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[binding_recto] [interleaf] [interleaf] [interleaf] [[I]]
Beyträge
zur
Naturgeschichte

[[II]]
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Beyträge
zur
Naturgeschichte
Titelblattillustrationxxx
1te Menschen Varietät
Erster Theil.

Göttingen,
bey Johann Christian Dieterich,
1790.
[titlePage_verso]
Ex
Bibliotheca
Regia Acad.
Georgiæ
Aug:

Vorrede.

[Seite V]
Textabbildung, S. V.xxx
2te Menschen Varietät

Ich liefere in diesen Beyträgen
lauter eigne Aufsätze und zwar
blos solche von denen ich glau-
ben konnte dass sie auch ande-
re Leser als die eigentliches
Studium aus Naturgeschichte
machen, nicht uninteressant und
[Seite VI] nicht langweilig finden werden.
Sie sind grösstentheils ganz neu
und was von einigen der übri-
gen schon in andern meiner
Schriften vorkommt ist doch
hier weiter ausgeführt, berich-
tigt u.s.w. so viel sich thun
lies habe ich gesucht die Auf-
sätze in eine Art zusammenhän-
gender Folge zu ordnen, und
da die in diesem ersten Bänd-
chen mehrentheils die Naturge-
schichte des Menschenge-
schlechts betreffen, so sind auf
den beygefügten Vignetten die
fünf Spielarten vorgestellt wor-
den, worein sich das ganze Men-
schengeschlecht meines Bedün-
kens am füglichsten eintheilen
lässt. Sie brauchen nur weni-
ge Worte zur Erläuterung.

[Seite VII]

I. Die Titel-Vignette. 1ste Men-
schenvarietät.
(– vergl. S. 82 –)
eine Morgenländische schon für sich
ganz verständliche Scene.

II. Die Anfangsleiste der Vorrede.
2te Menschenvarietät (– S. 82 –)
Schinesen. In der Ferne Reisfelder
mit Büffeln gepflügt. (gewöhnlich
zieht aber immer nur einer.)

III. Die Schluss-Vignette der Vor-
rede. 3te Menschenvarietät. (– S.
83 –) Negern am Gambia. Ihre Fi-
scherey, Moor – Hirsenfelder etc.
Auch ist hier so wie auf den beiden
folgenden Kupfern die eigne Form
der Hütten bey den vorgestellten
Völkern genau abgebildet.

IV. Die Anfangsleiste. S. 1. 4te Men-
schenvarietät.
(– S. 83 –) Brasilia-
ner. Der Mann kommt von der Jagd.

V. Die Schluss-Vignette, 5te Men-
schenvarietät.
(– S. 83 –) Südlän-
der von Anamocka oder Neu-Rotter-
[Seite VIII] dam, einer der Freundschafts-Inseln.
Ihre Viehzucht, Gartenbau etc. (der
Zaun ist vielleicht ein wenig zu re-
gelmässig vorgestellt. Aber die in
Reihen gepflanzten Bäume u. dergl.
bemerkte schon der berühmte Ent-
decker dieser glückseeligen Inseln
Abel Tasman,)

Textabbildung, S. VIII.xxx
3te Menschen Varietät

I.
Ueber die Veränderlichkeit in
der Schöpfung.

[Seite 1]
Textabbildung, S. 1xxx
Figure 1. 4te Menschen Varietät

Ja so geht's in der Welt, sagt Vol-
taire
, da haben wir nun keinen
Purpur mehr, denn der Murex ist
längst ausgerottet. Das arme kleine
[Seite 2] Schneckchen wird von andern grös-
sern Thieren aufgefressen worden
seyn. –

Gott bewahre, antworten die Phy-
sicotheologen,
unmöglich kan die
Vorsehung eine Thiergattung aus-
sterben lassen.

Denn, sagt der ehrliche Savoyi-
sche Landgeistliche
im Emil, es ist
kein Wesen im Universum, das man
nicht gleichsam als den gemeinschaft-
lichen Mittelpunkt für alle übrige
ansehen könnte.

Und, setzt ein andrer vollends
hinzu, keines, was nicht so zu sa-
gen, das für die ganze übrige Schö-
pfung wäre, was Phidias Bild am
Schild seiner künstlichen Minerva
war, das man nicht ausheben durfte
wenn nicht das ganze grosse Werk
zusammenfallen sollte!

Eher, sagt Linné, lässt die Na-
tur neue Arten entstehn. – So
[Seite 3] hat sie z.B. da nicht weit von Up-
sala auf Södra-Gässkiaeret ein Pflänz-
chen hervor gebracht, die Peloria,
das wirklich so was von einer neuen
Schöpfung ist.

Ach, antwortet man ihm, die Na-
tur ist eine alte Henne, die euch
warlich heutiges Tages nichts neues
mehr legen wird.

Freylich nicht, sagt Haller, und
man muss solche Irthümer rügen,
weil sie von den Atheisten begierig
ausgeschnappt werden, die aus der
Entstehung neuer Gattungen so gut
wie aus der vorgeblichen Vertilgung
alter Arten gar zu gerne eine Unbe-
ständigkeit der Natur erweisen möch-
ten: und das darf nicht seyn; denn
fällt die Ordnung in der physischen
Welt weg, so ist es um die Ordnung
in der moralischen Welt, und zu-
letzt um die ganze Religion gethan.

* * *
[Seite 4]

Wenn auch ich ein Wort drein
reden darf; so glaube ich es ist hier
von allen Seiten der Sache zu viel
geschehn.

Der Murex findet sich heute noch
eben so wohl als zu den Zeiten der
alten Phönicier und Griechen; –
Die Peloria aber ist eine krankhafte
Monstrosität und keine eigne neu
entstandne Gattung. – Genau ge-
nommen ist die Natur aber auch in
der That keine alte Henne, – und
die Schöpfung was solideres als jene
Statue der Minerva, – und sie fällt
nicht zusammen wenn gleich eine
Gattung von Geschöpfen ausstürbe
oder eine andre neu erzeugt würde,
– und es ist mehr als blos wahr-
scheinlich dass beides auch wirk-
lich schon wohl eher erfolgt ist, –
nud diess alles ohne die mindeste Ge-
fährde weder für die Ordnung in
der physischen noch in der morali-
[Seite 5] schen Welt, noch für die ganze Re-
ligion.

Vielmehr finde ich gerade darin
die Lenkung durch eine höhere Hand
am unverkennbarsten, dass trotz die-
ser sogenannten Unbeständigkeit der
Natur dennoch die Schöpfung ihren
ewigen stillen Gang geht, und schon
darum glaube ich lohnt sichs der
Mühe, nachdem so unendlich viel
über die vermeinte unveränderliche
Ordnung in der Schöpfung geschrie-
ben worden, auch einmal an aller-
hand Beweise von der grossen Ver-
änderlichkeit in derselben zu erin-
nern. Freylich muss ich dabey et-
was weit ausholen.


II.
Ein Blick in die Vorwelt.

[Seite 6]

Fast jeder Pflasterstein in Göttingen
zeugt davon, dass Gattungen – ja
sogar ganze Geschlechter von Thie-
ren untergegangen seyn müssen.
Unser Kalkboden wimmelt gleichsam
von den mannigfaltigsten Arten ver-
steinter Seegeschöpfe, unter welchen
meines wissens nur eine einzige Gat-
tung ist, wozu wir noch gegenwär-
tig ein wahres ganz damit überein-
kommendes Original kennen; und
das ist diejenige Art von so genannten
Bohrmuscheln (Terebrateln) aus dem
mitländischen und atlantischen Mee-
re, die wegen ihrer Bildung (– da
die eine der beiden zarten bauchich-
ten Schalen am Schloss über die
andre hinüber ragt, und so von der
[Seite 7] Seite angesehen einige Aehnlichkeit
mit einem Hahne zeigt, der die Henne
tritt, –) den Namen le coq et la
poule
erhalten hat*).

Unter dem fast unübersehlichen
Heer der andern versteinten See-
thiere, die ihr Grab in unserm Boden
gefunden haben, sind freylich noch
viele (z.B. unter den Mytiliten,
Chamiten, Pectiniten etc.) zu wel-
chen die mehrsten Naturforscher eben-
falls bestimmte Originale angeben:
allein ich habe bey diese das Petre-
fact mit dem vorgeblichen Original
oft genug verglichen, und es ist meine
Schuld nicht, dass ich beide dann
unverkennbar specifisch von einan-
der verschieden gefunden habe**).

[Seite 8]

Bey einer sehr grossen Menge der
übrigen hieländischen Versteinerun-
gen ist endlich die Bildung so ganz
auffallend von allen jetzt bekannten
Geschöpfen abweichend, dass sie
hoffentlich niemand mehr im Ernst
unter diese letztern suchen wird*).

[Seite 9]

Ich nenne nur zwey Geschlechter
derselben statt aller, die Belemni-
ten*) nemlich und die Ammoniten
[Seite 10] von welchen beiden ich mannig-
faltige verschiedne Gattungen aus den
mehresten Ländern von Europa und
selbst aus Asien vor mir habe, und
die sich wahrscheinlich auch in den
übrigen Welttheilen (– den fünf-
ten ausgenommen*) –) finden wer-
[Seite 11] den. Man rechnet gegenwärtig auf
200 verschiedne Gattungen im Am-
monitengeschlechte, und ich halte
das nicht für übertrieben, ohngeach-
tet ich es nie der Mühe werth ge-
funden habe absichtlich nachzuzäh-
len. Und zu keiner einzigen dieser
200 Gattungen ist auch nur je in
der jetzigen Schöpfung ein wahres
Original gefunden worden. Und
da man an gut erhaltnen Ammoniten
offenbar sieht, dass diess (bey aller
ihrer theils colossalischen Grösse)
doch sehr dünnschaalige leichte und
nicht fest sitzende Conchylien gewe-
sen seyn müssen, die nicht, wie man
sonst zur Ausflucht brauchte, in den
Tiefen unsrer Meere versteckt leben,
können; und wir nun, nach den
grossen Seereisen wodurch Se. Ma-
jestät der König
den fünften Welt-
theil grösstentheils entdecken und
die Grenzen unsrer Erde bestimmen
lassen, den Ocean fast besser kennen
[Seite 12] als das feste Land unsers Planeten,
– so muss man nach allem diesen
der Hoffnung wohl entsagen, dass
die Originale zu diesem weitläufti-
gen Thiergeschlechte, so wie zu tau-
senderley andern Petrefacten, noch
in unsern Weltmeeren versteckt le-
ben Sollten.

Alles diess zusammen genommen
so wird es meines Bedünkens mehr als
blos wahrscheinlich, dass schon ein-
mal nicht blos eine oder die andre
Gattung sondern eine ganze organi-
sirte präadamitische Schöpfung auf
unserm Erdboden untergegangen ist.
Unter allen mir bekannten son-
stigen Theorien der Erde ist keine
einzige, mit welcher sich die gedach-
ten augenscheinlichen Eigenheiten
der Petrefacten in unsern Kalkflözen
zusammen reimen liessen; die hinge-
gen Sehr begreiflich werden, so bald
man, wie gesagt, annimmt, dass unsre
[Seite 13] Erde schon einmal eine Totalrevolu-
tion erlitten, einen jüngsten Tag
erlebt hat. Versteht sich dass man
schlechterdings andre sogenannte cos-
mogenische Phänomene, wie z.B. die
Menge von fossilen Knochen der Ele-
phanten und Rhinocerosse und andrer
Thiere der heissen Erdstriche, die in
unsern Gegenden ausgegraben wer-
den, u. dergl. mehr von jener Total-
revolution genau unterscheiden und
absondern muss. Denn das ist, wo
ich nicht irre, bisher immer eine
Klippe gewesen, woran auch selbst
die scharfsinnigsten Theorien der
Erde gescheitert sind, so bald sie alle
jene so sehr von einander verschiedne
Phänomene auf eine einzige gemein-
schaftliche Revolution haben zurück-
bringen, alles aus einer und eben
derselben Catastrophe haben erklären
wollen. Ein eben so scharfsinniger
als liebenswürdiger Naturforscher hat
neuerlich den Ursprung jener hielän-
[Seite 14] dischen fossilen Knochen ausländi-
scher Landthiere und die wirklichen
Versteinerungen von See-Geschöpfen
in unsern Kalkflözen dadurch mit
einander verbinden wollen, dass er
annimmt, die jetzige Lagerstätte jener
Landthiere sey nicht ihre ehemalige
Heimat gewesen sondern sie seyen
nach ihrem Tode in Flüsse gerathen
und so nach und nach auf den da-
maligen Meeresboden durch die Strö-
mungen zusammen getrieben wor-
den. Allein diejenigen Gegenden
wenigstens, wo ich selbst die Lager-
stätte der grossen exotischen Knochen
untersucht habe, lassen sich schwer-
lich mit jener Hypothese vereinen.
So habe ich z.B. bey Burgtonna im
Gothaischen das Bette des vor bey-
nahe hundert Jahren daselbst ausge-
grabnen von Tenzel beschriebnen
Elephanten untersucht und gefunden,
dass es so ganz durchaus aus mäch-
tigen Mergel-Lagen besteht die vol-
[Seite 15] ler kleinen, zarten und grösstentheils
so unversehrten Land- und Fluss-
Schneckchen u. dergl. sind, dass ich
dieses Bette selbst unmöglich für ehe-
maligen Meeresboden halten kan:
sondern dass wahrscheinlich die Ele-
phanten und Rhinocerosse und Schild-
kröten, von welchen allen ich aus
den Tonnaischen Mergelgruben in-
structive Stücke für meine Sammlung
mitgebracht habe*) in jener Ge-
gend zu irgend einer Zeit (wer weis
wie lange nach der gedachten grossen
Totalrevolution,) einheimisch ge-
wesen seyn müssen.

Diese Totalrevolution von der sich
die unzähligen untergegangnen orga-
nisirten Geschöpfe in den Kalkflözen
[Seite 16] herschreiben, bleibt also für sich,
von den nachherigen spätern, die mit
der umgeschaffnen Erde vorgegangen
seyn mögen, ganz verschieden.

Wie und wodurch jene frühere
Revolution bewirkt worden, lässt
sich wohl schwerlich je mit Zuver-
lässigkeit bestimmen. Inzwischen
kommen doch meines wissens alle
wahrscheinlichen d.h. den Phäno-
menen angemessne Theorien der
Erde überhaupt darin miteinander
überein, dass die Wirkung von
unterirdischem Feuer, einem mehr
oder weniger allgemeinen Erdbrande,
einen Hauptantheil daran gehabt ha-
ben müsse. Sey's nun dass das Feuer
die vormalige Erdrinde untergraben,
und dadurch den Einsturz derselben
in tiefe Schlünde veranlasst*) oder
[Seite 17] auch wohl zum Theil den vormaligen
Meeresboden empor getrieben*),
so begreift sich dadurch, wie das Meer
sein ehemaliges Bette habe verlassen
müssen, und wie dasselbe mit samt
seinen Bewohnern, den nunmehri-
gen Petrefacten, aufs trockne ver-
setzt und zu jetzigen Flözgebirge
worden.**)

[Seite 18]

III.
Beyläufig ein Wort über den
Basalt.

[Seite 19]

Ueber die neuerlich so sehr rege
gewordene Streitfrage von der Ent-
stehungsart des Basalts, lässt sich
zwar vor der Hand noch nicht leicht
ein entscheidender Aufschluss erwar-
ten*). Inzwischen deucht mir, dass
mau bey der ganzen Untersuchung
die cosmogenischen Data wovon
im vorigen Abschnitt die Rede war,
[Seite 20] nie aus den Augen verlieren dürfe.
Denn wenn der Basalt im Feuer ent-
standen ist, so geschah das nach al-
ler Wahrscheinlichkeit eben bey dem
gedachten allgemeinen Erdbrande;
folglich ist er dann älter als die gan-
ze nachherige Umschaffung unsers
Planeten; und aller dieser Basalt ist
dann zu gleicher Zeit entstanden,
und er ist (wenigstens dem grössten
Theil nach) im Wasser selbst, ohne
Zutritt der äusern Luft ausgeflossen
und erhärtet.

Folglich wird es dann nieman-
den befremden, wenn er bey der
Vergleichung des Basalts, (von ei-
nem solchen unermesslichen Alter,
und einer solchen Entstehungsart,)
mit einer Lava die ein brennender
Vulcan an die Luft strömt, manchen
Unterschied bemerken sollte, – so
wenig als es jemanden befremden
wird zwischen Bernstein und fri-
schen Baumharz Unterschied zu fin-
[Seite 21] den, da jenes vermutlich auch bey
irgend einer gewaltsamen Erdrevo-
lution und folglich unter sehr eignen
mitwirkenden Umständen entstanden
zu seyn scheint. Eher ist es zu be-
wundern, dass sich demohngeach-
tet noch so viele und grosse unerwar-
tete Uebereinstimmung zwischen
so vielen Basaltbergen, und den paar
uns näher bekannten europäischen
Vulcanen, so wie zwischen so man-
chem Basalt und manchen Laven
zeigt. Denn wer Gelegenheit hat
ansehnliche Sammlungen von beiden
letztern zu untersuchen, dem kan
die auffallende Aehnlichkeit zwischen
vielen der derbern dichtern Laven
und dem gewöhnlichen Basalt, so wie
zwischen vielem bläsrichten Basalt
und den gewöhnlichen frischen La-
ven in Rücksicht ihres Ansehens und
ihres Gemenges nichtentgangen seyn.
So besitze ich selbst mancherley sehr
dichte wahre Laven vom Vesuv: und
[Seite 22] sehr bläsrichen wahren Basalt von
unsern Dransberg; und unter den
grossen Geschenken womit der Hr.
Baron von Asch das academische
Museum so unermüdet bereichert,
finden sich in der Sammlung soge-
nannter vulcanischer Produkte, wel-
che der berühmte und gelehrte Rei-
sende Hr. D. Reineggs vom Ara-
rat und aus Erzerum mitgebracht,
verschiedne derselben die wiederum
gerade so viele Aehnlichkeit mit man-
chem Basalt als mit Laven haben; so
wie auch glasartige Stücken die in
Rücksicht des ganzen Ansehens, zwi-
schen dem sogenannten Isländischen
Achat und den gleichfalls unter den
Aschischen Geschenken im Museum
befindlichen vulcanischen Glas-Tro-
pfen aus Kamtschatka völlig in der
Mitte stehen.

So wenig man indess, wie schon
gesagt, vor der Hand auf eine voll-
[Seite 23] kommne Entscheidung der Frage
über die Entstehungsart des Basalts
wird rechnen können, so natürlich
ist es dennoch dass man in so einem
noch unentschiedenen Falle bey Prü-
fung des pro und contra sich auf die eine
oder die andere Seite geneigt fühlt;
und so sind mir denn freylich bis jetzt
die Gründe für die Entstehung des Ba-
salts durch einen Erdbrand bey jener
Totalrevolution unsrer Erde noch
immer überwiegend. Ich kan darin
irren, aber dann irre ich wenigstens
(– wie der grosse Edm. Halley
einmal bey einem ähnlichen cosmo-
genischen Problem sagt –) in sehr
guter Gesellschaft.*)

IV.
Umschaffung der Vorwelt.

[Seite 24]

Wenn die Vorwelt eine Totalre-
volution erlitten hat, wie es wohl
unverkennbar scheint; und wenn
diese Revolution wahrscheinlicher
weise durch einen allgemeinen Erd-
brand bewirkt worden ist; so muss
wohl nachher ein sehr langer Zeit-
raum verstrichen seyn, ehe die neu-
veränderte Rinde unsers Planeten
nun wieder abgekühlt und überhaupt
ihre Oberfläche wiederum geschickt
ward, mit neuer Vegetation belebt
und mit neuer thierischer Schö-
pfung beseelt zu werden.

Wie sie zu dieser Reife gediehen
war, dann hat der Schöpfer wohl im
ganzen die gleichen Naturkräfte zur
Hervorbringung der neuen organi-
schen Schöpfung wirken lassen, die
[Seite 25] auch in der Vorwelt diese Absicht
erfüllt hatten.

Nur dass der Bildungstrieb nach
dem durch eine solche Totalrevolu-
tion freylich wohl anders modificirten
Stoffe auch wohl bey Erzeugung der
neuen Gattungen eine von der vor-
maligen mehr oder weniger abwei-
chende Richtung hat nehmen müssen.
Daher finden wir freylich nur zu
sehr wenigen Versteinerungen aus der
Vorwelt ein ganz ähnliches Geschöpf
in der jetzigen Schöpfung, wie z.B.
zu dem oben angeführten Terebratu-
lit in den hiesigen Kalkbergen die
Bohrmuschel aus dem atlantischen
Ocean. Hingegen eine Menge von
solchen Petrefacten die den jetzigen
organisirten Körpern zu ähneln schei-
nen,
und daher wie schon gesagt bey
blos flüchtiger Vergleichung oft für
einerley mit denselben angesehen
werden, die aber bey genauer Prü-
fung unverkennbare specifische Ver-
[Seite 26] schiedenheit in ihrer Bildung zeigen
und zum Erweis dienen können, wie
der Bildungstrieb in diese beiden
Schöpfungen zwar auf eine ähnliche –
aber nicht auf die gleiche Weise ge-
wirkt hat.

Und die etwanige Einwendung,
ob nicht dieser Unterschied auch
wohl durch blose Degeneration in
einer langen Reihe von Jahrtausen-
den habe bewirkt werden können,
wird sehr leicht durch diejenigen Bey-
spiele widerlegt, wo die Verschie-
denheit zwischen fossilen und fri-
schen, einander im Ganzen ziemlich
ähnelnden Conchylien doch von der
Beschaffenheit ist, dass sie schlechter-
dings weder für eine Folge der Ab-
artung, noch für eine zufällige Mon-
strosität, sondern schwerlich für et-
was anders als für eine veränderte
Richtung des Bildungstriebes gehal-
ten werden kan. Nur gleich eins
dieser Beyspiele, statt aller:

[Seite 27]

In den nordischen Meeren lebt ei-
ne Schnecke deren ansehnliches Haus
unter dem Namen von Murex despe-
ctus
allgemein bekannt ist; und am
Ufer von Harwich gräbt man eine
fossile Schnecke in Menge aus die im
Totalhabitus so grosse Aehnlichkeit
mit jenem Murex hat, dass man auf
den ersten Blick eine mit der andern
verwechseln könnte. Allein – die
frische Gattung ist, wie gewöhnlich,
rechts gewunden: bey der fossilen hin-
gegen laufen die Gewinde gerade um-
gekehrt, links: *) und es ist eben so
unerhört diesen fossilen Muriciten
rechts gewunden, als jenen frischen
Murex linksgewunden zu sehen. –
so was ist nicht Folge der Ausartung,
sondern Umschaffung durch veränder-
te Richtung des Bildungstriebes.

V.
Veränderlichkeit in der jetzigen
Schöpfung.

[Seite 28]

Eine ganze Schöpfung organisirter
Körper ist also einst nach aller Wahr-
scheinlichkeit untergegangen, und
eine neue ist ihr succedirt. Allein
auch selbst in dieser neuen zeigt sich
so viele Veränderlichkeit oder wie
es Hr. von Haller nannte, Unbe-
ständigkeit der Natur, dass einem
schon à priori wie man sagt, auch
hier das Aussterben ganzer Gattun-
gen und die neue Entstehung von
andern nicht unbegreiflich fallen
dürfte, wenn auch nich beides durch
wirkliche data mehr als blos wahr-
scheinlich gemacht würde.

So fand sich z.B. noch zu unsrer
Väter Zeit auf Isle de France und
einigen benachbarten kleinen Inseln,
[Seite 29] aber sonst, soviel bekannt, nirgend
in der Welt, eine Gattung grosser
plumper träger Landvögel, von wi-
derlichen Fleisch, die Dudus, deren
Aufenthalt um so eingeschränkter
war, da sie so wenig als der Casuar
fliegen konnten. Nach den Versi-
cherungen des Hrn. Morel aber,
der deshalb an Ort und Stelle Unter-
suchungen angestellt hat, existirt die-
ser Vogel jetzt nicht mehr. Er ist
allgemach ausgerottet. – Und das
ist nicht unbegreiflicher und nicht
unwahrscheinlicher, als dass, wie
bekannt a. 1680. der letzte Wolf in
Schottland erschossen worden, wo
noch hundert Jahr vorher grosse
Wolfsjagden gehalten wurden. So
wie schon früher diele Raubthiere
aus England, und 30 Jahre Später
auch aus Irland vertilgt worden sind.
So bleiben sich überhaupt weder die
Faunen noch die Floren (wie man
diese Verzeichnisse einheimischer
[Seite 30] Thiere und Pflanzen nennt) in ei-
nem Lande beständig gleich! Genug
Geschöpfe verlieren (ich aus einer
Gegend, andre werden hinwiederum
verpflanzt und verbreitet. Seys ab-
sichtlich, so wie z.B. die Karpen nun
in vielen nordlichen Ländern durch
die Kunst naturalisirt worden; oder
zufällig so wie sich die Ratten aus der
alten Welt auch in die neue einge-
nistelt haben.

Und so hat es gar nichts wider
sich, dass auch in der grossen Uni-
versal-Faune oder Flore der Schö-
pfung (zumal aber in der erstern)
einmal wie gesagt eine Gat-
tung aussterben, dagegen aber auch
wohl eine neue zuweilen gleichsam
nacherschaffen werden kan.

Der Finnenwurm Schweinefleisch
den Malpighi zuerst entdeckt
hat, ist in seiner Art ein eben so
[Seite 31] vollkommnes wahres Thier als der
Mensch und der Elephant in der ih-
rigen. Nun aber findet sich, soviel
bekannt, dieses Thier blos beym zah-
men Hausschwein; und niemalen
hingegen bey der wilden Sau, von
der doch jenes abstammt. Dieser
Wurm scheint also eben so wenig
der Stammrace der Schweine aner-
schaffen, als es glaublich ist, dass
die ähnlichen Gattungen von Blasen-
würmern
die man neuerlich eben so
wie jene Finnen mitten im Fleisch und
an den Eingeweiden menschlicher Lei-
chen gefunden, den Stammeltern des
Menschengeschlechts sollten aner-
schaffen gewesen Seyn. Wie sie
freylich nacherschaffen worden, das
Weis ich eben so wenig als wie in
den Jünglingsjahren die ersten Saa-
menthierchen entstehen: dass sie
aber nacherschaffen worden, scheint
mir unverkennbar, und ich rechne
das zur grossen Veränderlichkeit in
[Seite 32] der Natur, und diese grosse Verän-
derlichkeit selbst zu den wohlthätig-
sten weisesten Einrichtungen des
Schöpfers.

Wie eingeschränkt wäre selbst der
Wirkungskreis des Menschen ohne
diese selbst durch ihn zu bewirkende
Veränderbarkeit der Natur. Und
wie wird er nun hingegen gerade
durch dieselbe recht Herr und Mei-
ster der übrigen Schöpfung. Um das
zu fühlen erinnere man sich blos der
erstaunenswürdigen Umschaffung die
er seit Entdeckung der neuen Welt
zwischen ihr und der Alten vorge-
nommen und ausgeführt hat.


VI.
Die Ausartung der organisirten
Körper.

[Seite 33]

Auch die Degeneration der Thiere
und Pflanzen von ihrer ursprüngli-
chen Stammrace in Spielarten, ge-
hört zu den auffallenden Erweisen
der Veränderlichkeit in der Schö-
pfung.

In der Mitte des XVIten Jahrhun-
derts kannte man keine andere Tul-
pe in Europa als die gemeine gelbe
Stammart. Und keine 200 Jahre
nachher hatte schon ein leidenschaft-
licher Liebhaber dieser Blumen, der
damalige Marggraf von Baden Dur-
lach bey dreytausend Abbildungen
Von verschiedenen Spielarten dersel-
ben zusammen gebracht.*)

[Seite 34]

Es ist nicht viel länger seit die er-
sten wilden grünen Canarienvögel
aus ihrer Heimat nach Europa ge-
bracht worden, und wie sind schon
längst diese Thiere in die mannich-
faltigsten Verschiedenheiten – nicht
blos der Farbe, sondern auch selbst
der Gestaltung – ausgeartet.

Man hat die Ursachen dieser Aus-
artung vorzüglich im Einfluss des
Clima, der Nahrung und der Lebens-
art gesucht, und freylich scheinen
manche Wirkungen dieser drey Din-
ge auf die Degeneration unverkenn-
bar. Dass z.B. im ganzen genom-
men, das Wachsthum durch die
Kälte zurückgehalten wird, oder
dass das individuelle Clima einer oder
der andern Weltgegend auch gewisse
auszeichnende Wirkungen auf die
in ihr einheimischen organisirten
Körper äusert. Dass z.B. in Syrien
vielerley Säugthiere ein so auffallend
[Seite 35] langes und seidenartiges Haar haben
u. dergl. m.

Aber freylich können auch sehr
oft mehrere der angegebenen Haupt-
ursachen der Degeneration entwe-
der zusammentreffen und einander
unterstützen oder aber auch die eine
der andern gleichsam entgegenwir-
ken und sie aufheben; daher dann
freylich von tausend Phänomenen der
Ausartung keine bestimmte Ursache
angegeben werden kan. Genug,
dass die Phänomene selbst nun ein-
mal als unverkennbare Folgen der
Veränderlichkeit der Natur so sind.


VII.
Besonders unter den Haus-
thieren.

[Seite 36]

Natürlicher Weise haben die Ursa-
chen der Degeneration auf diejenigen
Hausthiere am tiefsten und mannich-
faltigsten wirken müssen, die der
Mensch sich schon seit langen Gene-
rationen und so unterjocht hat, dass
sie sich auch dabey fortpflanzen, nicht
wie beym Elephanten jedes Indivi-
duum erst aus der Wildniss einge-
fangen werden muss: und die zu-
gleich fremder Climate gewohnen,
nicht wie das Rennthier in ein ein-
geschränktes Vaterland wie gebannt
sind.

Das gemeine Hausschwein kan
hierzu einem Beyspiel statt aller die-
nen, das ich um so lieber wähle, da
die Abstammung dieses Thiers weit
[Seite 37] unbezweifelter ist als bey vielen an-
dern. Der Hund z.B. artet zwar
auch selbst unter unsern Augen man-
nichfaltig aus, allein, es ist auch
nicht völlig ausgemacht, und schwer-
lich jemals ganz auszumachen, ob
alle Hunde blosse Spielarten von ei-
ner und eben derselben Gattung sind
oder nicht. Manche grosse Natur-
forscher haben bekanntlich den Schä-
ferhund als die gemeinschaftliche
Stammrace für alle übrigen angese-
hen: andere haben sogar den Wolf
und Schackal mit zu den Hunden ge-
zählt: noch andere hingegen finden
es nicht unwahrscheinlich, mehr als
eine Stammrace von Hunden selbst,
anzunehmen. Und allerdings hat
meines Bedünkens die letztere Mei-
nung viel für sich. Nicht zwar die
Verschiedenheit der Bildung unter
den Hunderacen an und für sich:
denn wie sehr kan die nicht seit den
laugen Jahrtausenden, da der Mensch
[Seite 38] schon dieses Thier, (das sich vielleicht
nirgend mehr ursprünglich wild *) fin-
det,) mehr als irgend ein anderes in
seinen nähern Umgang gezogen und
theils mit sich in fremde Climate ver-
pflanzt hat, abgeändert worden seyn:
aber das scheint mir ein Grund für
[Seite 39] mehr als eine ursprüngliche Race der
Hunde abzugeben, dass manche,
wie z.B. der Dachshund, einen so
ausgezeichneten und zu bestimmten
Verrichtungen abzweckenden Kör-
perbau haben, dass ich mich schwer-
lich überzeugen kan, diese merk-
würdige Bildung für eine zufällige
Folge der Degeneration und nicht
vielmehr für eine absichtliche Einrich-
tung des weisen Schöpfers*) zu
halten.

[Seite 40]

Beym Schwein hingegen ist die
Stärke der blosen Degeneration siche-
[Seite 41] rer zu übersehen; da meines wissen
noch kein Naturforscher mit seinem
[Seite 42] Scepticismus dahin verfallen ist,
zu bezweifeln, dass unsre Haus-
[Seite 43] schweine vom wilden Eber abstam-
men; und über dem diess eins von
den Thieren ist die vor Ankunft der
Spanier in America, daselbst unbe-
[Seite 44] kannt waren, und erst aus Europa da-
hin verpflanzt worden; mithin sich
hier die Kürze der Zeit unwiderred-
lich bedocumentiren lässt, binnen
welcher die nun in jenen Welttheil
verpflanzten Schweine theils zum
Wunder in die sonderbarsten Spiel-
arten degenerirt sind. Diejenigen z.
B. die a. 1509 aus Spanien auf die
wegen der Perlenfischerey damals
allgemein berühmte westindische In-
sel Cubagua gebracht wurden, arte-
ten in eine abentheuerliche Race aus,
mit Klauen die auf eine halbe Spanne
lang waren*).

Die auf Cuba wurden mehr als
noch einmal so gross, als ihre Euro-
päischen Stammeltern**) u.s.w.

[Seite 45]

Nun und wie ist nicht vorher in
der alten Welt das zahme Schwein
vom wilden ausgeartet; in seinen
Bedeckungen, besonders in Rücksicht
der Wollhaare zwischen den Borden;
in der so auffallend verschiedenen
Form des Schedels; selbst im ganzen
Wuchs &c.

Und wie verschieden endlich wie-
derum die Varietäten des Haus-
schweins selbst, das z.B. im Piemon-
tesischen fast ohne Ausnahme schwarz
ist; in Bayern rothbraun; in der Nor-
mandie weiss u.s.w. – wie sehr
anders der Wuchs der Schweine in
England mit dem ausgeschweiften Rü-
cken und hangenden Bauch von de-
nen im nordlichen Frankreich, die
sich von jenen durch die hochempor-
stehende Croupe und niederhängen-
den Kopf, und beide sich wieder von
dem Schwein in Deutschland aus-
zeichnen. Des Schweins mit unge-
[Seite 46] spaltenen Klauen, dergleichen sich
in Ungern und Schweden Herden-
weis finden und das schon Aristo-
teles
kannte, so wie anderer selt-
nerer Spielarten zu geschweigen.


VIII.
Ausartung des vollkommensten
aller Hausthiere, –
des Menschen.

[Seite 47]

Warum aber artet gerade das
Schwein so auffallend aus? warum
so weit mehr als doch manches an-
dre Hausthier? Die Lösung dieses
Problems fliesst aus dem obgesagten
von selbst. Eben darum weil gera-
de jenes Thier den Ursachen der De-
generation weit mehr als manche
andre ausgesetzt ist. Kein anderes
unsrer insgemein sogenannten Haus-
thiere ist einem so vielfachen Ein-
fluss der Climate ausgesetzt als das
Schwein; denn keines derselben ist
so wie dieses in alle fünf Welttheile
verbreitet. Keins ist so der Einwir-
kung der verschiedensten Nahrungs-
[Seite 48] mittel unterworfen; denn keins ist
so wie das Schwein animal omniuo-
rum
u.s.w.

Nur ein Hausthier giebt es noch
(– ein Hauschier im wahren Sinn
wenn gleich nicht im gewöhnlichen.
Gebrauche dieses Worts –) das
auch hierin alle andere Übertrift
und das ist der Mensch. –

Der Unterschied zwischen ihm und
andern Hausthieren ist nur der, dass
diese nicht so wie er von der Natur
selbst gleich zum Hausthier erschaf-
fen ganz dazu gebühren sind. Man
kennt den bestimmten natürlichen
wilden Zustand der allermehresten
Hausthiere. Aber man kennt nicht
einen bestimmten natürlichen wilden
Zustand des Menschen. Denn es
giebt keinen, weil ihn die Natur in
nichts beschränkt, sondern für jede
Lebensart für jedes Clima und für
[Seite 49] die mannichfaltigste Nahrung ge-
schaffen, ihm die ganze weite Welt
zur Heimat, und beide organisirte
Reiche zur Nahrung freygestellt hat.

Folglich ist aber auch auser ihm
kein zweytes Thier in der Schöpfung,
auf dessen solidum viuum so unend-
lich mannichfaltige stimuli *) als
eben so unendlich mannichfaltig con-
currirende Ursachen der Ausartung
wirkten.


IX.
Eine hieher gehörige physiolo-
gische Eigenheit des mensch-
lichen Körpers.

[Seite 50]

Zur Empfänglichkeit für jene sti-
mulos
wird das solidum viuum durch
die ihm beywohnenden Lebenskräfte
geschickt gemacht, deren verschie-
dene, wenn gleich innig in einander
wirkende Arten ich schon anderswo
auseinander zu setzen und genauer
zu bestimmen gesucht habe.*)

Unter diesen ist die allerallgemein-
ste, die durch beide Reiche organi-
sirter Geschöpfe herrscht, die Con-
tractilität,
ohngefähr das was sich
Stahl einer der tiefdenkendsten Phy-
siologen, unter seinem nur nicht ge-
nug bestimmten Tonus oder nachher
[Seite 51] die Leidner Schule unter dem Na-
men Actuositas dachte.

Der Sitz dieser allgemeinsten Le-
benskraft ist das Zellgewebe das die
Grundlage fast des ganzen organisir-
ten Körpers macht, so dass z.B. im
menschlichen Körper auser dem
Schmelz der Zähne und etwa den
äussersten Bedeckungen der Haut,
alle übrige Theile hauptsächlich aus
Zellgewebe bestehen, das mit den
andren Stoffen so zu sagen nur wie
durchzogen und getränkt ist.

Auch ist das Zellgewebe der erste
organische Stoff, den die Natur aus
den unorganischen Säfften bildet. so
formt sie z.B. die ausgeschwitzte pla-
stische Lymphe in Lungenentzün-
dungen erst zum lockern Zellgewe-
be, und dieses dann zu sogenannten
Pseudomembranen mit wahren Blut-
gefässen etc.

[Seite 52]

Die grössere oder mindere Ge-
schmeidigkeit des Zellgewebes ist
aber sowohl nach dem verschiedenen
Lebensalter, als nach der specifischen
Verschiedenheit der Gattungen von
organisirten Körpern selbst gar sehr
verschieden. Beym Aal ist es z.B. un-
endlich zäher als bey der Forelle etc.

Nun aber ist es eine Bemerkung
die schon vorlängst von scharfsichti-
gen Zootomen, z.B. von unsern seel.
Zinn gemacht worden, dass der
Mensch,
in Vergleich zu andern Ge-
schöpfen, die ihm in Rücksicht der
körperlichen Oekonomie zunächst
verwandt sind, zu den übrigen Säug-
thieren nemlich, ceteris paribus das
feinste, geschmeidigste Zellgewebe
hat. Wohlverstanden, ceteris pari-
bus,
d.h. man muss nicht etwa einen
alten Zigeuner mit einem ungebohr-
nen Lamme vergleichen wollen.

[Seite 53]

Diese ausnehmende Geschmeidig-
keit des Zellgewebes und die davon
abhängende vorzügliche Beschaffen-
heit der allgemeinsten Lebenskraft
ist, wie mir deucht, eine der aller-
auszeichnendsten und grössten Vor-
züge des Menschen. Der Vorzug,
wodurch er gerade zu seiner grossen
Bestimmung, die ganze Erde bewoh-
nen zu können, geschikt wird. Ohn-
gefähr so wie die Getraidearten bey
ihrem zärtern geschmeidigen Zellge-
webe, eher der verschiedensten Cli-
mate gewohnen als die festere Ce-
der und Eiche.

Da aber auch zugleich dieses beym
Menschen so ausnehmend geschmei-
dige Zellgewebe, wie gesagt, die erste
und wichtigste Hauptwerkstätte des
Bildungstriebes ist, so begreift sich aus
allem diesen zusammengenommen,
warum der Mensch folglich auch in
Bildung seines Körpers und der Thei-
[Seite 54] le desselben so mannichfaltiger De-
generation in. Spielarten, ausge-
setzt ist.

Nicht unwahrscheinlich liegt auch
darin die Ursache, warum das
Schwein fast wie der Mensch in den
mannichfaltigsten Zonen lebt, aber
auch folglich, fast wie er, mannich-
faltig ausartet; wenigstens zeigt sich
eben in Rücklicht des Zellgewebes
beider Geschöpfe manche merkwür-
dige Aehnlichkeit, die z.B. bey der
eigentlichen Haut (corium) die im
Grunde doch nichts andres ist, als
das verdichtete, mit Nerven und Ge-
fässen durchwebte, Zellgewebe der
äusern Oberfläche des Körpers, recht
auffallend scheint. Vielleicht liegt
auch darin die seit Galen's Zeiten
so oft versicherte Aehnlichkeit des
Geschmacks zwischen Menschen-
und Schweinefleisch u. dergl. m.
[Seite 55] Warum hingegen diese beiden
Geschöpfe von tausend andern Sei-
ten, auch auser der körperlichen
Bildung, so sehr von einander ver-
schieden sind, wird niemand fragen,
der die auszeichnenden eigenthümli-
chen Vorzüge aus der Physiologie
kennt, wodurch der Mensch, beson-
ders auch in Rücksicht der übrigen
edlern Arten von Lebenskräften,
der Reaction des Sensorii u.s.w. über
die ganze übrige thierische Schöpfung
erhaben wird.


X.
Ein Wort zur Beruhigung in
einer allgemeinen Familien-
Angelegenheit.

[Seite 56]

Es hat Leute gegeben, die ganz
ernstlich dawider protestirt haben
ihr eignes werthes ich mit Negern
und Hottentotten in eine gemein-
schaftliche Gattung (Species) im
Natursystem gesetzt zu sehen. Und
wiederum hats andere Leute gege-
ben, die gar kein Bedenken getragen
haben sich und den Orangutang für
Geschöpfe einer und eben derselben
Gattung zu erklären.

Denn so sagt z.B. der berühmte
Philosoph und kreuzbrave Grillen-
fänger, Lord Monboddo mit dür-
ren Worten: ‘„Es ist meines Bedün-
kens unwiderredlich erwiesen, dass
[Seite 57] die Orangutangs mit unser einem
zu einerley Species gehören.“’ *)

Hingegen konnte ein andrer (nur
nicht so kreuzbraver) Grillenfänger,
der weltberühmte philosophus per
ignem
Theophrastvs Paracelsvs
Bombastvs
nicht begreifen, dass al-
le Menschenkinder zu einer und der-
selben Stammrace gehören sollten,
und schuf sich daher zur Lösung die-
ses Zweifels auf dem Papier seine
zwey Adame.

Nun könnte es zwar wohl schon
für manchen etwas zur Beruhigung
über diese allgemeine Familienange-
legenheit beytragen, wenn ich drey
Philosophen ganz anderer Art nenn-
te, die, so sehr verschieden sie auch
sonst in manchen ihrer übrigen Mei-
[Seite 58] nungen waren, doch in diesem Punkt
vollkommen miteinander überein-
stimmten; vermuthlich weil es ein
Gegenstand der Naturgeschichte ist,
und alle dreye die grössten Natur-
kenner waren, die die Welt neuer-
lich verloren hat: Haller, Lin-
und Büffon.

Alle dreye hielten den Menschen
vom Orangutang himmelweit ver-
schieden, und hingegen alle wahre
Menschen, Europäer, Neger etc. für
blose Spielarten einer und eben-
derselben Stammgattung.

Aber den mehresten Lesern ist wohl
mehr damit gedient, wenn sie hier
statt dreyer Namen, die drey Haupt-
regeln finden, die ich bey meinen.
Untersuchungen über diesen Gegen-
stand immer, und wie ich zu glauben
Ursache habe, mit dem grössten Nu-
tzen befolgt, und dadurch manchen
[Seite 59] sonst ziemlich gemeinen Fehlschluss
dabey glüklich vermieden habe.

I. Man muss bey dieser Untersu-
chung durchaus immer die Physiolo-
gie der organisirten Körper über-
haupt vor Augen haben: darf nicht
blos am Menschen haften bleiben,
und thun, als wenn er der einzige
organisirte Körper in der Natur wä-
re; und etwa die Verschiedenheiten
in seinem Geschlecht befremdend und
räthselhaft finden, ohne zu beden-
ken, dass alle diese Verschiedenhei-
ten nicht um ein Haar auffallender
oder ungewöhnlicher sind, als die,
worin so tausend andre Gattungen
von organisirten Körpern, gleichsam
unter unsern Augen ausarten!

II. Man darf nie blos ein paar
recht auffallend gegen einander ab-
[Seite 60] stechende Menschenracen ausheben,
und diese nun, mit Uebergehung
der Mittelracen, die die Verbindung
zwischen jenen machen, so allein
gegen einander aufstellen: sondern,
man muss nie vergessen, dass auch
nicht eine einzige der körperlichen
Verschiedenheiten bey irgend einer
Menschenvarietät sey, die nicht
durch so unendliche Nüancen all-
mählich in der andern ihre über-
fliesst, dass derjenige Naturforscher
oder Physiologe wohl noch gebohren
werden soll, der es mit Grund der
Wahrheit wagen dürfte eine be-
stimmte Grenze zwischen diesen
Nüancen und folglich selbst zwischen
ihren Extremen festzusetzen.

III. Da bey Bestimmung der Va-
rietäten im Menschengeschlecht, so
gut wie in der übrigen Naturge-
schichte ohne anschauliche Kennt-
[Seite 61] nisse kein sicherer fester Tritt gedacht
werden kan, so ist es seit den 15 Jah-
ren, da ich mich mit dieser Unter-
suchung abgebe, die dritte Hauptre-
gel für mich gewesen, alles anzuwen-
den, um mir immer mehr und mehr
Subsidien zu diesem Behuf aus der
Natur selbst zu verschaffen.


XI.
* * *

[Seite 62]

Mein hochverehrter Herr College
der Hr. Hofr. Meiners hat hierin
manches anders eingesehen, das ich
meinen Leiern nicht vorenthalten
darf. Ich liefere also die Anmer-
kungen dieses berühmten Schriftstel-
lers, so wie er sie als Note zu einer
Abhandlung im Göttingischen histo-
rischen Magazin (VI. B. 3. St. S.
406-8) hat drucken lassen, und
schalte die meinigen behörigen Orts
zwischen ein.

Der Hr. Hofrath sagt nemlich:

Diese Abhandlung war schon zum Druck
fertig, als mir die Anzeige einer Vorle-
sung des Herrn Hofr. Blumenbach
über die Schädel verschiedener Völker-
schaften im 3ten St. der Göttingischen ge-
lehrten Zeitungen zu Gesichte kam. In
[Seite 63] dieser Anzeige kommen mehrere Stellen
vor, die mich zu einigen Erklärungen
nöthigen. – Ich kann zwar das Jahr
nicht genau angeben, wann ich zuerst das
Studium der Geschichte des Menschen mit
Eifer zu treiben angefangen habe; allein
es ist doch schon sehr lange, seit ich be-
merkt habe, daß man ganze Völkerschaf-
ten eben so wenig, als einzelne Men-
schen, nach der Bildung eines einzigen
Theils des Cörpers, und wiederum daß
Man die eigenthümliche Bildung eines ge-
wissen Theils des Cörpers in ganzen Na-
tionen nicht nach einzelnen Knochen beur-
theilen könne: daß ferner nicht alle die
in den Türkischen Heeren dienen, oder den,
Namen der Neger tragen, wahre Türken
und Neger, seyen: und daß man endlich
aus einigen Neger-Schädeln gar nichts
sicheres und vollständiges für die Varietä-
ten der Neger, oder nur ihrer Köpfe
schließen könne, so lange es nicht ausge-
macht ist, ob die Neger, denen sie zuge-
hörten, in Afrika, oder West-Indien und
America geboren worden, und wenn in
Afrika, ob sie diesseits oder jenseits des
Aequators, und wenn diesseits, ob sie dies-
[Seite 64] seits oder jenseits des Sierra Liona gebo-
ren worden?

Die eine dieser Bemerkungen, die
der Hr. Hofr. schon seit sehr lange
gemacht zu haben versichert, dass
nemlich nicht alle die in den türki-
schen Heeren dienen, wahre Türken
seyen, ist in der That eben so unbe-
zweifelt richtig, als dass nicht alle
die von der Insel Formosa geschrie-
ben haben, wahre Formosaner wa-
ren. –

Wenn nun aber zuverlässige Be-
obachter,
(wie sie der Hr. Hofr. un-
ten verlangt) den Köpfen der wah-
ren Türken eine auszeichnende durch
die Kunst bewirkte Form zuschrei-
ben, und ich erhalte ein paar Sche-
del aus dem türkischen Heer von
Oczakow, und diese Schedel haben
jene auszeichnende Form so, dass sie
auch ein Blinder schon auf den ersten
Griff durchs Gefühl anerkennen
[Seite 65] müsste, und sie kommen darin nicht
nur beide mit einander, sondern auch
mit einer dritten calvaria in meiner
Sammlung überein, die von einem
türkischen Officier ist, der hundert
Jahre vorher bey Fünfkirchen blieb,
und alle dreye wieder mit den Por-
trätmässigen Abbildungen wahrer
Türken von Meisterhand, die ich
vor mir habe; so muss ich entweder
glauben, dass meine Schedel auch
wahre Türkenschedel sind, – oder
aber, dass ein curioser Zufall, wie
der, der einst die sechs gekrönten
Häupter im Candide zusammen-
brachte, mir drey sceletirte Häupter
von Nicht-Türken, und doch mit
allen auszeichnenden Characteren
wahrer Türken, mitten aus den
türkischen Heeren, in meine Samm-
lung nach Göttingen gespielt hat.

Was die Negerschedel in eben
dieser Sammlung betrift, so ist es
[Seite 66] nach den mir davon zugekommenen
Nachrichten so gut wie ausgemacht,
dass sie Sämtlich in America jung
worden. Zu meinem Zweck ist es
hinreichend, das ich weis, und bey
zweyen derselben, die ich mit Haut
und Haar bekommen, und die ge-
rade die mindst auffallende Gestal-
tung haben, durch die dabey in
Spiritus auf bewahrten weichen Thei-
le, Augen, Ohren etc. zeigen kan,
dass sie wahren Negern, und nicht et-
wa Mulatten, oder Europäern mit
negerartiger Bildung des Kopfs, zu-
gehörten.

Die übrigen Bemerkungen die der
Herr Hofr. in dem obigen Absatz
ebenfalls schon seit sehr lange ge-
macht zu haben versichert, sind mir,
wie man zu sagen pflegt, wie aus der
Seele geschrieben.

[Seite 67]

Es kan keinen eifrigern Freund der
natürlichen Methode in der Natur-
geschichte, und namentlich in dem-
jenigen Theil derselben, der das
Menschengeschlecht betrift, geben,
als mich, da ich so oft, und noch
gerade in der gedachten Societäts-
vorlesung selbst, für den Urtheilen
nach der Bildung eines einzigen
Theils des Körpers gewarnt; über-
haupt aber kein Stück in meiner
Sammlung zur Menschengeschichte
anders gebraucht habe, als wozu es
gut ist. Nimmermehr werde ich
z.B. mir einfallen lassen, aus meinen
Schedeln zu demonstriren, ob sie wei-
land gerne Schweinefleisch oder wirk-
liche Schweinereyen gegessen etc. –
da ich alle solche Untersuchungen zur
Menschengeschichte ein für allemahl
dem philosophischen Sammler-Geist
der Herren Demeunier u.a. über-
lasse.

[Seite 68]

Hingegen wenn die Frage von
Nationalbildung der Menschenvarie-
täten ist, da thun sie, deucht mir,
ganz gute Dienste: so wie man denn
überhaupt meines wissens, des Glau-
bens ist, dass es im Studium der Na-
tur
geschichte gar wohl gethan sey
die Natur selbst zu consultiren.

Der Herr Hofr. selbst scheint das
zu fühlen, da er fortfährt:

Ich gebe gerne zu, daß wir alle, die
wir uns mit dem Studio des Menschen
beschäfftigen, sicherere Tritte thun wür-
den, wenn wir uns von allen Völkern,
die wir untersuchen wollen, eine anschau-
liche
Kenntniß verschaffen könnten; al-
lein da dieses nun einmal nicht möglich
ist, so müssen wir uns, wie andere Ge-
schichtforscher, und Geschichtschreiber, da,
wo unsere eigene Erfahrung uns verläßt,
mit den Nachrichten von fähigen und
glaubwürdigen Zeugen begnügen.

[Seite 69]

Richtig: wo unsere eigene Erfah-
rung uns verlässt, da müssen wir
uns mit den Nachrichten von fähi-
gen und glaubwürdigen Zeugen be-
gnügen. – So macht es wohl jeder
Naturforscher in der Welt, wenn
ihn die eigne Erfahrung über Wall-
fische und hundert andre Geschöpfe
verlässt.

Aber gerade dieses hier so vortreff-
lich an seinem rechten Orte stehende
wenn, scheint doch die unabbittli-
che Verpflichtung des Naturforschers
vorauszusetzen, dass er auch alles
anwenden müsse, was in seinen Kräf-
ten ist, um vor allen Dingen sich so
viele eigene Erfahrung als möglich,
zu verschaffen.

Alle die Nachrichten von noch so
fähigen und glaubwürdigen Zeugen,
sind im Grunde doch für den Wahr-
heitsuchenden Naturforscher nichts
[Seite 70] mehr und nichs weniger als eine Art
symbolischer Bücher, die er mit gu-
ten Gewissen nie anders als quatenus
unterschreiben kan, in so fern sie
nemlich mit dem geoffenbarten Wort
im Buch der Natur übereinstimmen,
und um diess zu beurtheilen muss
er sich in diesem Buch so viel Bele-
senheit und dadurch eben so viel Er-
fahrung als möglich, verschaffen,
und das habe ich denn meines wis-
sens in meinem Studium der Natur-
geschichte des Menschengeschlechts
auch nach besten Vermögen zu thun
gesucht.

Da ich als Doctorand meine Dis-
sertation de generis humani varietate
nativa
ausarbeitete, war alles was
damals in meinem Vermögen stand,
die dazu gehörigen Nachrichten von
Zeugen, die man für fähig und
glaubwürdig hielt, zusammen zu
schreiben und zu vergleichen. Aber
[Seite 71] schon damals habe ich das Unvoll-
kommene meiner zwar gutgemein-
ten jugendlichen Arbeit, den Man-
gel der nöthigen Avtopsie keineswe-
ges verkannt oder geläugnet. – Ich
hatte wenigstens gefürchtet dass den
Lesern der Fuchs mit den Trauben
beyfallen möchte.

Ich habe seitdem diesem Mangel so
viel an mir gewesen ist, möglichst
abzuhelfen gesucht, ohne dabey den
unablässigen Gebrauch der Reisebe-
schreiber und andrer fähigen und
glaubwürdigen Zeugen im mindesten
zu vernachlässigen. Vielmehr habe
ich zu diesem Zweck etwas gethan,
was vielleicht nicht viele thun, dass
ich, nachdem ich ihrer schon eine
Menge gelesen hatte, vor ohngefähr
zehn Jahren anfing, die ganze sehr
beträchtliche Sammlung von Reise-
beschreibungen auf der hiesigen Uni-
versitäts-Bibliothek von vorne bis zu
[Seite 72] Ende durchzugehen, so dass ich meh-
rere Jahre hindurch immer ein halbes
Dutzend nach dem andern, so wie
sie der Ordnung nach im Fache
folgten, zu Hause hatte, und die, so
ich nicht vorher schon benutzt hatte,
zu meinem Gebrauch excerpirte, so
dass ich nun seitdem blos die immer
neu hinzukommenden gelegentlich
nachzuholen suche.

Der Herr Hofr. sagt weiter:

Nach der geringen Kenntniß, die ich
von der Kritik habe, sind die übereinstim-
menden Zeugnisse von zuverlässigen Beob-
achtern, die viele Hunderte oder Tausende
desselbigen Volks Jahre lang vor Augen
hatten, die also bey allen Verschiedenhei-
ten von Individuen das Uebereinstimmen-
de in der Bildung des Cörpers, und in
den Anlagen des Geistes und Herzens
wahrnehmen konnten, eine viel reichere
und bessere Quelle für das Studium des
Menschen, als einer, oder einige Schädel
von ungewisser Abkunft.

[Seite 73]

Nach der gleichfalls geringen
Kenntniss die auch ich von der Kri-
tik habe, unterschreibe ich diesen Pa-
ragraphen von ganzen Herzen, und
bin noch jetzt wie von je des festen
Glaubens, dass die übereinstimmenden
Zeugnisse von zuverlässigen Beobach-
tern mehr sagen wollen, als einer
oder einige Schedel von ungewisser
Abkunft.

Daher kan man auch nicht behut-
samer seyn, als ich es bin, erstens,
alle die Schedel in meiner Sammlung
die von ungewisser Abkunft scheinen,
schlechterdings von den unbezwei-
felten zu sondern: – und zweytens
von diesen letztern selbst auch den
pertinenten Gebrauch zu machen,
und daher z.B. nicht leicht von ihrer
Form auf die Anlagen des Herzens zu
schliesen.

[Seite 74]

Keine Nation ist sich selbst so gleich in
allen ihren Mitgliedern, daß nicht unter
mehrern Individuen auch ohne Knochen-
Krankheiten, und andere gewaltsame Ver-
letzungen beträchtliche unterschiede in An-
sehung der ganzen Natur, und besonders
der Bildung einzelner Theile des Cörpers
eintreten sollten; und eben deßwegen ist es
nothwendig, daß wenn man sich eine an-
schauliche
Kenntniß von den unterschei-
denden Eigenthümlichkeiten ganzer Natio-
nen verschaffen will, man nicht bloß eini-
ge Schädel, sondern viele Individua
beobachte, und mit einander vergleiche.

Eben die unwiderredliche Wahr-
heit auch dieser vortreflichen Bemer-
kung ist längst Ursache gewesen,
dass ich mich bey meinen Sammlun-
gen bey leibe nicht blos auf Schedel
allein eingeschränkt, sondern alles
was zum Studium dieses Theils der
Thiergeschichte gehört, Embryonen>
allerhand weiche Theile des Körpers,
Haare etc. so wie auch Gypsabgüsse,
[Seite 75] porträtmäsige Abbildungen von man-
cherley Völkern u. dergl. m. zusam-
men zu bringen gesucht und noch
täglich mehr Suche, und dann diese
vielen Individua sorgfältig beobachte
und sowohl untereinander als mit
den Nachrichten von fähigen und
glaubwürdigen Zeugen auf unsrer
Universitäts-Bibliothek vergleiche.
Und darum habe ich nun auch ange-
fangen einen Theil dieser Sammlun-
gen in getreuen Abbildungen be-
kannt zu machen, um dadurch andern
Naturforschern und Physiologen Ge-
legenheit zur weitern Vergleichung
mit immer mehr und mehr Indivi-
duen zu geben.

Wer Lust hat, das menschliche Geschlecht
nach seiner Art einzutheilen, der mag es
entweder nach den verschiedenen Schatti-
tirungen von Farbe, oder nach den Kö-
pfen, oder nach den verschiedenen Bildun-
gen von Nasen, oder Ohren thun; nur
muß es andern nicht verargt werden, wenn
[Seite 76] sie glauben, daß Eintheilungen, die sich
auf einzelne körperliche Merkmale grün-
den, nicht so sicher und fruchtbar sind, als
solche, in welchen man auf alle unterschei-
dende Merkmale des äussern und innern
Menschen, so weit sie bekannt sind, Rück-
sicht genommen hat.

Eine wiederholte Bestätigung der
obigen, mir wie gesagt gleichsam aus
der Seele geschriebnen Warnung für
Eintheilung der Geschöpfe nach ein-
zelnen
körperlichen Merkmalen.

Auch wüsst ich nicht, dass es mir
je verargt worden wäre, dass ich in
meinem ganzen Studium der Natur-
geschichte immer am liebsten auf alle
unterscheidende Merkmale Rücksicht
nehme, – so weit ich sie mir zuför-
derst aus der Avtopsie, und wo mich,
wie obgedacht, meine Erfahrung ver-
lässt,
aus den Nachrichten von fähi-
gen und glaubwürdigen Zeugen,
bekannt zu machen im Stande bin.

[Seite 77]

Der Herr Hofr. schliesst nun mit
den Worten:

Wenn man sich auf ein einziges Merk-
mal einschränkt; so kann man leicht auf
den Einfall kommen, daß es nicht viel
mehr der Mühe werth sey, die ursprüng-
lichen Unterschiede von Menschen-Raçen,
als die Spiel-Arten von gewissen Blumen
aufzusuchen: ein Einfall, der den gerech-
ten Verdacht erwecken würde, daß sein Ur-
heber mit der ganzen Untersuchung selbst
nur gespielt habe.

Ich hatte gesagt: ‘„so gut man
die Spielarten von Nelken und Tul-
pen classificirt, eben so füglich
auch die Spielarten im Menschen-
geschlecht.“’ – diess sind meine
Worte, und hierwider wird hoffent-
lich niemand etwas einzuwenden
haben.

Ein verdächtiger Kunstgriff würde
es aber seyn, wenn mir jemand diese
meine Worte dahin verdrehen woll-
[Seite 78] te, als ob ich es nicht viel mehr der
Mühe werth hielte, die ursprüngli-
chen Unterschiede von Menschenra-
cen, als die Spielarten von gewissen
Blumen aufzusuchen: – ein Kunst-
griff, der den gerechten Wunsch er-
wecken würde, dass sein Urheber
lieber alles in der Welt gespielt, als
sich denselben erlaubt haben möchte.


XII.
Eintheilung des Menschenge-
schlechts in fünf Spielarten.

[Seite 79]

Nun wieder auf die obigen drey
Regeln zu kommen, die eben den
Anlass zu dieser kleinen Excursion
gegeben haben, so bin ich bey der
vieljährigen fleissigsten Beobachtung
derselben zwar zu keiner neuen
frappanten Entdeckung, aber was
mir für mein Studium eben so lieb
seyn muss, zur Ueberzeugung von
einer alten nur neuerlich hin und wie-
der bezweifelten naturhistorischen
Wahrheit gekommen.

Ich finde nemlich nach allem was
ich, soviel möglich zuförderst durch
anschauliche Kenntniss, und wo ich
mir diese nicht verschaffen konnte, aus
den Nachrichten fähiger und glaub-
würdiger Zeugen, über die körperli-
[Seite 80] chen Verschiedenheiten im Menschen-
geschlecht, gelernt und mit den kör-
perlichen Verschiedenheiten bey an-
dern Gattungen von organisirten
Körpern, zumal unter den Hausthie-
ren verglichen habe, – keine einzi-
ge Verschiedenheit bey jenem die
man nicht auch bey manchen von
diesen und zwar als unverkennbar-
ste Folge der Ausartung, bemerken
sollte.

Folglich sehe ich auch nicht den
mindsten Scheingrund, warum ich,
die Sache naturhistorisch und phy-
siologisch betrachtet, nur irgend be-
zweifeln dürfte, dass alle Völker al-
ler bekannten Himmelsstriche zu
einer und eben derselben gemein-
schaftlichen Stammgattung (Species)
gehören.

So gut man aber, wie gesagt, doch
die Spielarten von Nelken und Tul-
pen classificirt, eben so füglich auch
[Seite 81] die Spielarten die im Menschenge-
schlecht aus dieser gemeinschaftli-
chen Stammgattung entstanden sind.

Nur dass, da alle auf den ersten
Blick auch noch so auffallende Ver-
schiedenheiten im Menschenge-
schlecht bey näherer Beleuchtung
durch die unmerklichsten Uebergän-
ge und Mittel-Nüancen ineinander
fliesen, keine andere als sehr will-
kührliche Grenzen zwischen diesen
Spielarten gezogen werden können,
zumal, wenn man wie billig dabey
nicht blos auf eine oder die andere,
sondern nach den Eigenschaften ei-
nes natürlichen Systems auf alle kör-
perliche Kennzeichen zugleich, Rück-
sicht nimmt.

so weit ich mir inzwischen die
Völker der Erde, zumal nach den
Heuerten Reisen nach dem stillen O-
cean bekannt zu machen gesucht ha-
[Seite 82] be, so lassen sie sich meines wissens
am allernatürlichsten unter folgende
fünf Spielarten bringen:

I. Die Europäer und westlichen A-
siaten,
disseits des Obi, des Cas-
pischen Meers und des Ganges,
nebst den Nord-Africanern. Mit
einem Wort ohngefähr die Be-
wohner der den alten Griechen
und Römern bekannten Welt.
Sie sind von Farbe mehr oder
weniger weiss, und nach den
Europäischen Begriffen von
Schönheit die bestgebildetsten
Menschen.

II. Die übrigen Asiaten, jenseits
des Obi, des Ganges etc. nebst
den nordlichsten Americanern (an
der weltlichen Küste nemlich
etwa bis nach Alashka und an
der ostlichen bis Labrador.) Sie
sind meist gelbbraun, dünnbe-
[Seite 83] haart, haben platte Gesichter
und enggeschlitzte Augenlieder.

III. Die übrigen Africaner; mehr
oder weniger schwarz, mit stär-
ker prominirenden Untertheil
des Gesichts, wulstigen Lippen,
stumpfer Nase, und meist krau-
sen Haar.

IV. Die übrigen Americaner; meist
von Kupferrother Farbe, man-
nichfaltiger meist durch Kunst
bewirkten Form des Kopfs, und
straffen schlichten Haar.

V. Die Südsee-Insulaner oder die
Bewohner des fünften Welt-
theils, bis wieder gen Ost-Indi-
en. Sie sind meist schwarzbraun,
breitnasicht, und grosmaulicht
mit dichten Haarwuchs und
starkausgewirkten Gesichtszü-
gen.

XIII.
Ueber die Negern insbesondre.

[Seite 84]

Auch Gottes Ebenbild, wie Ful-
ler
sagt, wenn gleich aus Eben-
holz gearbeitet.

Man hat diess zuweilen bezwei-
feln und dagegen behaupten wollen,
die Negern seyen in ihrem Körper-
bau specifisch von den übrigen Men-
schen verschieden und müssten die-
sen auch in der Anlage ihrer stum-
pfern Geistesfähigkeiten bey weiten
nachstehen.

Eigne Beobachtung, verglichen
mit den Nachrichten glaubwürdiger
präjudizloser Zeugen, haben mich
aber längst vom Ungrund dieser dop-
pelten Behauptung überführt.

[Seite 85]

Ich brauche nicht alles das zu
wiederholen, was ich anderwärts
ausführlich zur Widerlegung dersel-
ben gesagt habe: nur eins und das
andre darf ich nicht ganz unberührt
lassen.

Ich kenne z.B. keinen einzigen
auszeichnenden körperlichen Chara-
cter der den Negern eigenthümlich
wäre und sich nicht auch bey man-
chen andern noch so entfernten Völ-
kerschaften finden sollte: keinen, der
den Negern in gleichem Grade ge-
mein wäre, und worin sie nicht wie-
derum mit andern Völkern durch
unmerkliche Uebergänge gleichsam
zusammenfliessen sollten, so wie je-
de andre Menschenvarietät mit ihren
benachbarten Völkerschaften zusam-
men fliesst.

Die Farbe der Haut z.B. haben
sie mit den Einwohnern von Mada-
[Seite 86] gascar, Neu-Guinea, Neu-Holland
etc. mehr oder weniger gemein. Und
von den schwärzesten Negern in
Nord-Guinea geht das durch unmerk-
liche Nuancen, bis endlich zu den
Mauren, unter welchen manche, zu-
mal die Weiber, nach Shaw's Ver-
sicherung die weisseste Haut haben,
die man sich vorstellen kan.

Das krause Wollhaar ist erstens
bekanntlich nicht allen Negern ge-
mein, denn selbst von denen in
Nigritien sagt Barbot, dass sie theils
krauses, theils schlichtes Haar ha-
ben: und eben das bestätigt Ulloa
von den Negern im Spanischen Ame-
rica. Zweytens aber ist das soge-
nannte Wollhaar auch bey weiten
nicht etwa den Negern eigen, son-
dern findet sich eben so bey manchen
Völkern der fünften Spielart wie z.
B. bey den Ygoloten auf den Phi-
lippinen, bey den Einwohnern der
[Seite 87] Charlotten-Inseln u.a.m. und
eben so auch bey manchen von der
dritten Varietät die doch nicht zu den
Negern gezählt werden. So bey
manchen Abissiniern wie z.B. beym
berühmten Abbas Gregorivs von
welchem ich das schöne Bildnis, das
Heiss im J. 1691 nach van Sand
gestochen, vor mir habe*). Und
so sagt auch Sparrmann von den
Hottentotten, dass ihr Haar noch mehr
Wollartig sey als der Neger ihres;
das ich durch die Gemälde von Hot-
tentotten und Caffern bestätigt fin-
de, die vor einigen Jahren mit dem
Pflanzentransport vom Cap an den
vorigen Kaiser geschickt worden,
und wovon ich durch die Güte des
Hrn. Berg R. von Jacquin genaue
Copien erhalten habe.

[Seite 88]

Was die Gesichtsbildung der Ne-
ger betrift, so ist freylich der Abstand
auffallend wenn man gerade einen
hässlichen Neger (deren es freylich
so gut giebt als häßliche Europäer)
einem griechischen Ideal entgegen
stellt. Aber diess ist eben gegen eine
der obigen Regeln gefehlt. Sobald man
hingegen auch hier die Uebergänge
verfolgt, so schwindet das Auffallen-
de zwischen zwey gegen einander
contrastirenden Extremen gar sehr,
– und freylich Extreme müssen hier
so gut seyn als bey allen andern Ge-
schöpfen die in mancherley Varietä-
ten ausarten. –

Hingegen kan ich versichern, dass
unter den Negern und Negressen
die ich mit Aufmerksamkeit betrach-
ten können, und ich habe ihrer
nicht wenige gesehen, so wie unter
den porträtmässigen Abbildungen
und Silhouetten von andern, und
[Seite 89] unter den Negerschedeln in meiner
Sammlung und denen die ich sonst
gesehen und denen wovon ich Zeich-
nungen und Kupferstiche vor mir
habe, nicht zweye sind die einander
in der Bildung völlig glichen, son-
dern dass sie alle von einander ver-
schieden sind, und durch mancherley
Abstufungen mit der Gestaltung an-
drer Menschenkinder bis zur ange-
nehmsten Bildung unvermerkt zusam-
men fliessen. Von der Art war z.B.
eine Creole die ich in Yverdun
beym Hrn. Chevalier Treytor-
rens
gesprochen, die derselbe mit
aus St. Domingo gebracht und deren
beide Eltern aus Congo waren.
Ein Gesicht, das durchaus – selbst
in der Nase und den etwas stärkern
Lippen, – doch so gar nichts auf-
fallendes, geschweige denn unan-
genehmes hatte, dass die gleichen
Züge bey einer weissen Haut, gewiss
allgemein gefallen haben müssten,
[Seite 90] gerade so wie le Maire in seiner
Reise nach Senegal und Gambien
sagt: dass es Negressen gebe, die,
von der Farbe abstrahirt, so wohl
gebildet seyen als unsre Europäi-
schen Damen. Auch Adanson,
dieser genaue Naturforscher, be-
stätigt diess von den Senegambi-
schen Negressen: ‘„sie haben“’ sagt er,
‘„schöne Augen, kleinen Mund und
Lippen, und wohl proportionirte
Gesichtszüge: man findet welche
von einer vollkommenen Schön-
heit*): sie sind voll Lebhaftig-
keit und haben vorzüglich einen
leichten freyen gefälligen Anstand.“’
Nun gerade so war die Negresse in
Yverdun und mehrere andere Ne-
gressen und Negern, die ich seitdem
näher kennen zu lernen Gelegen-
heit gehabt, und die mich zugleich
von der Warheit dessen überführt
haben, was so viele unverdächtige
[Seite 91] Zeugen von den guten Geistesanla-
gen und Fähigkeiten dieser unsrer
schwarzen Brüder versichern, als
worin sie so gut wie in der natürlichen
Gutherzigkeit schwerlich einer an-
dern Spielart im Menschengeschlech-
te im Ganzen genommen nachstehen.
Ich sage sehr bedächtlich im Ganzen
genommen, und natürliche Guther-
zigkeit, die nemlich nicht auf dem
Transportschiff und in den Westindi-
schen Zuckerplantagen durch die
viehische Brutalität ihrer weissen
Henker so betäubt oder erstickt
worden, dass diese weissen Henker,
so wie ohne Herz so auch obendrein
ohne Kopf seyn müssten, wenn sie
bey einer solchen Behandlung noch
Treue und Liebe von diesen Sclaven
verlangen wollten. Der grosse helle
Beobachter der Natur, Aublet, be-
ruft sich in seiner meisterhaften treu-
en Schilderung des natürlich-guten.
Characters der Neger, auf die Con-
[Seite 92] fessionen von Europäern die in der
Algirischen Gefangenschaft gewesen
waren und aufrichtig gestanden hat-
ten, das sie in dieser Lage gerade
eben so bösherzig und gegen ihre
damaligen Patrone gerade eben so
gesinnt gewesen wie ein Neger in
diesem Fall es nur irgend gegen den
seinigen in den Colonien seyn könne.
Hingegen habe ich nun seit einem
halben Jahre täglich eine brave Ne-
gresse unter meinen Augen, der ich
oft in Gedanken das sage, was Wie-
land'
s Democrit seiner guten sanft-
herzigen krauslockigen Schwarzen
sagt, und was auch von andern prä-
judizlosen Beobachtern unverdorbe-
ner Schwarzen so oft bestätigt wor-
den, dass es sich nicht der Mühe
lohnt, die Zeugnisse darüber zusam-
menzuthürmen.

Eher lohnt es sich wohl der
Mühe, einige nicht so allgemein
[Seite 93] bekannte merkwürdige Beyspiele
von der Perfectibilität der Geistes-
kräfte und den Talenten der Neger
hier aufzustellen, die freylich auch
niemanden unerwartet seyn werden,
wer in den Nachrichten der zuver-
lässigsten Reisenden von den natürli-
chen Anlagen der Neger bewandert
ist. So sagt z.B. der classische äus-
serst genaue Barbot in seinem gros-
sen Werke von Guinea: – ‘„die
Schwarzen haben grösstentheils
Kopf und Verstand genug; sie fassen
leicht und richtig, und ihr Gedächt-
nis ist von einer fast unbegreiflichen
Stärke: denn ob sie schon weder le-
sen noch schreiben können, so blei-
ben sie doch selbst in der grössten Ei-
le der Geschäfte und des Handels in
ihrer Ordnung und werden selten
irre.“’ – ‘„Seit sie so oft von den Eu-
ropäern betrogen worden, sind sie
nun im Handel und Wandel mit
denselben beständig auf ihrer Hut,
[Seite 94] untersuchen sorgfältig alle unsre
Waaren, Stück für Stück, ob sie alle
in Güte und Maas die bedungene
Probe halten: z.B. ob die Tücher und
Zeuge dauerhaft sind, ob sie in Haar-
lem oder in Leiden gefärbt worden,
u. dergl. m.“’ – ‘„kurz sie prüfen
jedes Ding mit so viel Klugheit und
Geschick als irgend nur ein Europäi-
scher Handelsmann es thun kan.“’ –

Ihr Geschick zu Erlernung aller
Art von feiner Handarbeit ist bekannt.
Man rechnet dass wohl 9/10 von den
gewöhnlichen Handwerksleuten in
Westindien, Neger sind.

In Rücksicht ihrer Talente zur
Musik brauche ich mich nicht erst
auf die Beyspiele zu berufen, da Neger
in America durch dieselben so viel
verdient, dass sie sich für grosse Sum-
men frey kaufen können: da es selbst
in Europa nicht an Beyspielen von
[Seite 95] Schwarzen fehlt, die sich als wahre
Virtuosen gezeigt. Der junge Frei-
dig
in Wien ist als ein meisterhaf-
ter Conzertist auf dem Violon und
der Violine sehr bekannt: und eben
dieser trefliche junge Mann ist ein
ausnehmender Zeichner der sich mit
dem grössten Glück auf der dortigen
Academie unter Schmutzer gebil-
det hat.

Nun und ebenfalls in Wien lebt
ja der würdige und so sehr ausge-
bildete alte Angelo Soliman, Ge-
sellschafter beym Fürsten Alois
Lichtenstein.

Als Beyspiele von Anlagen der Ne-
ger zu mathematischen und physica-
lischen Wissenschaften, nenne ich
blos den Russischen Artillerie-Obri-
sten Hannibal und den Neger Lislet
auf Isle de France, der wegen seiner
vortreflichen meteorologischen Be-
[Seite 96] obachtungen von der Pariser Acade-
mie der Wissenschaften zu ihrem Cor-
respondenten ernannt worden.

Hr. D. Rush in Philadelphia ar-
beitet jetzt an der Geschichte des
Neger Fuller in Maryland, der we-
gen seiner ausnehmenden Fertigkeit
im Rechnen neulich so bekannt wor-
den. Um denselben auf die Probe
zu setzen fragte man ihn in einer Ge-
sellschaft, wie viel Secunden ein
Mann gelebt habe der 70 Jahr und
so und so viel Monate etc. alt worden.
In anderthalb Minuten gab Fuller
die Zahl an. Man rechnete nach,
aber das Resultat war nicht dasselbe.
– ‘„Sie haben doch nicht vergessen“’
sagte der Neger, ‘„die Schalttage mit
in Anschlag zu bringen?“’ diese wur-
den nun erst supplirt und nun traf
alles auf ein Haar zu.

Von den nicht gemeinen Einsich-
ten der Neger in die practische Arz-
[Seite 97] neykunst haben Boerhaave und
de Haen die vortheilhaftesten Zeug-
nisse gegeben. Eben so sind Neger
als sehr geschickte Wundärzte be-
kannt worden. Und die gedachte
hübsche Negresse zu Yverdun kennt
man weit und breit in der welschen
Schweiz als eine vortrefliche Hebam-
me von soliden Kenntnissen und einer
feinen geübten Hand.

Ich übergehe den Wesleyischen
Methodisten – Prediger Madoks, so
wie die Negern und Negressen die
Gedichte geschrieben haben. Herr
von Haller gedenkt einer Negresse
die Dichterin war, und von dreyen
Negern habe ich selbst englische,
holländische und lateinische Gedich-
te in Händen.

Aber einiger andrer Neger die als
Schriftsteller berühmt worden sind,
und deren Werke ich besitze, darf
ich noch besonders gedenken:

[Seite 98]

Unser seel. Hollmann hat, da
er noch Prof. in Wittenberg war, a.
1734 den Neger Ant. Wilh. Amo
zum D. der Weltweisheit creirt, der
sich sowohl in Schriften als auch als
Docent vortheilhaft gezeigt hat, und
von welchem ich zwey Abhandlun-
gen vor mir habe, wovon zumal die
eine viele unerwartete und wohl-
verdaute Belesenheit in den besten
physiologischen Werken jener Zeit
verrätht.*) In einer Nachricht von
Amo's Leben, die bey dieser Gele-
genheit im Namen des academischen
Concilii gedruckt worden, wird sei-
[Seite 99] ner ausnehmenden Rechtschaffenheit,
so wie seinen Fähigkeiten, seinem Fleis
und seiner Gelehrsamkeit grosses Lob
ertheilt. Es heisst z.B. von seinen
philosophischen Vorlesungen excussis
tam veterum quam nouorum platitis,
optima quaeque selegit, selecta enucleate
ac dilucide interpretatus est
u.s.w.

In den 40er Jahren studirte der
Neger Iac. Elisa Ioh. Capitein zu
Leiden Theologie, der als ein acht-
jähriger Knabe geraubt, an einen Scla-
venhändler am St. Andreas Fluss ver-
kauft worden, und so durch die dritte
Hand nach Holland gekommen war.
Ich habe mehrere Predigten*) und
Gedichte von ihm, die ich in ihrem
Werth beruhen lasse; interessanter
[Seite 100] aber und berühmter ist seine Disser-
tatio politico-theologica de seruitute li-
bertati christianae non contraria
die er
den 10. März 1742 in Leiden öffent-
lich vertheidigte und wovon ich die
holländische Uebersetzung habe*),
wovon damals vier Auflagen gleich
hinter einander vergriffen worden.
Er ward hierauf in Amsterdam zum
Prediger nach D'Elmina ordinirt,
wohin er bald nachher abreisste. –
Der Herr Prof. Brugmans in Lei-
den der mir die Schriften dieses ordi-
nirten Negers verschaft hat, schreibt
mir dabey, dass nach der Hand von
seinem dortigen Schicksal eine dop-
pelte Sage gegangen: als ob er nem-
[Seite 101] lich entweder ermordet worden, oder
aber wieder unter seine wilden
Landsleute gezogen und dieser ihren
Glauben und Leben gegen das in Eu-
ropa erlernte vertauscht habe. –
Im letztern Fall gäbe seine Geschich-
te das Gegenstück zu des Europä-
isch erzognen und cultivirten Hotten-
totten seiner, dessen völlig gleichen
Patriotismus Rousseau verewigt
hat*); und dieser unwiderstehliche
Zug zu den väterlichen Penaten wä-
re wenigstens weit weniger befrem-
dend als dass wie bekannt, ehedem
da die Caraiben noch ein ansehnli-
ches und kriegerisches Volk aus-
machten, junge Engländer die von
ihnen geraubt worden, und eine
Zeitlang mit ihnen gelebt hatten und
eingewohnt waren, an diesem rohen
Stand der Natur so grossen Ge-
schmack fanden, dass sie gar nicht
[Seite 102] wieder ausgewechselt zu werden,
und zu ihren Landsleuten zurück-
zukehren verlangten.

Neuerlich sind zwey vortrefliche
Neger in England als Schritsteller
berühmt worden. Sancho und
Vassa. Jener durch seine Briefe:
dieser durch seine eigne Lebensbe-
schreibung, die ich beide durch die
Güte meines Freundes des Hrn. D.
Crichton in London erhalten habe.

Ignatius Sancho war 1729 am
Bord eines Sclavenschiffs gebohren,
das von Guinea nach dem Spanischen
Westindien segelte. In Carthagena
ward er vom Bischof getauft, ver-
lohr aber seine Mutter sehr bald an
einer endemischen Krankheit, und
sein Vater befreyte sich vom Scla-
venjoch durch einen freywilligen
Tod. Der junge Ignaz kam schon
in seinem dritten Jahre nach Eng-
[Seite 103] land, wo sich durch glückliche Con-
juncturen der Herzog von Montagu,
s
o wie die Herzogin von Queensber-
ry
und die von Northumberland sei-
ner annahmen und in den Stand
setzten, dass er eine glückliche Hei-
rath treffen und durch einen kleinen
Handel seine zahlreiche Familie an-
ständig erhalten und doch dabey sei-
ne Neigung zu den schönen Wissen-
schaften und Künsten (besonders
zur Musik und Zeichenkunst) befrie-
digen konnte. Sterne und Garrick
waren seine Freunde. Vorzüglich
hatte er leidenschaftliche Liebe fürs
Theater, hat auch selbst ein paar
Stücke dafür verfertigt, und es war
blos ein Fehler in seiner Aussprache
Schuld, dass er nicht wie er wollte,
selbst als Othello und Oroonoko auf-
treten konnte. Er starb im Dec.
1780; und nach seinem Tode hat ein
Frauenzimmer von seiner Bekannt-
schaft anderthalbhundert: der interes-
[Seite 104] santsten Briefe aus den letzten 13
Jahren seines Lebens von seinen
Freunden an die sie geschrieben wa-
ren noch zusammen gebracht, und sie
zugleich nebst einigen seiner Aufsätze
die in englische Blätter wie z.B.
in den public Advertiser, in die Mor-
ning post
u.a. eingerückt worden, her-
ausgegeben*). Unter den letztern
ist auch einer über den unglücklichen
D. Dodd dessen Predigten Sancho
fleisig besucht hatte; so wie ein an-
derer zu Gunsten eines dürftigen
gebrechlichen 86jährigen Nachkom-
men von Hugo Grotius. – Da
kein einziger jener Briefe (die übri-
gens die mannichfaltigsten Gegen-
stände aus dem häuslichen Leben, so
wie aus Litteratur, politischen Ange-
[Seite 105] legenheiten etc. betreffen) jemals
vom Verf. selbst zum Druck be-
stimmt war, so verlieht sich von
selbst dass sie nicht alle von gleichen
Gehalt und Politur seyn können.
Aber gerade um so besser lernt man
den braven Sancho daraus kennen.
Ein paar Stellen darf ich wohl als
Probe seiner Denkungs- und Schreib-
art hier ausheben:

Im XIIIten Br. vom 18. Jul. 1772
schreibt er einem jungen Freund un-
ter andern: –

‘„Ich danke Ihnen für ihre Güte
gegen meine armen schwarzen Brü-
der. Ich schmeichle mir dass Sie
dieselben nie undankbar finden wer-
den: sie handeln gemeiniglich nach
ihren Gefühlen: liebt doch so-
gar ein Hund die so ihm gut
begegnen; und wenn man Ne-
gern eben das thut so werden sie
[Seite 106] sicherlich bey aller ihrer Unwissen-
heit und Knechtschaft diess eben so
erwiedern. Wenn ich nach meinen
eigenen Gefühlen urtheilen darf,
so sollte ich denken, gute Behand-
lung würde alles bey ihnen ausrich-
ten. Meine Seele wenigstens schmilzt
bey Güte; aber das gerade Gegen-
theil, ich gesteh es mit Beschämung,
macht mich wieder zum Wilden.“’
u.s.w.

An einen andern Freund schreibt
er im LIV. Br. vom 24. Oct. 77.

‘„Mme Sancho und ihre Töchter
befinden sich so, so. – die gute Mut-
ter würde sich besser befinden wenn
sie nicht zu viel sorgte. Ich bin ihr
Barometer. Wenn meiner Brust
ein Seufzer entwischt, so wird er
immer durch eine Thräne in ihren
Augen beantwortet. Oft nehme
ich daher Munterkeit an um ihre
[Seite 107] Empfindsamkeit mit einem lächeln
aufzuheitern, ein lächeln das vor
20 Jahren mich bezauberte, und das,
– merken Sie wohl! – nachdem
ich es nun 20 Jahre genossen habe,
noch immer mein höchstes Ver-
gnügen ausmacht.“’

Der neueste, und für mich wenig-
stens, allerinteressantste Schriftsteller
unter den Negern ist endlich der
oben gedachte Gustav Vassa
der seine überaus merkwürdige Le-
bensgeschichte im verwichnen Jahre
in London in zwey Bänden heraus-
gegeben hat, wovon auch ohngeach-
tet der 400 Subscribenten gleich zwey
Ausgaben hinter einander erschienen
sind.*) Vassa's Character und
[Seite 108] Temperament ist eben so von San-
cho's
seinem verschieden als beider
ihre äusserst sprechenden Bildnisse
von einander verschieden sind: des
letztern seins von Bartolozzi nach
Gainsborough, und des ersten sei-
nes von Orme nach Denton gesto-
chen. Beides zwar herzlich gutmü-
thige brave Menschen; aber San-
cho
doch weit mehr jovialisch auf-
geweckt, offen. Bey Vassa hinge-
gen mehr gesetzter Ernst der fast an
Trübsinn grenzt. Jener im vieljäh-
rigen Umgang mit der feinern aufge-
klärtern Welt und den Musen. Die-
ser ohne alle jene Politur und Auf-
klärung, vielmehr nicht frey von
manchem Aberglauben, dabey aber
voll der ungeheucheltsten Gottes-
furcht. Jener in einer ganz beque-
men häuslichen Lage. Dieser ein
Ball des Schicksals, der seit seinem
[Seite 109] IIten Jahre in vier Welttheilen her-
umgeworfen und von vielen seiner
weissen Mitmenschen oft aufs grau-
samste gemishandelt und betrogen
worden. Der aber bey alle dem
jammervollen Unglück das er erfah-
ren dennoch gesteht: – ‘„wäre ich
ein Europäer so würde ich sagen,
ich habe viel gelitten; vergleiche
ich aber mein Loos mit der mehr-
sten meiner Landsleute ihrem, so
sehe ich mich als einen besondern
Günstling des Himmels
an und er-
kenne die erbarmende Vorsehung
in jedem Vorfall meines Lebens.“’ –

Herr Vassa ist 1745 im König-
reich Benin gebohren, ward im 11ten
Jahr nebst seiner Schwester geraubt
aber bald von ihr auf ewig getrennt,
dann von einer Hand in die andere
verkauft, bis er nach ohngefähr ei-
nem halben Jahr an die Küste und
von da auf ein Sclavenschiff gebracht
[Seite 110] und so nach Barbados transportirt
ward. 1757 kam er zum erstenmal
nach England wo sich zumal zwey
Mamsell Guerin, so wie nachher
da er sich in Montserrat frey gekauft
hatte, besonders der würdige (durch
seine Methode das Seewasser süss
zu machen allgemein berühmte) D.
Irving seiner annahmen. Mit letz-
tern machte er (unter den Comman-
do des damaligen Captn. Phipps
nachherigen Ld. Mulgrave) die
merkwürdige Untersuchungsreise
nach Spitzbergen, und nachher eine
nicht minder interessante Reise zu
den Moskito-Indianern auf Terra fir-
ma,
u.a.m. Mit einem natürlich
guten Beobachtungsgeiste verbindet
er eine brennende Wissbegierde, da-
her die seiner Lebensgeschichte ein-
geschalteten Auszüge aus seinen Rei-
sejournalen, zumal auch die naive
Schilderung die er von manchem, ei-
nem Neger freylich unerwarteten An-
[Seite 111] blick und Auftritt giebt, dieselbe
eben so interessant als unterhaltend
machen.

Ich darf ein paar Stellen daraus
übersetzen: die eine aus dem 1sten B.
wie er im Aug. 59. der Seeschlacht
zwischen Admiral Boscawen und
le Clue bey Lagos an der Portugi-
sischen Küste auf dem Mitländischen
Meere beygewohnt.

– ‘„Meine Stelle während des
Gefechtes war auf dem mittlern
Verdeck, wo ich nebst einem an-
dern Buben postirt war um das Pul-
ver nach der entferntsten Canone
zu bringen, und hier war ich Zeuge
von dem schrecklichen Schicksal
mehrerer meiner Cameraden, die
binnen einem Augenblik zerschmet-
tert und in die Ewigkeit versetzt
wurden. Ich kam zum Glück un-
versehrt durch, ob gleich die Zeit
[Seite 112] über, Kugeln und Splitter um mich
rum flogen. Gegen Ende der
Action ward mein Herr verwundet,
und ich musste zusehen wie er
runter zum Wundarzt getragen
ward und durfte doch so gern ich
ihm beygestanden hätte, meinen
Posten nicht verlassen. Bey diesem
Geschäffte riskirten mein Camera-
de und ich eine halbe Stunde hin-
durch alle Augenblicke das ganze
Schiff in die Luft zu sprengen.
Denn von den Patronen die wir
aus dem Kasten nahmen, waren
viele durchgescheuert so dass das
Pulver daraus aufs Verdeck bey die
Luntentonnen lief und wir zuletzt
kaum Wasser genug hatten es im-
mer darauf zu giesen. Auch wa-
ren wir bey diesem Geschäffte den
feindlichen Canonen sehr ausge-
setzt, da wir immer fast die Länge
des ganzen Schiffs durchpassiren
mussten um das Pulver an Ort und
[Seite 113] Stelle zu bringen. Ich musste da-
her gewärtig seyn dass jede Minute
meine letzte seyn könnte; zumal
wenn ich so um mich rum unsre
Leute stürzen sah. Um mich so
viel möglich zu schützen hielt ichs
anfangs für rathsam nicht eher nach
dem Pulver zu laufen als wenn die
Franzosen von der Seite her so
eben gefeuert hätten, um dann erst
während sie wieder ladeten mein
Pulver zu holen. Aber ich er-
kannte doch sogleich diese Vorsicht
für unnütz, und da ich mich mit
dem Gedanken ermunterte dass mir
eben so gut eine Todesstunde als
eine Geburtsstunde bestimmt sey,
so warf ich alle Furcht oder Todes-
gedanken ab, und that die ganze
Zeit durch mein Geschäfte muthig
und beherzt; und stellte mir dage-
gen das Vergnügen vor wenn ich
glücklich davon und wieder nach
London kommen sollte, wie ich da
[Seite 114] – den Miss Guerins meine über-
standnen Lebensgefahren erzählen
wollte.“’ –

Aus dem IIten B. wähle ich seine
herzlich gut gemeynten Versuche den
Sohn des Moskiten-Königs zu bekeh-
ren mit dem er die Reise nach Terra
firma
machte.

– ‘„Ich machte mit dem jungen
Manne so gute Fortschritte, dass
wenn ich des Nachts zu Bette ging
und er schon zu Bette war, er im
blossen Hemde wieder aufstand
blos um mit mir zu bethen. Und
eben so kam er in dieser Absicht
allemal erst zu mir ehe er in die
Cajüte mit der Gesellschaft zu Ti-
sche ging. Das freute mich herz-
lich und ich bat Gott sehr um seine
Bekehrung. Auch schöpfte ich des-
halb die beste Hoffnung da ich täg-
lich allen Anschein zu einer er-
wünschten Aenderung bey ihm spür-
te, und mir die Lift des Satans noch
[Seite 115] unbekannt war, der viele seiner Bo-
then ausgeschickt hatte eben so ge-
schwind Unkraut auszustreuen als
ich guten Saamen säete, und eben
so bald wieder einzureisen als ich
aufbauete. So mochten wir etwa
4/5 unsrer Reise zurückgelegt haben,
als der Satan zuletzt die Oberhand
behielt. Einige seiner Abgesandten,
da sie sahen wie dieser arme Heide
an Frömmigkeit zunahm fragten
ihn, ob ich ihn nun bald bekehrt
hätte, lachten und spotteten sein,
das ich ihnen so viel ich konnte,
verwies: aber das machte doch dass
der Prinz nun zwischen beiden
Theilen schwankte. Einige von
den ächten Söhnen des Belials sag-
ten ihm gerade, er dürfe sich für
dem Teufel nicht fürchten denn es
gäbe keinen: und wenn er jemals
zu ihm kommen sollte, so möchte
er ihn doch auch zu ihnen schicken.
Und so vexirten sie den armen un-
[Seite 116] schuldigen Jungen so lange bis er
nichts mehr aus dem Buche das ich
ihm gegeben hatte, lernen wollte.
Er wollte zwar nicht mit jenen
ungöttlichen Menschen saufen und
zechen, aber auch nicht mehr sich
zu mir halten und bethen. Das
kränkte mich innig. Ich suchte
ihn so gut ich konnte wieder zu be-
reden, aber er wollte nicht kom-
men. Ich bestand darauf dass er
mir doch nur die Ursache seines
jetzigen Betragens sagen sollte.
Endlich fragte er mich: – wie
kommts dass alle die Weissen die am
Bord sind und die lesen und schreiben
und den Sonnenlauf beobachten können,
und alle Dinge verstehen, dennoch
schwören, lügen und saufen, und Du
allein nicht?
Ich antwortete ihm,
die Ursache sey weil sie Gott nicht
fürchteten, und wenn sie so stür-
ben, so könnten sie nicht zu Gott
kommen. Er antwortete, dass
[Seite 117] wenn diese Leute alle zur Hölle füh-
ren so wolle er mit fahren.
Das be-
trübte mich sehr, und weil er zu-
weilen Zahnweh hatte, und einige
andere im Schiff zu gleicher Zeit
auch daran litten, so fragte ich ihn:
ob jener ihr Zahnweh das seinige
erleichtere? Er antwortete: nein.
Folglich, sagte ich ihm, wenn er
und jene Leute zusammen zur Höl-
le führen so würden ihre Qualen
die seinigen auch nicht erleichtern.
Dieses Wort machte einen grossen
Eindruck auf ihn: er ward ganz
niedergeschlagen, und blieb auf der
übrigen Reise immer am liebsten
für sich alleine.“’

Ob nicht vielleicht einer oder der
andre Leser denken mag, der ehrli-
che Vassa hätte den guten Moski-
ten-Prinzen mit Hölle und Teufel
wohl können unbehelligt lassen, das
geht mich hier nichts an. Ich hob
gerade die Stelle mit aus, um zu zei-
[Seite 118] gen dass die Neger so wie in den übri-
gen guten Eigenschaften und Geistes-
fähigkeiten so auch im wohlmeinen-
den Bekehrungseifer vielen ihrer
weissen Brüder nichts nachgeben.

Ueberhaupt aber sollte ich nach
allen den angeführten mannichfalti-
gen Beyspielen von fähigen Negern
denken, man könnte wohl ganz an-
sehnliche Provinzen von Europa
nennen, aus deren Mittel man
schwerlich vor der Hand so gute
Schriftsteller, Dichter, Philosophen
und Correspondenten der Pariser A-
cademie zu erwarten hätte: so wie
mir hingegen anderseits kein so-
genanntes wildes Volk unter der
Sonne bekannt ist, das sich durch
solche Beyspiele von Perfectibilität
und selbst wissenschaftlicher Cultur-
fähigkeit so ausgezeichnet hätte und
sich dadurch so zunächst an die ge-
bildetsten Völker der Erde anschlös-
se, als die Neger.

XIV.
Von den Kakerlacken.

[Seite 119]

Diesen armen Patienten ist es in
der Menschengeschichte theils nicht
besser gegangen als den ehrlichen
Negern. Es hat Zweifler gegeben,
die die Kakerlacken so wenig als die
Mohren für Menschen derselben Gat-
tung mit uns haben erkennen wol-
len. Die letztem waren ihnen zu
schwarz; die erstern zu weiss. –

Nun gehört zwar im Grunde die
Untersuchung der Kakerlacken über-
haupt gar nicht ins Gebiete der Na-
turgeschichte sondern in die Patho-
logie: inzwischen da sie doch einmal
in jene gezogen worden und zu so
vielen seltsamen Irthümern Anlass
gegeben haben, so darf ich ihrer
doch auch mit ein paar Worten ge-
denken; und sie schliessen um so
[Seite 120] füglicher an den vorigen Abschnitt
an, da ihre Geschichte anfänglich
mit der Negern ihrer verwebt wor-
den.

Man hat nemlich zu allererst un-
ter diesen letztern eine Art Menschen
bemerkt, die sich durch eine unge-
wöhnliche Weisse oder auch Röthe
der Haut, durch gelblicht-weisses
Haar und blassrothe Augen auszeich-
nen; und freylich mussten diese Son-
derbarkeiten auch an den Negern
eher auffallen als an Weissen, und
eben daher sind auch die Kakerla-
cken zuerst unter dem Namen der
weissen Mohren (bey den Alten
Levcaethiopes) bekannt worden.

Schon zu Ende des vorigen Jahr-
hunderts bemerkte man aber auch
Menschen der Art unter den Ameri-
canischen und bald nachher auch un-
ter Ost-Indischen Völkerschaften.
Cptn. Cook fand neuerlich welche
[Seite 121] auf Utaheiti und auf den Freund-
schafts-Inseln;
und jetzt zeigt sich end-
lich dass sie auch in Europa selbst
und zwar häufiger sich finden als
wohl zu wünschen wäre.

Denn seit ich der Königl. Societät
der Wissenschaften meine Beobach-
tungen über die beiden berühmten
Savoyischen Kakerlacken vorgelegt,
die ich a. 1783 auf einer Excursion
die ich in Gesellschaft des jüngern
Hrn. Deluc von Genf aus ins Fau-
cigny
machte, zu untersuchen
Gelegenheit gehabt, und die nun
bekanntlich nach London gegangen,
wohin sie von den Directoren des
Circus verschrieben worden; so
habe ich nun schon von einem gan-
zen Dutzend andrer Kakerlacken
die sich nur allein hin und wieder
in Deutschland gefunden haben,
Nachricht und von den mehresten
auch Proben von dem ihnen ganz
[Seite 122] eignen Haar erhalten. Es scheint
mit den Kakerlacken wie mit man-
chen andern natürlichen Merkwür-
digkeiten gegangen zu seyn, die man
in manchen Ländern lange Zeit über-
sehen
weil man sie für zu grosse Sel-
tenheiten gehalten als dass man sie
erwartet hätte.

Mit einem Worte, die Kakerla-
cken finden sich unter allen fünf
Spielarten im Menschengeschlecht.

Ueberdem aber ist diese Sonder-
barkeit gar nicht dem Menschenge-
schlecht eigen, sondern sie findet sich
eben so auch unter andern warmblü-
thigen
Thieren: unter Säugthie-
ren sowohl als unter Vögeln. Un-
ter jenen sind bekanntlich die weis-
sen Caninchen und die weissen Mäu-
se und unter dielen die weissen Ca-
narienvögel die gemeinden. Hingegen
habe ich aller angewandten Nach-
forschung ohngeachtet kein einziges
[Seite 123] Beyspiel von Kakerlacken unter den
Thieren mit rothen kalten Blute, un-
ter den Amphibien oder Fischen auf-
finden können.

Dass ich die Kakerlacken über-
haupt, folglich auch die weissen Ca-
ninchen etc. für Patienten halte,
wird niemanden befremden der mit
ihrem Zustande bekannt ist. Das
Hauptsymptom desselben besteht in
der eignen Farbe ihrer Augen, deren
Stern blassrosenfarb und die Pupille
von der Farbe eines dunklen Carni-
ols oder fast wie Himbeerensaft ist,
statt dass die letztere bey einem ge-
sunden Auge, der Stern mag übri-
gens blau oder braun seyn, allemal
vollkommen schwarz seyn muss. Die
Ursache jener Röthe liegt in dem
gänzlichen Mangel eines zum deut-
lichen Sehen unentbehrlichen Theils,
nemlich des schwarzbraunen Schleims
womit ein grosser Theil des innern
Augapfels zur Absorbtion der über-
[Seite 124] flüssigen Lichtstralen überzogen ist.
Daher sind auch die Kakerlacken
bey diesem Mangel meist mehr oder
weniger lichtscheu.

Dieser Mangel des schwarzen Pig-
ments scheint aber immer nur ein
Symptom einer allgemeinern Cachexie
zu seyn die sich bey den menschlichen
Kakerlacken vorzüglich durch das
eigne Ansehn der Haut und die
gelblichtweisse Farbe der Haare äus-
sert: wenigstens hat man meines
wissens noch nie jenen Augenfehler
ohne diese Beschaffenheit der Haut
oder Haare bemerkt.

Das Uebel ist wohl immer ange-
bohren,
und oft eine erbliche Fami-
lienkrankheit. Wies scheint ist es
unheilbar; wenigstens ist mir kein
Fall bekannt, dass sich bey irgend
einem Kakerlacken jemals die ge-
dachten Symptome verloren hätten.

Ueber die Ursachen dieses sonder-
baren Uebels wüsste ich vor der
[Seite 125] Hand nichts irgend befriedigendes
anzugeben. Denn was ein sonst
ganz scharfsinniger Reisender Herr
Foucher d'Obsonville beobachtet
haben will, dass weisse Mohren
dadurch erzeugt werden könnten,
dass die Eltern um die Zeit Queck-
silber oder Zinnober gebraucht, wür-
de schon an und für sich bey manchen
der gedachten Völker und bey den
vielerley Thieren unter welchen Ka-
kerlacken gefunden worden, nicht
denkbar seyn wenn auch nicht ohne-
hin die ganze Idee so äusserst unwahr-
scheinlich
wäre: so wie vollends die
ehemalige Behauptung ganz unwahr
ist, dass bey den weissen Mohren keins
von beiden Geschlechtern zur Fort-
pflanzung fähig sey. Schon de
Brue
führt ein Beyspiel an wo eine
weisse Mohrin von einem Neger
schwanger worden und einen voll-
kommnen jungen Neger gebohren;
und von einer weissen Mohrin die
[Seite 126] neuerlich in England einen Europäer
geheurathet und mit demselben drey
wahre Mulatten aber mit hellen Haar
gezeugt, hat der brave Neger Hr.
Vassa in seinem obgedachten interes-
santen Werke eine merkwürdige
Nachricht gegeben.

Textabbildung, S. 126xxx
Figure 2. 5te Menschen Varietät.

Inhalt.

[Seite 127] [interleaf] [interleaf] [interleaf]
[binding_verso]
Notes
*).
[Seite 7]

Anomia vitrea. s. Chemnitz Conchylien-
Cabinet VIII. B. tab. LXXVIII. fig. 707. 709.

**).
[Seite 7]

Der beynahe einzige, aber dafür desto wich-
tigere Nutze der Versteinerungskunde ist
[Seite 8] der Aufschluss, den die Geschichte der
Veränderungen des Erdbodens durch sie er-
hält, aber dazu ist schlechterdings äusser-
ste Genauigkeit im Beobachten nothwen-
dig; zumal wo es auf Vergleichung der
Petrefacten mit ihren vermeinten Origi-
nalen, ankommt. Der Mangel dieser Ge-
nauigkeit hat schon die seltsamsten cos-
mogenischen Irrthümer veranlast.

*).
[Seite 8]

Hr. Superint. Schröter rechnet es zu dem
Hauptnutzen, den wir vom Studium der
Petrefacten ziehen können, dass sie die
Lücken in der Stufenfolge der Natur aus-
füllen helfen. – ‘„Ohne sie„’ (sagt er
im IIIten B. seiner Einleitung in die Ge-
schichte der Steine etc. S. 94) ‘„würden
[Seite 9] wir in dieser Stufenfolge und in der Kette
der Natur erstaunende Lücken finden,
die uns durch die Versteinerungskunde
glücklich ausgefüllt werden.„’ –

Wenn man diess bey einem andern
Schriftsteller läse, so würde man es für
einen bittern, aber treffenden Spott über
die vorgegebne Stufenfolge der Natur in
Rücksicht der Bildung
ihrer Geschöpfe an-
sehen: denn was heisst das anders als:
was uns der Schöpfer nicht in natura ge-
gegeben, das hat er doch wenigstens zum
Behuf der Physicotheologen und ihrer alle-
gorischen Bilder von Ketten und Leitern in
seiner Schöpfung in essigie eingeschaltet!

*).
[Seite 9]

Die Belemniten gehören noch jetzt zu
den gemeinsten Versteinerungen. Und dass
wir sie doch nicht in noch weit grössrer
Menge finden, darüber giebt der Hr. Che-
valier
D'Hancarville in seinen Recherches
[Seite 10] sur l'origine des arts de la Grèce dem ein-
zigen Buch in seiner Art! (im Iten B. S.
2 u. f.) folgenden Aufschluss: – es sind
ihrer nemlich, wenn wir seiner Versiche-
rung glauben wollen, in der Kindheit des
Menschengeschlechts so viele verschossen
worden. Denn, sagt er, ‘„avant de se ser-
vir de l'airain, an du fer pour armer les
pointes des Fleches, on y employoit de ces
pierres
Belemnites. – Le marbre d'Arun-
del met l'epoque de la découverte du fer à
l'an 87 après l'arrivée de Cadmus en Grèce.
– avant cette époque les Fleches des Grecs
étoient
nécessairement armées de ces
pierres
Belemnites, dont le nom conservé
jusqu' à nous exprime encore l'usage.
„’

*).
[Seite 10]

s. Hrn. D. und Prof. Forsters Bemerkun-
gen auf seiner Reise um die Welt. S. 19.

*).
[Seite 15]

s. Hr. Prof. Voigt über einige physical.
Merkwürdigkeiten der Gegend von Burg-
tonna im Herzogthum Gotha
in dessen Ma-
gazin für Physik und Naturgeschichte III. B.
4. St.

*).
[Seite 16]

Nach der Meinung unsers seel Hollmann
und Herrn de Luc. – s. des erstern Ab-
[Seite 17] handlung hierüber in den Comment. soc.
reg. scient Gotting.
T. III. vom J. 1753.
S. 358 u. f. und des letztern Lettres phy-
siques et morales
an mehrern Orten.

*).
[Seite 17]

Vgl Hrn. O. C. R. Silberschlag's Geo-
genie
im I und III Th und Hr. D. Hutton's
Theory of the Earth in den Transactions of
the roy. Soc. of Edinburgh
T. I. 1788. Zu-
mal im 3ten Abschnitt.

**).
[Seite 17]

Es war eine Zeit wo man ganz allgemein
den Ursprung der Petrefacten, und die To-
talrevolution der Erde selbst von der Noa-
chischen Sündflut ableitete. – So wenig
es aber (wie mir einer der einsichtsvollsten,
[Seite 18] und doch gewiss rechtglaubigsten Gottes-
gelehrten, unser seel. Cons. R. Walch
versichert hat) der Würde der heil. Schrift
den allermindesten Eintrag thut, wenn
man die Noachische Flut für nicht allge-
mein hält, so wenig habe ich mir nach
dem, was auch selbst die Thiergeschichte
lehrt, von einer solchen Allgemeinheit
jener Flut eine befriedigende Vorstellung
machen können. So bleibt mir z.B. die
Wallfahrt die dann das Faulthier (das be-
kanntlich eine volle Stunde braucht um
nur 6 Fus weit zu kriechen,) vom Ara-
rat nach Südamerica hätte machen müssen,
immer ein wenig unbegreiflich.

*).
[Seite 19]

Es gilt auch hier was Cicero sagt: ‘„Se-
quimur probabilia nec ultra id quam quod
verisimile occurrerit progredi possumus.
„’ und
wie sehr wäre nur zu wünschen, dass
manche der Verfechter der einen oder an-
dern Meinung auch den gleich drauf fol-
genden Nachsatz immer befolgten: ‘ „et
refellere sine pertinacia et refelli sine iracun-
dia parati sumus.„

*).
[Seite 23]

‘„– wherein, if I err,“’ – sind seine Wor-
te – ‘„I shall find myself in very good
Company. –
“’

*).
[Seite 27]

Anfractibus sinistris s. contrariis – s. Chem-
nitz
Conchyliencabient IX. B. I. Th. tab. CV.
fig. 894. u. f.

*).
[Seite 33]

Biblioth. raisonnée. T. XXXIV. p. 284.

*).
[Seite 38]

Der Unterschied zwischen ursprünglich wild
und blos verwildert muss bey Untersuchun-
gen dieser Art auf das sorgfältigste beob-
achtet werden. So giebts in beiden Wel-
ten verwilderte Pferde in unsäglicher
Menge: aber niemand kennt das ursprüng-
lichwilde Pferd. so fanden sich noch zu
Anfang dieses Jahrhunderts auf der klei-
nen Insel Ivan Fernandez (dem vierjäh-
rigen einsamen Aufenthalt des armen Selkirk
dessen wahre Geschichte bekanntlich zum
Robinson Crusoë umgearbeitet worden)
verwilderte Ziegen so gut wie verwilder-
tes Getraide, die aber beide eben so we-
nig daselbst ursprünglich zu Hause gehör-
ten, als die verwilderten Affen, die sich
bis jetzt auf den Felsen von Gibraltar
fortgepflanzt haben.

*).
[Seite 39]

Wenige Behauptungen in der Welt sind
mit so unglaublichen Vorurtheil von der
einen Seite verfochten und von der andern
bestritten worden, als die von den End-
ursachen
des Schöpfers. – Die Physico-
theologen haben dadurch theils seltsame
Blösen gegeben, dass sie es für ihren Be-
ruf hielten, von jeder Einrichtung in der
Schöpfung Zweck und Absicht rein dar-
zuthum. So glaubten sie z.B. bey einer
Bienengattung an den Vorderfüssen der
Männchen eine durchlöcherte Scheibe zu
[Seite 40] finden, und ermangelten nun nicht diesen
Bau einen Nutzen anzudemonstriren. Das
hat die weise Natur gethan, hies es, damit
die Biene Blumenstaub durchsieben und
dadurch die Befruchtung der Pflanzen be-
fördern soll, und von Stund an hies nur
das Insect die Siebbiene (Sphex cribraria.)
Es gereicht einem Geistlichen der sich über-
haupt viel Verdienst um die Naturgeschich-
te erworben hat, dem Hrn. Hofdlac. Göë
zur Ehre, dass er diesen Irthum aus der Na-
tur selbst widerlegt und gezeigt hat, dass
die Scheiben an den Füssen jenes Thiers
gar nicht durchlöchert sind; und folglich
wohl an die dem Schöpfer aus guter Mei-
nung angedichtete weise Absicht nicht zu
denken ist.

Umgekehrt haben zuweilen Andere die
Wirklichkeit einer Einrichtung in der Na-
tur blos deshalb bezweifelt, weil sie keine
Endursache des Schöpfers darin finden konn-
ten. Als ich meinem unvergesslichen Freun-
de dem seel. Camper in der Natur zeigte,
[Seite 41] dass, gegen die allgemeine sonstige Mei-
nung, auch die Kaulquappen der Surina-
mischen Kröte Pipa allerdings geschwänzt
sind, wollte er, wie er selbst gesteht (in
den commentation. soc. reg. scientiar. Got-
tingens.
T. IX. p. 119 u. f.) das Exemplar
das ich ihm wies anfangs eher für eine
widernatürliche Monstrosität halten, weil
er nicht absehen könne, wozu diesen klei-
nen Geschöpfen die in ihrer Mutter Rücken
eingenistelt sitzen der Schwimm-Schwanz
nutzen sollte.

Wieder Andere haben hingegen fein reine
Bahn gefegt und alle Endursachen in der
Schöpfung geradezu geläugnet. – Noch
in unsern Tagen versicherte ein berühmtes
Mitglied der königl. Acad. der Wiss. zu
Paris, es sey eben so lächerlich zu glau-
ben, dass das Auge zum sehen bestimmt
wäre, als zu behaupten, die Steine seyen
bestimmt einem damit den Kopf einzu-
schlagen. In der That vermuthe ich, das
berühmte Mitglied hat da es dieses schrieb,
[Seite 42] ein wenig – – – ich will nur sagen, sich
übereilt. –

Ernstlich gesprochen: – ohngeachtet ich
bis dato nicht weis wozu dem Babirursa
seine langen, dünnen, fast zirkelförmigen
Eckzähne im Oberkiefer gegeben sind, so
bezweifle ich doch deswegen ihren mir
noch unbekannten Nutzen so wenig als
den Nutzen von zehnerley Theilen im
menschlichen Körper, der Brustdrüse, den
Neben-Nierchen &c. oder den zwekmäsi-
gen Nutzen irgend eines andern Dinges
in der Schöpfung, wenn ich ihn gleich
vor der Hand noch nicht absehe.

Hingegen dünkt mich bedarf es zum
evidentsten Erweis der Endursachen des
Schöpfers überhaupt weiter nichts, als dass
man das nächste liebste solche Thier wählt,
das sich durch auffallende Eigenheiten in
seiner thierischen Oekonomie auszeichnet,
und nun den Körperbau desselben mit sei-
ner Lebensart vergleicht, und fühlt wie
[Seite 43] erstaunenswürdig der erstere der letztern
angemessen ist. Wer z.B. nur irgend die
Naturgeschichte des Maulwurfs kennt,
und nun ein Maulwurfsgerippe mit einiger
Ueberlegung betrachtet, und dann noch
die Endursachen läugnen könnte, von dem
dürfte man argwohnen das er wohl gar
im Fall jenes berühmten Mitglieds der Pa-
riser Academie wäre.

Manchem Leser wird es auffallen, wenn
er hört dass ein philosophischer Naturfor-
scher von Profession wie Buffon sich gegen
die Endursachen erklären konnte, und man-
chen wird es nicht minder unerwartet
seyn, wenn ich ihm einen Philosophen nen-
ne, der ohne Naturforscher von Profession
zu seyn viel wahres und schönes zum Er-
weis der unverkennbaren Endursachen des
Schöpfers geschrieben hat – Voltaire
im Dictionn. philosoph. art. causes finales.
im XXXVIII. B. der Ettingerschen Asug.

*).
[Seite 44]

s. Herrera hechos de los Castellanos en las
Islas i tierra firme del mar oceano.
vol. I.
pag. 239. der Madriter Ausg. v. 1601.

**).
[Seite 44]

s. Calvigero storia antica del Messico. T.
IV. pag. 145.

*).
[Seite 49]

Ich bediene mich dieser beiden in der Phy-
siologie der organisirten Körper jetzt so
allgemein angenommenen und allgemein
verständlichen Kunstwörter ohne sie zu
verdeutschen, da sie so wie das Wort or-
ganisirte Körper
selbst u.a.m. gewiss durch
die Verdeutschung an Deutlichkeit verlie-
ren würden.

*).
[Seite 50]

Institut. physiolog. Sect. IV.

*).
[Seite 57]

– ‘„the ouran-outangs are profed to be of our
species by marks of humanity that I think
are incontestable
. –“’

*).
[Seite 87]

– ‘„crispos capillos vt caeteri aethiopes habebat“’
– sagt sein Freund Lvdolph in der Schil-
derung die er von ihm giebt.

*).
[Seite 90]

– ‘„d'une beauté parfaite“’ –

*).
[Seite 98]

Der Titel der einen ist: Diss. inaug. philo-
sophica de humanae mentis απαϑεια s. sen-
sionis ac facultatis sentiendi in mente humana
absentia, et earum in corpore nostro organico
ac vino praesentia, auctore
Ant. Guil.
Amo Guinea-Afro. Die andere führt den
Titel: Disp. Philosophica continens ideam
distinctam eorum quae competunt vel menti
vel corpori nostro vino vel organico.

*).
[Seite 99]

Uitgewrogte Predikatien in's Gravenhage en
t'Ouderkerk aan den Amstel gedaan door

Iac. Elisa Io. Capiteein, Africaansche
Moor, beroepen Predikant op D'Elmina aan
bet Kasteel St. George,
Amst. 1742.4.

*).
[Seite 100]

staatkundig-Godgeleerd Onderzoekschrift over
de Slaverny, als niet strydig tegen de Chri-
stelyke Vryheid.
Leiden, 1742. 4. mit dem
schön gestochenen Bildniss des Verf. von
F. v. Bleyswyck. Ein andres Portrait von
ihm besitze ich auf einem treflichen Blatt,
das Tanjé nach P. van Dyk gestochen hat.

*).
[Seite 101]

s. das Titelkupfer zu seinem Discours sur
l'inegalité parmi les hommes.

*).
[Seite 104]

Die dritte Ausg. die ich vor mir habe, er-
schien in London bey Nichols unter dem
Titel: Letters of the late Ignatius San-
cho
, an African. to which are prefixed Me-
moirs of his Life.
1784. in Octav.

*).
[Seite 107]

Die zweyte Ausg. die ich besitze führt den
Titel: the interesting Narrative of the Life
[Seite 108] of Olaudah Equiano, or Gustavus Vassa,
the African. written by himself.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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