war, diente.

Die Mutter, eine übrigens rüstige Frau, die
schon zwey Kinder gehabt hatte, wird A. 76 zum
drittenmal schwanger, und zur bestimmten Zeit mit
den gewöhnlichen Wehen befallen die sich aber nach
einem zweytägigen fruchtlosen Kreisen, wobey sich
der Muttermund nie öffnete, und ausser einigen
wenigem blutigen Schleim nichts abgieng, wieder
verlieren und die Frucht zurückblieb, die man dann
im Unterleibe fühlen konnte. Erst mit Anfang des
J. 78 tritt die Reinigung wieder ein und hält von
der Zeit an ihre ordentliche Periode bis in den
Sommer 84, da sie nach dem ordentlichen Lauf der
Natur (die Frau war nun in ihrem 45ten Lebens-
jahre) für immer sich verliert. Seitdem ward die
Person wassersüchtig und starb.

[Seite 139]

Bey der Leichenöffnung sand sich in der Bauch-
höle die Frucht unförmlich zusammengekugelt und
wie mit einer lederartigen Rinde überzogen, im
ganzen wie in den berühmten änlichen Fällen, die
Middleton der Londner Soc., Morand der Pariser
Akad., und Hr. Prof. Walter der Berliner vorge-
legt und beschrieben haben. Nur hatte sich hier glück-
licher Weise ihre Verbindung mit der linken Fallopi-
schen Röhre so deutlich erhalten, daß man sehr leicht
sieht, wie es ein conceptus tubarius gewesen, der
nur nachher in die Bauchhöle gerathen war. Die
tuba selbst verlohr sich in einen derben kuglichten
Körper, der vorn an dem Bauche der Frucht fest
saß, und wahrscheinlich der vertrocknete Mutter-
kuchen seyn wird. – Von der ganzen lederartigen
Rinde giengen zahlreiche ansehnliche mit Blutge-
fäßen durchwebte Häute zu den benachbarten Ein-
geweiden: ein conamen naturae medicatricis, die
Frucht erst für der Fäulniß, und die Mutter für den
Folgen derselben zu bewahren; und dann jene zu
befestigen, und dadurch für diese minder lästig zu
machen. – Aber zu verlangen, daß man nun für
solche durch das zufälligste Ohngefähr veranlaßte
Conamina präformirte Keime annehmen soll, das
wäre doch wohl eine zu starke Zumuthung.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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