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Göttingische
Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band,
auf das Jahr 1784.

Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Leipzig.

[Seite 257]

Heinr. Sanders (Pr. am Gymn. ill. in Carls-
ruhe) Beschreibung seiner Reisen durch Frank-
reich, die Niederlande, Holland, Deutsch-
land und Italien; in Beziehung auf Menschenkennt-
niß, Industrie, Litteratur und Naturkunde inson-
derheit, bey Jacobäer und Sohn. I. Theil 642 S.
II. Th. 683 S. in gr. Octav. – Wir haben diese
beyden Bände geraume Zeit durchblättert, ohne sie
für was anders, als für ein Tagebuch halten zu
können, das irgend von einer feindseligen, dem
Verf. ungünstigen, Hand wider seinen Willen, nach
seinem Tode, zum Druck befördert sey; bis uns
die vorgesetzte Dedication, die Vorrede und das
Elogium von diesem, zu Ehren des sel. Sanders ge-
faßten, Irrthum, zurückgebracht haben. Wie konnte
[Seite 258] man ein solches, das Gedächtniß des Verstorbenen
so entehrendes, Merk ganz abdrucken lassen! Denn er-
stens enthält es ein solches widerliches Detail von des
Verf. persönlichen, besonders körperlichen und öko-
nomischen, Umständen, daß es schon aus dieser Rück-
sicht seit Steph. Schulzens Leitung des Höchsten
nach seinen Rath, gewiß erst das zweyte Werk in
seiner Art ist. Zweytens aber erstaunt man über die
niedrige Waschhaftigkeit, womit der V. die vertrau-
lichsten, ihm etwa unter vier Augen mitgetheilten, Ur-
theile, Personalien u. mit treuer Angabe ihrer Quellen
wieder ausschwatzt, so daß wenn doch jemand aus
Schadenfreude und Bösherzigkeit recht absichtlich
hätte wollen Klatscherey erregen, um nur Mishel-
ligkeiten und Zwist anzuzetteln, Unfrieden und Er-
bitterung zu stiften, friedfertige Leute zusammen-
zuhetzen, ihnen gefährliche Verantwortung zuzu-
ziehen u.s.w. er sich nicht anders dabey hätte neh-
men können, als hier unser Mann, der immer über
Kälte und Zurückhaltung winselt, und wo ihm hin-
gegen in freundschaftlicher Offenherzigkeit ein ver-
trauliches Wort gesagt wird, das nun zur Dank-
barkeit ins Tageslicht hinein drucken läßt.

Doch wir wollen uns gern hierbey nicht länger
verweilen, und lieber die wissenschaftliche Seite ein
wenig näher beleuchten, wo sich vorzüglich die Na-
turgeschichte auszeichnen muß, als welche, wie der
Verf. selbst sagt, immer eine der Hauptzwecke aller
seiner Reisen war; und wirklich sind die Cabinette
auch fast immer das, wornach Hr. S. am ersten
umherrennt, und wovon er denn seinen Lesern die
umständlichste Rechenschaft giebt. Zuweilen spricht
er dabey freylich in etwas allgemeinen Ausdrücken,
wie z.B. ‘„Schlangen von allen Arten dünne und
dicke – Raupen, so groß wie Bratwürste„’ u.s.w.
Aber auch die mehresten übrigen Relationen der Art
[Seite 259] sind entweder ganz unbestimmt und schlechterdings
unnütze, wie z.B. ‘„Hörner an denen noch das Bast
ist – Noch ein herrliches Schneckgen mit dem Dek-
kel„’ etc. oder es ist das aller gemeinste trivialste Zeug
mit einer unglaublichen bewundernden Unwissenheit
vorgetragen z.B. ‘„Eidechsen mit 5 Zehen vorn und
hinten – Papyrus ein langer rohrförmiger blasgel-
ber Körper – die sogenannten Jacobsmuscheln oder
Mäntel, die sich die Pilgrimme nach St. Iaques
de Compostel
auf die Kleider heften, haben die
obere Hälfte ganz platt, die untere ganz hohl –
Ambre jaune avec des Insectes, so heißt der Bern-
stein bey den Franzofen„’ u.s.w. kurz, so, daß
ganze Seiten solcher Verzeichnisse seiner gesehenen
Merkwürdigkeiten einem verpfuschten Catalogus
irgend einer Winkelauction ähnlich sehen! Und nun
– eben derselbe Heinrich Sander, der nicht im
Stande ist, diesen seinen elenden Plunder von All-
tagszeug nur ordentlich aufzuschreiben, der entblö-
det sich nicht über Vollständigkeit und Anordnung
der Cabinette, die er doch theils kaum mit einem
Fuß betreten, sein ohnmasgebliches dreistes Urtheil
zu fällen, und die Naturgeschichte gerade zu sein
Fach zu nennen! So wahr ist es, was Er Selbst
Th. I. S. 489 sagt, daß Stolz die Unwissenheit ge-
meiniglich begleitet. – Und eben diese äusserste
Unkunde in der Naturgeschichte, benimmt nun auch
den hin und wieder irgend mit unterlaufenden viel-
leicht wirklich merkwürdigen Stücken ihre Zuver-
lässigkeit. Dahin rechnen wir z.B. ‘„Holz, inwen-
dig Stein, auswendig noch Holz: auswendig Holz
und inwendig noch Stein – Wahre Versteine-
rungen
von Schildkröten – Gediegen Zinn aus
Cornwallis – Versteinerte Knochen mit Kalkspat
und QuarzAmbre jaune contenant un pois-
son: ah j’ouvrois des grands jeux
.„’ (denn solang
[Seite 260] Hr. S. in Paris ist, kriegen seine Leser dergleichen
Floskeln die Fülle zum besten.) Wir würden kein
Ende finden, wenn wir uns auch über die beyläu-
figen
naturhistorischen Bemerkungen auslassen woll-
ten, die Hr. S. seinen Lesern in den Kauf giebt.
Doch nur ein Pröbgen. Ad vocem Schwan ver-
sichert er zum Beweiß, daß der Schwan die Ge-
sellschaft des Menschen gern habe – ‘„Dr. Luther
hatte ja immer einen bey sich„’ – (der Schwan,
der auf manchen Bildern dem sel. Dr. zur Seite
steht, ist die bekannte Anspielung auf die alte vor-
gegebene Hussische Prophezeyung: ‘„Nach hundert
Jahr’n wird komm’n ein Schwan, den werdt ihr
ungebraten lahn.„’ Er hat aber unsers Wissens
eben so wenig einen wirklichen Schwan, als die
vier Evangelisten wirkliche Adler, Löwen, Ochsen,
u. Engel mit sich geführt) Auch mit Anatomie und
Botanik giebt sich Hr. S. ab. Er beschreibt ana-
tomische Präparate z.E. ‘„Des Os des animaux
nourris avec Garence
. Färberröthe; hatten wirk-
lich schon eine rothe Teinture.„’ – Vor allen aber
geräth er bey der Wachsanatomie der Mlle Bihe-
ron wie ausser sich (und freylich lohnt sichs auch
der Mühe, so was bey der Mlle B. in Wachs zu
sehen, was uns der Schöpfer selbst in Natur nicht
gezeigt hat: z.B. ‘„in der Pleura die Nerven!„’
u.d.m.) Eben so beschreibt er in den botanischen
Gärten die Pflanzen die er für selten hält, z.B.
‘„Mesembryanthemum oder Eispflanze: Blätter
und Stiele sind mit kleinen Krystallisationen be-
deckt„’ etc. Und eben so lehrreich und bestimmt sind
dann auch seine Nachrichten von Kunstwerken z.B.
‘„eine große weißalabasterne Büste mit einem kohl-
schwarzen Kopfe darauf, ungleich eine herrliche
Antike„’ Auch Pet. Hein’s Grabmal extasirt ihn.
‘„Die doppelte Matratze, die ganz herrlich ist u. gerade
[Seite 261] aussieht wie geflochtene Arbeit: alles ist Stein und
Bildhauerarbeit: so was herrliches ist in Frankreich
nicht.„’ – Ueberhaupt muß es da zuweilen schon
eine Merkwürdigkeit gewesen seyn, den Verf. Selbst
in dieser seiner Bewunderung zu sehen, wie sich aus
seinen Aeusserungen darüber vermuthen läßt, z.B.
‘„Wo man hinsieht, was andres und überall Pracht:
blind, neidisch, müde, im loben erschöpft, entzückt,
erstaunt, verliebt, hungrig und durstig wird einer
da.„’ – Zur Bereicherung der Litteratur gehört
nun eines Theils die liebreiche Bekanntmachung der
Privaturtheile von Gelehrten, wie Der Jenen, und
Jener Diesen nicht leiden kann, wie dieser oder je-
ner über seine Lage, über seine Obern klagt u.s.w.
und dann die Nachrichten von seltenen Büchern,
wohin Hr. S. z.B. Sachsii monocerologia zählt,
und sie sich deshalb auf der königl. Bibliothek in
Paris will weisen lassen. So Wurfbainii Sala-
mandrologia
und ähnliche eben so triviale als ste-
rile Scarteken. Und doch sagt Hr. S. ausdrück-
lich Th. I. S. 74 von der Pariser Bibliothek: ‘„welch
eine erschreckliche Menge von Dingen, die des
nennens nicht werth sind; man sollte sie wenigstens
nicht unter die Guten stellen.„’ Am allerkümmer-
lichsten sieht es aber doch um des Verf. Menschen-
kenntniß
aus, da wir uns nicht entsinnen, jema-
len schiefere und einseitigere Urtheile von ganzen
Nationen gelesen zu haben, die mit einer unan-
ständigern plumpern Dreistigkeit ins Gelage hinein-
gefällt worden wären. So z.B. sein possierlicher
Nationalhaß gegen die Franzosen: da heißts Th. I.
S. 282. von den gemeinen Leuten in Frankreich:
‘„nicht einmal so viel Erziehung haben sie als Ablä-
der bey uns, z.B. sie kommen in die Stube mit
dem Hut aufm Kopf, behalten ihn auch auf„’ etc.
Nun das verglichen mit S. 509. wo er voller Ent-
[Seite 262] zücken von den gemeinen Leuten in Holland spricht:
‘„den Stadthalter nennen die Leute nur ihren Will-
helm, ihren Prinz: sie sprechen so ungenirt mit
ihm, setzen den Hut auf„’ u.s.w. Und eben so
findet ers auch S. 539. sehr vernünftig, daß man
sich in Holland kein Bedenken macht, im Schlaf-
rock über die Straße zu gehn. Am allermerkwür-
digsten ist sein Urtheil von den Schweitzern, das
freylich um so unpartheyischer seyn muß, da Er
Selbst kaum nur die Gränzen der Schweitz betre-
ten hat: ‘„der vornehme und der reiche Schweitzer
ist stolz und grob, und das gemeine Volk ist äus-
serst vernachlässigt, steckt in tiefer Unwissenheit, hat
gemeiniglich gar keine Sitten, schimpft gleich, setzt
seine Ehre und Freyheit immer oben an, begegnet
den Fremden kalt etc. der dumme Stolz sitzt den mei-
sten Schweitzerbürgern an der Stirn.„’ – Eine
gleiche Urbanität herrscht durchgehends, wo er auf
die Mönche zu reden kommt, da denn der fromme
Dultungsgeist des Hrn. S. in der ihm eignen Hof-
sprache mit ‘„geistlichen Blutigeln, dick gemästeten
Bauchpfaffen, feisten Wänsten, Pfaffengebrumme,
vergötterten Blödsinnigen„’ u.s.w. um sich wirft.
Desto liebreicher ist hingegen unser Menschenfreund
gegen die Juden, da er sich z.B. dawider, daß sie
in manchen Städten nicht gedultet werden, mit
dem sehr scharfsinnigen Räsonnement ereifert: ‘„Ge-
rade als wenn wir Herrn der Erde wären und un-
sern Mitmenschen verwehren könnten, irgendwo
Luft zu schöpfen!„’ – Zu den wirklich neuen Be-
reicherungen der Menschenkenntniß rechnen wir Th. I.
S. 47 die so überaus genaue und faßliche Beschrei-
bung, die Hr. S. seinen Landesleuten von gewissen
unnatürlichen Pariser Lastern macht, und die uns
an die Vergleichung solcher wohlthätigen Reisenden
mit Zugvögeln erinnert, die den guten Saamen am
[Seite 263] einen Orte auflesen und ihn anderwärts verbreiten.
Eben so giebt auch der Verf. zu fernern Behuf
und beliebigen Gebrauch seiner Erbauungslustigen
Leser S. 638 ein Epigramm zum besten, worinn
Voltäre mit dem Leibe Christi im Nachtmal vergli-
chen wird. Um auch seinen eigenen Vortrag zu
würzen, erlaubt sich der lose Hr. S. gar oft einen
unschuldigen Scherz z.B. wo er von den 11000
Jungfern spricht: ‘„die armen Kinder!! Damals
müssen die Jungfern nicht so selten gewesen seyn! –
– Ewig Schade, 11000 Jungfern!! was sollen
wir jetzt mit den Knochen anfangen? ohne Haut
und Fleisch! –„’

Ueberhaupt enthalten diese beyden Bände einen
Schatz von acht verschiedenen Reisen. Den ganzen
ersten Band nimmt die durch Frankreich, die Nie-
derlande und Holland ein. Hrn. S. erste Ausflucht
ist nach Strasburg, von da zieht er gen Paris,
wo er sich besahe S. 103 bey einem Sudelkoch ein-
quartirt, und da nun den lieben langen Tag so un-
aufhörlich umherrennt, daß man ihm gern glaubt,
was er S. 52 kund thut ‘„die Absätze an den Schu-
hen gehen gleich wieder ab und die Schuhe faseln
aus in wenig Tagen.„’ Dafür hat er aber freylich
auch erwünschte Gelegenheit, die Nation näher ken-
nen zu lernen, und das ihr eigenthümliche seinen
Landsleuten mitzutheilen z.B. ‘„Manche Franzosen
können 2 bis 3 Eyer hinter einander zu sich neh-
men – Die Franzosen schreiben die Addresse eines
Mantelsacks auf ein Kartenblatt und nehen es auf
den Riemen vorn an, womit es zugeschnallt wird –
die Franzosen halten den Fuß mit Schuh u. Strümp-
fen in die Flamme des Caminfeuers – die Frauen-
zimmer haben da auch ihre eigene Schuhmacher, so
wie die Mannspersonen die ihrigen„’ etc. – So
wild auch Hr. S. zuweilen auf dem Papier thut,
[Seite 264] so geschmeidig muß er doch unter den Händen der
Franzosen selbst gewesen seyn, wie sich aus seinen
brüderlichen Warnungen an andere Reisende vermu-
then läßt z.B. ‘„wer sich in Paris moquiren wollte,
wenn er gestoßen, besprützt, getreten wird, der
würde ecrasirt werden; man trät ihm mit Füßen
auf den Bauch.„’ – Hr. S. eilt also aus dieser
gefährlichen Stadt nach den Niederlanden und freut
sich da ‘„gar herzlich wieder bey Leuten zu seyn, die
menschlich denken und menschlich handeln’, z.E. bey
einem Herrn von der Mölen, der wie er sagt ‘„die
Gütigkeit hatte, ihm eine Menge schöner Muscheln
zu schenken„’ wofür denn der dankbare Hr. S. die
Gütigkeit hat, ihm in Angesicht des Publicums das
Lob zu ertheilen ‘„man muß bey dem reichen Un-
wissenden hintreten, das Gemeinste das Schlechteste
zu bewundern„’ etc. – (Dieß hätte nun unsern San-
der nicht schwer werden sollen, der fast auf allen
seinen Reisen wenig anders thut, als das Gemeinste
das Schlechteste zu bewundern.) Die sieben Reisen,
die den zweyten Band ausmachen, sind großentheils
schon einmal gedruckt worden. Die erste geht durch
Schwaben u. Bayern, wo Hr. S. z.B. in München
ein Bett sieht, woran 24 Centner Gold sind, woran 36
Personen 7 Jahre lang ununterbrochen gearbeitet ha-
ben, und das doch nur 400700 Gulden gekostet habe.
Die zweyte in Franken, Ober- und Niedersachsen und
Hessen. Unter andern auch nach Göttingen, womit
zwar Hr. S. ganz bekannt thut, aber doch gleich bey
Bibliothek und Museum den Lesern ein paar unge-
heure Unwahrheiten aufheften will. – –



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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