Blumenbach - online Digitalisate und Transkriptionen zu den Briefregesten
Absender/Empfänger: Blumenbach an Johann Wolfgang von Goethe.
Datum: 1820, Dez. 6
Ort: Göttingen
Überlieferung: Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv: GSA 29/55, Bl. 5–7 (Rückseiten jeweils unbeschrieben); in: Archivdatenbank des Goethe- und Schiller-Archivs, abgerufen am 22.08.2022 URL: https://ores.klassik-stiftung.de/ords/f?p=401:2:::::P2_ID:7966.
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Göttingen den 6ten Dec

Ew. Excellenz
erstatte ich meinen doppelten
und dreyfachen innigen Dank für die mir gar
vielseitig lehrreich gewordnen Stunden die Sie mir
neulich wieder geschenkt; so wie für Ihre so gewo-
gentliche Zuschrift und für das köstliche Geschenk der
beiden unübertrefflichen tabulae anecdotae die ich
gleich unter Glas und Rahmen im Collegium der ver-
gleichenden Anatomie benutzt und dazu die 3 Hefte
der Morphologie vorgelegt habe, welche letztre, wie
ich zu meiner Freude fand, von gar manchen der Com-
militonen schon fruchtbar studirt waren.
Ueber den Zwischenknochen beym Menschen kann nach dem
p. 219 unten gesagten kein dissensus weiter statt haben.
Da ich in der Litteratur darüber den wackern Vicq-
d’Azyr nicht angeführt finde (der in den Méms de l’Ac.
des Sc. von 1780. p. 487 [richtig: 489] sagte: on ne peut s’empecher
de voir un rapport singulier entre la structure de la por-
tion osseuse qui, dans plusieurs quadrupèdes, sert a sou-
tenir les dents incisives, et celle qui, dans les enfans
au moins, a les mêmes usages etc.) so steht Ihnen
– falls Sie jene Méms nicht näher zur Hand haben –
die Abschrift des ganzen passus und ein Fac Simile seiner
dazu gegebnen freilich gar rohen Figuren des mensch-

[fol. 4]

lichen Oberkiefers sogleich zu Befehl.
Wie angenehm mich die lichte Darstellung von No-
se’s Symbola überrascht hat, bedarf nach dem Wunsche
den ich deshalb mündlich geäußert, keiner Versicherung.
Mit der folgenden Post (die wöchentlich nur Einmahl
von hier dorthin abgeht) habe ich die Ehre Ew.
Excellenz dreyerley Naturalien aus allen 3 Reichen
zu übersenden.
a) den Neuholländischen Topas den S. K. H. der Groß-
Herzog von mir für das reiche Jenaische Museum
erwartet. Schon hatte ich darum nach London ge-
schrieben als mir beyfiel daß mein lieber Neffe Heeren
ein vortreffliches St. davon erhalten hatte, das er
mir auch sogleich zu jenem Zweck cedirte.
b) ein Doschen aus dem durch 1800 jähriges Alter und
Einwirkung des Moors sehr veränderten Föhrenholz
von den neuerlich wiedergefundnen und vielbesprochnen
pontibus longis die Domitius anlegen ließ und die sich
etliche Stunden lang von Drenthe bis Meppen er-
strecken. Ich lege ein rohes St. bey das die Tex-
tur beßer zeigt, wornach es von Förstern und Tisch-
lern die es bey mir gesehn meist erst für Eichen

[fol. 5]

angesprochen, dann aber doch für Föhren erkannt
worden.
und
c) ein Ungeziefer, das mir große Freude ge-
macht hat. Die den Musen geheiligte, von den alten
Dichtern gefeierte, von Phidias in Erz gearbeitete, bey
den Hellenen in Gold als Haarschmuck getragne
ächte Cicada græca die mir einer meiner Zuhörer
aus seiner Heimath Chios kommen laßen, und die von
den bekannten Gattungen dieses Geschlechts (orni, ple-
beia p.) die man sonst dafür genommen, specifisch
verschieden ist. So wie sie wohl ehr [sic] (zb selbst von
Addison in seinem Anakreon ad. 43) mit Heuschrecken
verwechselt worden.
Der Brief scheint länger als er ist weil ich ihn we-
gen des Papiers nur Einseitig schreiben konnte.

Unter den herzlichsten Empfehlungen an den theuern
Herrn Cammerrath
Ew. Excellenz
treustgehorsamster Diener
J. F. Blumenbach
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