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Göttingische
Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band.
auf das Jahr 1779.


Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Göttingen.

[Seite 961]

Dieterich verlegt: J.F. Blumenbachs Handbuch
der Naturgeschichte. Multa fiunt eadem
sed aliter
. 448 S. in Octav mit 2 Kpfrtaf.
Der Verf. hat in so fern eine eigene Bahn betreten,
daß er die allgemeine Naturhistorie und das wich-
tigste aus der besondern Geschichte der merkwürdig-
sten Geschöpfe in diesem systematischen Handbuche
vereinigt. Freylich mußte er sich in der Ausfüh-
rung so kurz als möglich fassen, da das Buch zum
Gebrauch der Vorlesungen bestimmt ist. Wir zei-
gen unserer Gewohnheit nach bloß das Neue und
dem Verf. Eigene an. Gleich anfangs bestimmt er
die Grenzen zwischen Natur und Kunst anders,
als Bacon und Diderot gethan haben. Er nennt
bloß diejenigen Dinge Artefacten, die der Mensch
[Seite 962] wesentlich verändert hat. Die Thiere unterscheidet
er von den Gewächsen durch die willkürliche Be-
wegung der Gliedmassen und durch den Mund. Er
widersetzt sich dem Unternehmen einiger Neuern,
die den Unterschied zwischen beiden Reichen aufzu-
heben trachten; besonders dem Bonaventura Corti,
dessen Versuche mit den gallertigen Wasserfäden er
wiederholt, und vieles anders befunden hat. Aber
er erklärt auch, wie man hiebey habe getäuscht und
verführt werden können. Auch warnt er, die belieb-
ten Allegorien von Kette und Leiter der Geschöpfe
nicht etwa der Natur im Ernste anzupassen, und
besteht allerdings bey der bekannten Eintheilung in
drey Reiche. In der Lehre von der Erzeugung
erklärt er sich zwar gegen die allmählige Bildung
(Epigenese): nur vermuthet er, daß der Antheil
des männlichen Saamens an den Bildung der
Frucht doch weit beträchtlicher sey, als ihn die
Verfechter der entwickelten Keime bisher zugestehen
wollen. Von der Zeugung aus Fäulniß (genera-
tio aequivoca
) glaubt der Verf., sie sey doch
öfterer verlacht als gründlich widerlegt worden;
und wünscht wenigstens von ihren Gegnern die
Entstehung der Würmer in den Gedärmen unge-
bohrner Thiere erklärt zu sehen. Die Reprodu-
ctionskraft ist ihm der Hauptcharakter, wodurch
sich die natürlich organisirten Körper von den künst-
lichen Automaten unterscheiden. Die verschiede-
nen Wege der Fortpflanzung bringt er auf weni-
gere Classen zurück, als der Hr. von Haller ge-
than hat. Die Bastarden zwischen Caninchen und
Hühnern, auch die sogenannten Jumars, kan er
nicht annehmen. Der dunkele Körper im Leibe
des Räderthiers, den einige berühmte Männer,
seiner willkürlichen Bewegung ohngeachtet, fürs
Herz des Wurms gehalten haben, ist nach seinen
[Seite 963] Untersuchungen zuverlässig der Magen, und kein
Herz. Daß zahlreiche Gattungen von Geschöpfen,
die wir bloß versteint kennen, bey einer Umschaf-
fung unserer Erde untergegangen seyn mögen,
dünkt dem Verf. sehr glaublich. Die Säugethiere,
nach den eigenen natürlichen Ordnungen des V.,
die wir ehedem in diesen Blättern angezeigt haben.
Die Geschichte des Menschen, meist ein Auszug aus
der lateinischen Schrift. Die monatliche Reini-
gung und das körperliche Kennzeichen der unver-
letzten jungfräulichen Unschuld spricht er allen an-
dern weiblichen Thieren ab. Jetzt nimmt er fünf
Spielarten im Menschengeschlecht an. 1) Euro-
päer, Asiaten diesseits des Obi und Ganges, Nord-
afrikaner, Grönländer und Eskimos. 2) Uebrige
Asiaten. 3) Uebrige Afrikaner. 4) Uebrige Ame-
rikaner. 5) Australasiaten, oder Südländer des
fünften Welttheils. Hingegen bestreitet er vom
neuen die von Natur unbärtigen Amerikaner, die
riesenmässigen Patagonen, den Linneischen homo
troglodytes etc
. Den Chimpansi trennt er als
eine besondere Gattung vom wahren Orang utang,
und das neuerlich von Hr. Camper beschriebene
Thier ist wiederum von diesen beiden verschieden.
Der wieselartige Ichneumon darf nicht mit dem,
der den Crocodilleyern nachstellt, vermengt wer-
den. Hingegen werden hier Schaafe und Ziegen
in ein gemeinschaftlich Geschlecht verbünden. Zwey
Spielarten vom Steinbock: der glatthaarige und
dann der zottige, der ohnlängst in Deutschland,
und auch hier, zur Schau herumgeführt worden.
Von den Luftbehältern im Körper der Vögel nach
eigenen Untersuchungen. Der Verf. hält es für
eine Hauptbestimmung der Zellen im Unterleibe,
daß sie die Ausleerung des Unraths befördern, und
dadurch den Mangel eines fleischichten Zwergfells
[Seite 964] ersetzen sollen. Auch die ungeheuren aber leichten
Schnäbel der Pfefferfrasse etc. rechnet er zu den Luft-
behältern, und widerspricht dem Cajetan Monti,
der sie für Geruchwerkzeuge ausgiebt. Auch selbst
die Federspulen können mit Luft geladen und aus-
geleert werden. Von den Veränderungen im be-
brüteten Ey, ebenfalls nach eigenen Versuchen.
Alle die rätselhaften vergänglichen Theile, die
nur in den ersten Tagen des Brütens, aber frü-
her als die erste Spur des würklichen Küchelgen,
sichtbar sind, die Narbe, die Ringe u.s.w. be-
würken nach unserm Verf. den wichtigen Vortheil,
daß das zarte Thier bey jeder veränderten Lage
des Eyes doch allemal oben und dem Leibe der
Brüthenne zugekehrt schwebt. Auch diese Thier-
classe ordnet er nach seinem eigenen System. Das
Brieftragen ist kein Vorzug der Posttaube: auch
die Haustaube u.a. Vögel lassen sich dazu gebrau-
chen. Die Rauchschwalbe und Hausschwalbe ziehen
im Herbste nach Süden: nur die Uferschwalbe
überwintere im Schilf. Die Verwandlung der
jungen Pipas und der rana paradoxa wird hier
gegen die gemeine Meynung aus den stufenweisen
Reihen, die von diesen Thieren im akademischen
Museum sind, erwiesen. So auch der specifike
Unterschied zwischen dem Nilcrocodil und dem Kai-
man der neuen Welt. Die Schwimmblase der
Fische werde wol durch besondere Gänge, die sich
von der Oberfläche des Körpers dahin erstrecken,
mit Luft gefüllt. Daß sie aber zur Verdauung
nütze, kan der Verf. dem Needham nicht glauben.
Vom Geruch und Gehör der Insecten. Ihre Fühl-
hörner hält er für keine Werkzeuge besonderer uns
unbekannter Sinne, sondern für das, was sie ihrem
Namen nach seyn sollen, für Sonden, die zu-
mal manchen bey der Unempfindlichkeit der äussern
[Seite 965] Haut und der Unbeweglichkeit der Augen doppelt
wichtig werden. Auch behauptet er die geschlecht-
losen Bienen, und kan nicht zugeben, daß sie
unentwickelte Königinnen seyn sollten. Die Ana-
tomie zeigt allzuwesentliche Verschiedenheit zwi-
schen dem Körperbau der Königin, der Thronen,
und der Werkbienen. Die Würmer sind ebenfalls
nach einem neuen Entwurf geordnet. Der Verf.
besteht bey seiner Meynung von den sogenannten
Bandwürmern, daß sie keine Zoophyten seyn,
sondern in die Nachbarschaft der Egelschnecken
gehören, daß jedes vermeynte Glied ein besonde-
res Thier sey u.s.w. wie es schon ehedem in
unsern Blättern vorgetragen worden. Vom Bau
der Seeanemone nach seinen eigenen Zergliederun-
gen. Ein linksgewundener Murex despectus ist
auch in Kupfer gestochen. Die Seepalme setzt
der Verf. bey das Medusenhaupt und andere See-
sterne. Die nackten Polypen und die in Corallen-
stämmen trennt er eben sowol in verschiedenen
Ordnungen, als die nackten Schnecken und die
mit dem Gehäuse. Die Stämme der Gorgonien
seyen wahre Pflanzen, nemlich Seetang-Arten: nur
ihr kalkichter Ueberzug sey thierischen Ursprungs.
Ueber die Natur des Saugeschwamms wagt der
Verf. noch nichts zu entscheiden. Einige neue
Polypenarten. Ueberhaupt aber hat der Verf.
nur wenige von den noch unbeschriebenen Geschö-
pfen aus dem akademischen Museum eingeschaltet.
Man erwartet sie nicht in einem Handbuch:
und wenn das Geschöpf durch keine besondere
Merkwürdigkeit interessirt, so hat die blosse An-
zeige wenig Verdienstliches. Doch sind hin und
wieder neue Thiere, besonders unter den Amphi-
bien, Insecten und Würmern, angegeben.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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